Georg Markus

Die Hörbigers


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sie sei. Da sie natürlich keine Antwort bekam, traf sie die Entscheidung selbst. Und ihre Wahl fiel auf meinen Vater. Sie hat sich für seine Kraft, seine Stärke, seine psychische Ausstrahlung, seine Lebenslust entschieden. Hans Jaray besaß diese Fähigkeiten nicht. So hat sie das immer beschrieben.«

      Paula Wesselys Verbindung zu Hans Jaray wird nie abreißen, solange er am Leben ist. Auch dann nicht, als sie eine umstrittene Rolle in dem Regime spielen wird, das ihn unter Bedrohung seines Lebens vertreiben sollte.

      DIE LEISEN TÖNE DER WESSELY

       Im Ensemble von Max Reinhardt

      Die Schauspieler im Theater in der Josefstadt unter der Führung von Max Reinhardt«, so hieß das Ensemble, das man damals als das beste im deutschen Sprachraum bezeichnete, schon deshalb, weil es das traditionell führende Burgtheater künstlerisch überflügelt hatte. Den Wiener Reinhardt-Schauspielern – zu denen neben Paula Wessely und Attila Hörbiger auch Hans Moser, Gustav Waldau und Hansi Niese zählten – stand die Möglichkeit offen, auch an den anderen Reinhardt-Bühnen in Berlin und Salzburg aufzutreten. Der »Magier des Theaters« hatte 1920, gemeinsam mit Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, die Salzburger Festspiele gegründet und diese innerhalb weniger Jahre zur weltweit beachteten Kultursensation gemacht. Wirklich »dabei« war man aber erst, wenn man unter seiner persönlichen Regie spielte, was alles andere als selbstverständlich war, da er dauernd zwischen seinen vielen Theatern unterwegs oder gar auf Auslandstournee war. Im Sommer 1930 schlug Paula Wesselys Stunde, als sie in Salzburg in einer Reinhardt-Inszenierung in ihrer ersten großen klassischen Rolle auftrat: als Luise in Schillers Kabale und Liebe. »Es gab Töne, Gesten, Entschleierungen von Willen und Naturhaftigkeit«, war in der Reichspost zu lesen, »die nur ein ganz starkes Talent zur Verfügung hat.«

      Paula Wessely hatte die Rolle von Helene Thimig übernommen, die bis dahin als Luise aufgetreten war.

      Thimig. Das ist die zweite große österreichische Theaterdynastie – in der Zeitenfolge allerdings die erste: Es gab sie schon, bevor es die Hörbigers gab.

      Hugo Thimig, der Sohn eines Handschuhmachers aus Dresden, war 1874 nach Wien gekommen, wo er zum bedeutenden Charakterdarsteller des Burgtheaters reifte, dessen Direktor er in den Jahren 1912 bis 1917 auch war. Seine Frau Fanny schenkte ihm drei Kinder, die ebenfalls Schauspieler wurden: Helene, Hermann und Hans. Als auch der Letztgeborene zur Bühne ging, sprach man in Wien vom »Thimig-Theater«. Die Dynastie wurde durch Heirat immer größer und mächtiger: Helene war mit Max Reinhardt, Hermann mit Vilma Degischer und Hans Thimig mit der Schauspielerin Christl Mardayn verheiratet.

      So weit waren die Hörbigers noch lange nicht, der »Clan« ist erst im Entstehen, aber Kabale und Liebe bietet einen kleinen Vorgeschmack dessen, was da noch alles kommen wird: Die Luise ist die einzige Rolle, in der sämtliche Damen des Hauses Wessely-Hörbiger glänzten: 1878 die legendäre Tante Josephine, 1930 Paula in Salzburg, 1965 deren älteste Tochter Elisabeth in der Burgtheaterinszenierung von Leopold Lindtberg, im selben Jahr noch Christiane in Fritz Kortners Regie an den Münchner Kammerspielen und 1967 Maresa in einer Fernsehinszenierung von Gerhard Klingenberg. Und auch das Gretchen im Faust haben sie alle – allerdings mit Ausnahme der Elisabeth Orth – gespielt.

      Während Paula Wessely schon als Anfängerin praktisch nur gute Kritiken erhielt, werden ihr jetzt Hymnen zu Füßen gelegt: »An der Wessely fasziniert, dass sie in Szenen höchster Erregung leise wird, leise in Gebärde, Mimik und Rede. Man hört neben ihren geflüsterten Worten den Atem ihrer Leidenschaft, ja, man glaubt, das stürmische Pochen ihres Herzens zu vernehmen.« Sie selbst ist nicht so pathetisch wie die Rezensenten, sie ist modern oder besser noch: zeitlos.

      Attila Hörbiger reist nach Salzburg, auch wenn er dort im Sommer 1930 noch nicht engagiert ist. Die Kollegen wissen, dass die beiden ein Paar sind, und er ist an der Seite der Wessely in eine Art Kronprinzendasein gedrängt. Über diese für ihn schwierige Situation sprach er, viel später, mit seiner Tochter Elisabeth: »Weißt du, Liesl, ich hab deine Mutter da aus einem Kreis herausreißen müssen, der entweder eine Wut auf mich gehabt hat, weil sie mich genommen hat, oder in dem man eine mehr als leichte Verachtung für mich hatte.« Seine älteste Tochter versteht, warum das so war.

      ELISABETH ORTH: »Diskutierer war er keiner, sein Leben bestand nicht nur aus dem Theater, die allertollsten Manieren der feinen Salons waren ihm auch nicht geläufig, und eine Riesenkarriere hatte er auch nicht gerade hinter sich. Naturbursch mit breitem Brustkasten in einigen Variationen im Film und auf der Bühne. Sicher, ein Mann, auf den die Frauen flogen. Aber mein Gott, auf was flogen denn die Frauen nicht! Manche Dame wäre gerne in seinen Armen gelegen, Naturbursch mit oder ohne Karriere, und jetzt sollte den die Paula bekommen!«

      Im Herbst desselben Jahres ist Attila Hörbiger in Berlin – schon wieder, um für den »großen Bruder« einzuspringen. Der brauchte ihn dringend, weil ihm eine neue Rolle in einem sensationellen Theaterprojekt angeboten wurde: Der Regisseur Erik Charell hatte die Idee, das alte Lustspiel Im weißen Rössl von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg am Großen Schauspielhaus neu herauszubringen – zum ersten Mal mit Musik. Ralph Benatzky, Robert Stolz und Bruno Granichstaedten erhielten den Auftrag, eine Fülle gängiger Melodien zu schaffen, mit denen man am 8. November 1930 eine umjubelte Uraufführung feiern sollte. Camilla Spira war die Rösslwirtin, Max Hansen der Leopold, Siegfried Arno der Schöne Sigismund und Paul Hörbiger – obwohl erst 36 Jahre jung – der alte Kaiser. Die Produktion sollte von Berlin aus um die Welt gehen, das Weiße Rössl wurde zum erfolgreichsten Singspiel des 20. Jahrhunderts.

      Vor der Uraufführung sorgte Paul Hörbiger noch für einen Eklat. Denn er weigerte sich nach der Lektüre des Rollenbuches, »den Kaiser Franz Joseph als senile Figur darzustellen. Man kann über seine Politik denken wie man will«, beklagte er sich bei Erik Charell, »aber das Schicksal dieses Mannes erlaubt es nicht, dass man ihn ins Lächerliche zieht. Ich halte es für geschmacklos, diesen Menschen jetzt als alten Trottel zu zeigen. Tut mir Leid, Sie müssen sich einen anderen suchen, der den Franz Joseph spielt. Ich habe unter ihm gedient und trage seine Auszeichnungen, das kann ich nicht machen.«

      Da man auf den durch seine frühen Stumm- und Tonfilme bereits populären Paul Hörbiger nicht verzichten wollte, wurden die Auftritte des Kaisers tatsächlich »gemildert«, so dass sich der Star beruhigte und mit der neuen Version zufrieden gab. Das wiederum brachte den Direktor des Theaters in der Stresemannstraße in Bedrängnis, der Paul Hörbiger bereits für die Rolle des Journalisten in Bruno Franks Komödie Sturm im Wasserglas vorgesehen hatte. Bruder Attila wurde angerufen – und übernahm einmal mehr.

      Der ursprünglich als Graf-Bobby-Figur gedachte Franz Joseph musste in seiner Charakteristik wohl stark verändert, ja sogar ins Gegenteil verwandelt worden sein. Denn das 12-Uhr-Blatt vermerkte in seinem Premierenbericht zum Weißen Rössl: »Paul Hörbigers hinreißende Darstellung des Kaisers wird zur gefährlichen monarchistischen Propaganda.«

      Eine Gefahr ganz anderer Dimension wurde indes sträflich unterschätzt: Bei den wenige Wochen vor der Rössl-Uraufführung stattfindenden Reichstagswahlen hatte Hitlers NSDAP ihren Anteil von 12 auf 107 Abgeordnete steigern können, womit sie zur – nach den Sozialdemokraten – zweitstärksten Partei Deutschlands wurde. Die Nationalsozialisten hatten damit ihren Weg zur Macht geebnet – und kamen mit ihren brutalen Methoden schon der nächsten, wahrhaft historischen Aufführung, an der Paul Hörbiger teilnahm, in die Quere: Am 2. November 1931 feierte Ödön von Horváths Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald in Heinz Hilperts Regie am Deutschen Theater seine Weltpremiere. Hans Moser zeichnete, wie die Kritik einhellig feststellte, mit dem Zauberkönig »seine bisher köstlichste Figur«, Carola Neher gab die Marianne, Peter Lorre den Alfred und Paul Hörbiger »einen prachtvollen Rittmeister, eine jener typischen, altösterreichischen Figuren, die im heutigen Dasein wie anachronistische Kuriositäten wirken«, so der Berliner Rezensent des Neuen Wiener Journals. Als die Geschichten aus dem Wiener Wald zwei Jahre später wegen ihres überragenden Erfolgs auf anderen deutschen Bühnen gezeigt werden sollten, war’s schon zu spät: Die Nationalsozialisten stellten die Regierung und setzten das Stück, dem sie »Herabwürdigung und Verächtlichmachung«