Galen Strawson

Was mich umtreibt


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die es nicht können, wohl größer als alle kulturellen Differenzen. Emil Cioran räumt der Schlaflosigkeit sogar eine so immense Bedeutung ein, dass er geneigt ist, den Menschen als «das übernächtigte Tier» zu bezeichnen.

      Mit «Bewusstsein vom Ich» meine ich also das sichere Empfinden des Menschen, eine spezifische mentale Gegenwart zu sein, ein mentaler Jemand, mentaler Ort der Wahrnehmung, ein bewusstes mentales Subjekt, das sich von seinen einzelnen Erfahrungen, Gedanken, Hoffnungen, Wünschen und Gefühlen unterscheidet. Dieses «Selbst-Bewusstsein» bildet sich bei fast allen Menschen bereits in der Kindheit aus. Besonders lebhaft erfahren wir es meistens, wenn wir allein sind und denken, aber auch im Lärm eines überfüllten Raumes kann es deutlich zutage treten. Eng damit verbunden ist für die meisten Menschen der Eindruck, dass ihr Körper bloß Wohnstatt für ihr geistiges Wesen ist, ihr eigentliches «Selbst». Physische Betätigung oder Schmerz verdrängen ihn nicht; vielmehr wirken sie oft verstärkend darauf, dass das «Selbst» als etwas vom Körper Unabhängiges verstanden wird.

      Damit meine ich nicht, dass ein Bewusstsein vom «Selbst» mit dem Glauben an eine immaterielle, unsterbliche Seele zusammenfällt. Philosophische Materialisten, die, wie auch ich, davon ausgehen, dass jede Bewusstseinsaktivität ein rein physischer Vorgang ist, erleben das «Selbst» im gleichen Maße wie jeder andere Mensch auch.

      Unser allgemeiner, natürlicher und unreflektierter Begriff vom «Ich» lässt sich in sechs bis sieben teilweise ineinandergreifende Aspekte gliedern, die ich im Folgenden näher erläutern möchte. Psychische Störungen oder besondere spirituelle Praktiken, so interessant und berechtigt ihre Betrachtung auch sein mag, werde ich dabei ausklammern.

      – Erstens: Das «Selbst» wird als Ding erfahren/verstanden, wenngleich schwer fassbar.

      – Zweitens: Es ist etwas ausschließlich Mentales; auch dies bedarf genauerer Erläuterung.

      – Drittens: Es ist das erlebende Subjekt, welches ganz bewusst fühlt, denkt oder auswählt.

      – Viertens: Es ist singulär, einzigartig.

      – Fünftens: Es ist etwas Distinktes, klar Unterschiedenes in folgendem Sinne: es ist nicht dasselbe Ding wie der ganze Mensch, insofern der Mensch als ein Ganzes betrachtet wird.

      – Sechstens: Es wird als Agens, als Handelndes, Wirkendes erfahren/verstanden.

      – Siebtens: Es besitzt einen Charakter, eine individuelle Persönlichkeit.

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      Was genau bedeutet es also, das «Selbst» als Ding zu verstehen? Erst einmal lässt sich sagen, dass das «Selbst» weder ein Zustand noch eine Eigenschaft von etwas ist. Ebenso wenig wird es als Ereignis oder Prozess erfahren. Also kann es sich notwendigerweise nur um ein Ding handeln. Kein Ding im Sinne der Körperhaftigkeit eines Steines oder eines Stuhls, aber doch im weitesten Sinne ein Ding mit Kausalcharakter. Also etwas, das Veränderungen unterliegen kann und das Einfluss auf andere Dinge nimmt. George Berkeleys Charakterisierung des «Selbst» als «geistiges tätiges Prinzip» kann hier genauso gut dienen wie jede andere. «Prinzip» in seinem alten Sprachgebrauch scheint das Problem auf elegante Weise zu lösen, indem es weitestgehend ein Ding evoziert, ohne gleich an ein fassbares Objekt, wie einen Tisch oder einen Stuhl, zu erinnern. Und doch denke ich, dass wir die Kategorie Ding um den von Fichte geprägten Begriff «Tathandlung» erweitern sollten. Objekte physischer Natur, wie Stühle, Berge, etc., werden auf metaphysisch-wissenschaftlicher Ebene ebenso als Prozess betrachtet. Prozesse, die nichts weiter zu sein brauchen, als sie es bereits sind, und darin weiter existieren oder stattfinden dürfen.

      Betrachten wir die zweite Eigenschaft des «Selbst», das rein Mentale. Auf den ersten Blick einleuchtend, bedarf es bei der mentalen Natur des «Selbst» doch einer differenzierteren Erklärung. Die zentrale Idee scheint folgende: Wenn das «Selbst» als Ding gedacht wird, scheint seine Forderung, dem Bereich der Dinge anzugehören, schon durch seine mentale Natur ausreichend begründet zu sein. Nichtsdestotrotz kann es über eine nicht-mentale Natur verfügen, wie ich oder andere Philosophen annehmen – eine nicht-mentale Natur in Form eines Systems oder einer Vielzahl von Systemen innerhalb des Gehirns. Aber die «Dinghaftigkeit» des «Selbst» gründet hier nicht auf der Ebene des Nicht-Mentalen. Das «Selbst» ist ein mentales «Selbst». Es stimmt, dass wir ganz selbstverständlich davon ausgehen, mentale und nicht-mentale Eigenschaften zu besitzen. Das wirkt sich allerdings nicht auf die allgemein verbreitete Auffassung vom «Selbst» als etwas spezifisch Geistigem aus.

      Wie bereits gesagt, schließt das Bewusstsein vom «Selbst» als einem spezifisch mentalen Ding nicht notwendigerweise den Glauben an eine immaterielle Seele ein. Es trägt allerdings durchaus Züge, die einen solchen Glauben ganz unweigerlich nach sich ziehen können. Es ist einfach, sich das mentale «Selbst» als autarke, sich selbst genügende Einheit vorzustellen, die innerhalb einer Sphäre existiert, die nichts mit der durch die Physik beschriebenen Realität zu tun hat. Die Dinge sind nicht das, was sie scheinen, wie wir Materialisten sagen, aber sie erscheinen als das, was sie scheinen. Und vor diesem Hintergrund lässt es sich einfach erklären, wie natürlich es ist, das «Selbst» als etwas spezifisch Mentales zu betrachten.

      Die dritte Eigenschaft des «Selbst» als Subjekt der Erfahrung und des Erlebens erscheint mir eindeutig und leicht zu verstehen. Was also ist ein Subjekt der Erfahrung? Der eine oder andere mag dies als heikle Fragestellung betrachten, und doch meine ich, dass der gesunde Menschenverstand eine sehr präzise Vorstellung davon hat. Vielleicht ist die Antwort nicht so leicht in Worte zu fassen, aber das Verständnis davon besitzen wir intuitiv, da wir alle Subjekte der Erfahrung sind und uns unserer selbst sehr bewusst sind, unabhängig davon, welche religiöse oder philosophische Überzeugung wir vertreten. Eigentlich wird der Mensch in seiner Gesamtheit von Körper und Geist als Subjekt der Erfahrung betrachtet, wie nebenbei auch alle anderen Lebewesen. Wir Menschen tendieren allerdings dazu, insbesondere unser mentales «Selbst» als erfahrendes, erlebendes Subjekt anzusehen. Das muss nicht notwendigerweise korrekt sein. Ich versuche an dieser Stelle vor allem zu beschreiben, wie wir dies erleben.

      Nun zum vierten Aspekt des «Selbst», seiner Singularität. Aber inwiefern ist das «Selbst» denn einzigartig? Nicht in Form eines einzelnen Kollektivs, wie beispielsweise ein Haufen Murmeln singulär ist, sondern eher in dem Sinne, dass eine einzelne Murmel einzigartig ist, wenn man sie in Vergleich zu einem Haufen Murmeln setzt. Das «Selbst» wird standardmäßig als singulär betrachtet. Dies gilt sowohl für sein «synchrones» Erscheinen, also zu einem bestimmten Zeitpunkt während einer einheitlichen, lückenlosen Bewusstseinsperiode, als auch für seine «diachrone» Existenz, d. h. als etwas über einen längeren Zeitraum hinweg Bestehendes. Wirklich ununterbrochene Bewusstseinseinheiten sind, wie ich denke, extrem kurz, wenige Bruchteile einer Sekunde vielleicht, allerhöchstens ein paar Sekunden. Man sollte den Terminus «synchron» durchaus etwas ausdehnen, um solche Abschnitte abdecken zu können.

      Manche behaupten, das «Selbst» als etwas Fragmentarisches, Multiples zu erleben, und ich glaube, jeder von uns hat entsprechende Erfahrungen gemacht, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Manches Mal sind wir rasch wechselnden, sich überlagernden Stimmungen oder gravierenden inneren Interessenkonflikten unterworfen. Gedankliche Prozesse können mit einer solch rasenden Geschwindigkeit ablaufen, dass sie förmlich auf uns einstürzen und keine gedankliche Ordnung mehr zulassen. Das mag als Beleg für ein multipel-synchrones Erfahren des Selbst genommen werden.

      Nehmen wir einander widerstreitende Bedürfnisse in uns wahr, verstärkt dies jedoch meist unseren Eindruck vom «Selbst» als einer singulären Einheit. Ist es nicht letztendlich so, dass man eine derartige innere Diskrepanz nur dann zu registrieren vermag, wenn man sich im Grunde als ein Einziges betrachtet? Wie ist es zum Beispiel, wenn uns eine chaotische Gedankenflut überkommt? Meistens empfinden wir uns dann als hilflose Zuschauer einem mentalen Pandämonium gegenüber. Und auch hier: Die Erfahrung, ein bloßer Zuschauer zu sein, verstärkt doch wieder unsere Wahrnehmung von uns selbst als singulärer Einheit. Und sollte man annehmen, dass es überhaupt möglich