G.F. Barner

G.F. Barner 1 – Western


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halberstickt. Er hatte einen winzigen Moment den Druck des Gewehres nicht mehr im Rücken gehabt. Dafür saß ihm die kalte Mündung jetzt genau am Genick. Als er sprach, wurde der alte Tabe langsam blaß.

      »Tabe, er – er hat das Gewehr auf mein Genick gesetzt. Tu, was er sagt, Tabe!«

      »Yeah, Ben!«

      Herrgott, dachte Tabe, ein Mann – ich werde verrückt! Ein Mann hat uns alle. Wenn der abdrückt…

      Er wagte es sich nicht vorzustellen.

      »Wohin, Mister?«

      »Weiter – nur weiter, mein Freund!«

      Der Wagen ruckte wieder an, rollte quälend langsam die Steigung hinauf. Dann kam die Gefällstrecke, die Kutsche wurde schneller.

      »Langsam, Tabe, Schritt fahren, mein Freund, sonst…«

      Er sagte nichts, der alte Tabe. Er hatte den letzten Überfall erst vor sieben Wochen erlebt, aber damals war es ein halbes Dutzend Burschen gewesen, das ihn aufgehalten hatte. Nur ein einziger Mann – wirklich nur einer?

      Keine Viertelminute später rollte die Stagecoach auf die breite Rinne zu, durch die im Frühjahr das Schmelzwasser quer über den Weg gurgelte. Rechts führte die Rinne weiter – Geröll lag dort – Bäume gab es hier nicht mehr, das Wasser hatte sie weggespült.

      »Tabe, rechts herum!«

      »Mister, das – das ist zu steil. Wir werden…«

      »Versuch es erst gar nicht«, warnte Flint scharf. »Erzähl mir nicht, daß du dort nicht fahren kannst, Mann! Hundert Schritte weiter kommt die Waldlichtung – fahr hin. Tabe, aber langsam, mein Freund. Läßt du sie rollen, drücke ich ab.«

      Tabe lenkte nach rechts, zog die Zügel ganz straff an. Aus den Augenwinkeln sah er genau, wie steif Old Ben saß, daß die Gewehrmündung an Claydons Genick wie angeleimt klebte.

      Keine Chance, dachte der Alte voller Grimm. Verflucht noch mal, der hat uns. Ich brauchte nur die Leinen loszulassen, dann würde die Kutsche losjagen, aber der schießt augenblicklich, was?

      Die Kutsche schwankte und holperte rumpelnd über dicke Steinbrocken. Dann kam rechter Hand die Lichtung – Grasboden, auf den die Kutsche fuhr.

      »Halt, Tabe! Luke, den Gurt auf, nach rechts werfen. Mach schon, Mann!«

      Luke biß vor Schmerz die Zähne zusammen. Sein Gurt mit Colt und Messer flog gleich darauf im Bogen ins Gras.

      »Tabe – du bist dran!«

      »Mister«, knurrte der Alte bissig. »Sie werden dich jagen. Ich sage dir, sie suchen und jagen dich.«

      Der Mann hinter ihnen lachte nur leise und spöttisch. Danach ließ er den Lauf seines Gewehres einmal kurz zucken.

      »Claydon…«

      Auch Claydons Waffengurt segelte nach rechts. Er wußte, was jetzt kam, würgte vor Grimm, als der Mann leise lachte.

      »Absteigen, Freunde – alle nach der linken Seite. Dann in einer Reihe aufstellen und die Arme über den Kopf. Tabe, du zuerst vom Bock – fang an, Mister.«

      Sie standen wenig später in einer Reihe und sahen zu dem Mann hoch. Er kniete auf dem Kutschendach, den grauen Leinenumhang über seiner Kleidung, das Gewehr im Hüftanschlag. Seine Blicke glitten über sie hinweg, das Gewehr blieb auf Claydon gerichtet.

      »Ladies«, sagte der Mann auf dem Dach träge. »Sorry, Miss Anne, Miss Caroll – kommen Sie heraus, bitte. Fatterman – Sie bleiben drin, mein Freund. Miss Caroll?«

      Er hatte eine tiefe dunkle Stimme, sie klang ganz ruhig, als hätte er die Kutsche nicht überfallen, sondern sie nur angehalten, um mitgenommen zu werden.

      »Komm schon, Anne«, knirschte Ben Claydon grimmig. »Komm heraus, Tochter. Dieser Bandit wird euch nichts tun, sonst – sonst…«

      »Claydon«, murmelte der Mann, schüttelte leicht den Kopf. »Nicht drohen, Mister, ich vertrage das schlecht. Eine Lady bleibt eine Lady – auch für mich, Claydon, verstanden? Keine Sorge, Miss Anne – kommen Sie nur.«

      Sie stieß den Schlag auf und sah den dicken Georgie Fatterman an. Er kauerte in der Ecke rechts, war blaß und schwitzte. Vielleicht hatte er Angst, der dicke Mann, der keine anderthalb Stunden vorher so große Worte gebraucht hatte.

      Als Anne Claydon die Kutsche verließ und zu den anderen hinüberging, hielt sie krampfhaft ihre Tasche fest.

      Das Geld! dachte Anne Claydon, das Geld! Wenn er die Tasche nimmt, er findet das Geld. Dad wird es sehen und sofort alles erraten. Mein Gott, er darf mir die Tasche nicht nehmen. Er darf nicht!

      Das war ihre Furcht, nicht so sehr, daß sie überfallen worden waren. Aber das wußte Old Ben nicht.

      »Miss Caroll, wenn Sie jetzt kommen wollen?«

      Caroll Andrews stieg langsam aus. Die Stimme über ihr klang freundlich. Sie hatte das Gefühl, daß dieser Mann nicht schlecht sein konnte. Dann ging sie einige Schritte, bis sie stehenblieb und sich umsah.

      »Mister«, sagte sie fest. »Warum tun Sie das? Wenn man Sie erwischt, werden Sie einige Jahre ins Jail gehen müssen. Ist es das wert, Mister?«

      Claydon, der sie kannte, wunderte sich nicht. Jack Andrews hatte immer einen Sohn haben wollen, aber nur die eine Tochter bekommen. Sie war mehr seine Tochter und hatte seinen Charakter, als daß sie viel von ihrer kleinen, zierlichen Mutter besaß, die seit ihrer Geburt kränkelte. Caroll Andrews war so gelassen und gradlinig kühl wie ihr Vater.

      Der Mann auf dem Kutschendach öffnete die Lider etwas weiter. Es sah aus, als lächelte er unter seinem

      Halstuch.

      »Lady, manchmal muß man einige Dinge tun«, sagte der Mann von oben sanft. Seine Stimme schleppte jetzt, es war, als sang sie dunkel und gedehnt. »Keine Sorge um mich, Miss Caroll. Gehen Sie jetzt weiter!«

      Als sie sich umwandte, sprang er plötzlich ab, stand jäh breitbeinig, ehe Claydon begriff, warum er so blitzschnell und unvorbereitet herangesaust war, neben dem Schlag.

      »Fatterman!« peitschte seine Stimme grell und scharf von der Seite her gegen den offenen Schlag der Stagecoach. »Rauskommen, Mister! Hände in den Nacken und raus, Mann. Los, Fatterman, ich warte nicht gern!«

      Fatterman kam zaudernd, hielt die Hände im Genick, sah blaß aus, krank, als er die Kutsche verließ. Dann wollte er weiter und kam nur drei Schritte weit.

      »Fatterman!«

      Die Stimme fauchte jetzt. Fatterman blieb ruckartig stehen.

      »Umdrehen, Mister!«

      »Ja«, sagte Fattermann dünn und zittrig. »Yeah, Mister.«

      Als er sich schnaufend drehte, stierte er auf das Gewehr. Seine Jacke stand offen – die Uhrkette spannte sich über den Bauch.

      »Ihre Tasche, Fatterman? Wo ist die Tasche?«

      »Im – im Wagen, Mister.«

      »So?« murmelte Flint, plötzlich ganz ruhig, ganz kalt. »Im Wagen, wie? Soll ich hingehen und sie holen, Fatterman? Und wenn ich dir den Rücken zudrehe, dann…«

      Er sprang im selben Augenblick: vorwärts. Sein Gewehr schoß wie eine Harpune nach vorn und bohrte sich jäh in Fattermans dicken Bauch.

      Der dicke Mann wurde leichenblaß, seine Ohren sahen aus wie weißer, durchsichtiger Marmor. Die Augen Fattermans zuckten, stierten auf das Gewehr, auf die Delle in seiner Weste. Druck im Bauch, eine Kugel im Lauf, die wartete…

      »Ich – ich…«

      »Eine schöne Kette«, sagte der Mann vor Georgie Fatterman ganz leise, aber es war laut genug, so daß sie es alle hörten. »Auch eine schöne Uhr, Fatterman? Ich mußte meine Uhr verkaufen – ich hatte kein Geld mehr, Mr. Fatterman. Du schenkst mir doch deine Uhr, wie? Gibst du sie mir, mein Freund, die schöne Uhr?