Joanne Bischof

Mein Herz hört deine Worte


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gelöst haben, denn mit einem Mal sah ihn jeder an.

      Mit zitterndem Kinn presste Ava eine Hand auf ihren Mund.

      Der Schmerz betäubte das wohlige Gefühl über ihre Anwesenheit. Thor hasste es.

      Neben der Tür stand Haakon und als Thor einen Blick in seine Richtung warf, machte er die Geste für trinken. Kopfschüttelnd verneinte Thor. Er wollte nichts. Doch weder er noch sonst irgendjemand in diesem Raum konnte sein starkes Zittern leugnen. Thor spannte seine Muskeln in dem Versuch an, das Zittern zu unterdrücken, das das Verlangen nach Alkohol in ihm hervorrief. Ava durchschritt den Raum. Sie trat näher, als Cora die Wunde säuberte, und zuckte zurück, als Thor die Luft scharf durch die Zähne einsog. Einen Moment lang glaubte er, dass sie gleich ohnmächtig werden würde. Als Haakon sie in Richtung eines Stuhls schob, setzte sie sich hin.

      Diese Frau konnte also hören.

      Cora tippte ihn an. Mit zusammengelegten Fingerspitzen machte sie eine nähende Bewegung. Erneut verneinte Thor kopfschüttelnd. Er wollte wirklich nicht, dass irgendein Teil von ihm genäht wurde. Cora wandte sich zu Ava um und sprach. Die rothaarige Frau verließ den Raum und kehrte kurze Zeit später mit dem Nähkorb zurück. Ihr Gesicht war aschfahl.

      Thor erhob sich und warf dabei seinen Stuhl um.

      Jorgan trat auf ihn zu und hielt ihn an der Schulter zurück. Thor schüttelte seine Hand ab. Doch plötzlich war Ava an seiner Seite. Sie senkte den Kopf und schielte zu ihm hinauf. Mit ihrem Blick flehte sie ihn an, zuzusehen. Dann legte sie ihre flachen Hände übereinander und ließ die rechte über die linke kreisen. Genau so, wie er es getan hatte. Entschuldigung. Thor zweifelte eigentlich jedes Mal an der Aufrichtigkeit einer Entschuldigung, wann immer dieses Wort gebraucht wurde. Er hatte viele Menschen beobachtet, die sorglos damit um sich geworfen hatten. Aber in seiner Sprache war es anders. Weil Avas Augen tränengefüllt waren, während sie in einem Raum voller fremder Menschen stand und eine Geste benutzte, die sie erst vor wenigen Minuten bei ihm gesehen hatte – diese Entschuldigung war so ehrlich und so wirksam, dass Thor rot anlief.

      Alle Anstrengung wich aus seinem Körper und Jorgan drückte ihn zurück auf den Stuhl. Den Blick immer noch auf Ava gerichtet, merkte Thor kaum, wie Cora einen Faden abrollte und ihn gemeinsam mit der Nadel abkochte. Jorgan schob die Flasche mit Brandy näher. Angestrengt versuchte Thor sie zu ignorieren. Doch diese Flasche zu ignorieren fiel ihm genauso schwer, wie nicht daran zu denken, dass Ava im Raum war.

      Derweil fischte Cora am Herd die Nadel und den Faden aus dem heißen Wasser und schüttelte ihre verbrühten Finger. Thor ignorierte die restlichen Vorbereitungen und starrte stattdessen auf den Tisch. Als Cora mit erhobener Nadel seinen Arm zusammendrückte, schluckte Thor schwer. Der erste Stich war genauso schlimm wie die folgenden, die Thor nur aus einem Grund zählte – um sitzen zu bleiben. Beim sechsten Stich teilte die Vibration in seinem Hals ihm mit, dass er Laute von sich gab. Ava wischte sich eine Träne fort.

      Endlich knotete Cora den Faden und schnitt den Rest ab. Nun sah Thor hinab auf ihre Arbeit und damit auf seine rote pochende Haut. Er stieß langsam den angehaltenen Atem aus. Derweil wies Cora Ida und ihn an, wie sie in den nächsten Tagen die Wunde behandeln sollten.

      „Ich komme wieder, um nach dir zu sehen“, versprach Cora. Thor berührte seine Lippen, um ihr zu danken. Dann sprach sie zu seiner Überraschung Ava an und bat sie, ihr hinaus auf den Hof zu folgen.

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      Thors Stöhnen klang Ava immer noch in den Ohren, während sie neben Cora an der Pumpe stand und dabei zusah, wie die Frau den Hebel bediente. Wasser platschte zu Boden und Cora wusch sich ihre Hände unter dem Strahl. Sie sagte kein Wort. Sie achtete nur sorgfältig auf die Linien und Falten in ihrer Haut, damit auch der letzte Rest des Blutes abgewaschen wurde. Nachdem sie fertig war, ließ auch Ava Wasser über ihre Haut laufen und schrubbte wild.

      Cora beobachtete sie. Ihre Haut war so glänzend wie die Kastanien, die Ida in der Vorratskammer aufbewahrte. „Welchen Schmerz du auch mit dir herumträgst, Kind, durch kein Schrubben der Welt wirst du ihn abwaschen oder ungeschehen machen können.“

      Avas Bewegungen wurden langsamer, dennoch konnte sie ihren Blick nicht heben und Cora ansehen, die sich ihre Hände an ihrem Rock trocknete.

      „Irgendwas ist los mit dir und jetzt is’ es an der Zeit, mal drüber zu reden. Es sei denn, ich hab alles falsch verstanden, auch was Thors Wunde angeht.“

      Mit gesenktem Kopf schüttelte Ava sich die nassen Hände. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, flüsterte sie schließlich.

      Die Berührung von Coras Hand war kühl. Sanft hob sie Avas Kinn an. „Sei nicht so hart zu dir selbst. ’n Mädchen lernt schnell, für sich zu sorgen, wenn’s auf sich gestellt is’. Und ich glaub’, dass du schon viel gesehen hast. Der Herr weiß, wie weit du von zu Hause fort bist.“ In mütterlicher Fürsorge berührte sie Avas Schulter. So sicher und sanft, dass Avas Kehle sich erneut zusammenzog. „Thor hat dich letzte Nacht zu Tode erschreckt! Dafür musst du dich nicht schämen“, sagte sie.

      Ava löste die Schlaufe an ihrer Schürze und zog sie ab.

      „Und wenn du dir um Thor Sorgen machst: Lass es sein! Der Kerl hat schon Schlimmeres durchgestanden.“ Sie lächelte leicht. „Er ist schon wieder auf den Beinen.“

      Ava nickte und versuchte sich an diesem Gedanken festzuhalten, aber ihr ging es um mehr als nur um seine körperlichen Wunden. Um etwas tiefer Liegendes. „Ich habe ihn selbst infrage gestellt. Seine Identität. Ich habe ihm Absichten unterstellt, die nicht der Wahrheit entsprachen. Er hatte getrunken und … Und er war so energisch, dass ich … Ich dachte …“ Sie stockte.

      Cora zog Ava zu sich heran und hielt sie fest in ihren Armen. Diese Erfahrung war neu für Ava, denn noch nie zuvor hatte jemand sie so im Arm gehalten. Überwältigt von ihren Emotionen begann sie zu weinen. Mit ihrer Schürze trocknete sie sich die Tränen.

      „Er ist ’n guter Mann“, sagte Cora sanft. „Aber du hast auch gesehen, dass er ’n gebrochener Mann is’. Einer, der sich mit dem aufrechtzuhalten versucht, was ihn in die Knie zwingt. Derselben Sache, die bereits seinen Papa ins Grab gebracht hat. Hat uns tief getroffen, dass er nich’ mehr da is’. Als Jarle Norgaard seine Frau verlor, wusste er nichts mehr mit seinem leeren Herzen anzufangen. Und Thor …“ Langsam schüttelte Cora den Kopf. „Auch er geht diesen Weg. Er weiß, was in der Guten Botschaft steht, weil er dieses Buch liest. Er weiß, dass er sein Vertrauen in nichts anderes als in Gott legen soll.“

      Die Pumpe tropfte langsam und stetig und erinnerte damit an Coras Worte.

      „Aber das muss der Mann selber wollen. Niemand wird ihm die Entscheidung abnehmen können.“ Trauer zog sich über Coras Gesicht, als sie sagte: „Es ist ’ne Schande, was Thor sich selbst antut. Aber wenn du mich fragst“ – ein Hoffnungsschimmer leuchtete in ihren Augen auf und spielte um ihre Mundwinkel –, „steckt noch ’n bisschen Überlebenswille in ihm. Noch is’ es nicht zu spät. Er muss seinem Papa nicht ins Grab folgen.“

      An diese Worten klammerte sich Ava. „Du glaubst also, dass noch Hoffnung für ihn besteht?“

      „Ja, Kind. Aber dafür braucht er uns. Er braucht Menschen um sich. Oft scheint’s nicht so, weil er sie wegstößt. Aber das tut er nur, weil die meisten ihm nicht zuhör’n.“

      Also gab Thor doch auf. Warum sollte er auch nicht? Wenn alle Menschen ihn so behandelten, wie sie ihn behandelt hatte …? Ihn als Schuft bezeichneten, während er nur versuchte, einen Ausgleich für seine Stimme zu finden, die ihm eh nie gehorchen würde. Ava verschränkte ihre Finger ineinander, sah zum Haus hinüber und dann wieder zu Cora. „Bitte sag mir, was ich tun kann“, bat sie.

      „Schau ihn an.“ Cora schützte ihre Augen vor der aufsteigenden Sonne und trat einen Schritt näher. „Schau in sein Gesicht, in seine Augen. Sieh ihn. Sieh ihn und sei geduldig. Du wirst es nie bereuen.“ Sie drückte Avas Hand zwischen den eigenen kühlen Händen. „Nimm dir nur zehn Minuten Zeit, um Thor Norgaard kennenzulernen, und