ist machtvoll, aber sie bleibt eben doch nur eine Metapher, die ihre Stärke aus der ursprünglichen Erfahrung von Singularität bezieht. Wie Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft bemerkt, «… kann doch das subjektive Ich nicht geteilt und verteilt werden, und dieses setzen wir doch bei allem Denken voraus».
Nun zum fünften Aspekt des «Selbst», seiner Unterschiedenheit. Wovon unterscheidet sich das «Selbst»? Auf diese Frage lassen sich gleich mehrere Antworten finden. Zuallererst wird das «Selbst» als etwas von der körperlichen Gesamtheit des Menschen Verschiedenes verstanden. Darüber hinaus unterscheidet es sich zweitens auch von allen mentalen Vorgängen, wie Gedanken und Gefühlen etc., denn es hat Gedanken und Gefühle, fällt aber nicht mit ihnen zusammen oder wird gar von diesen gebildet. – David Hume zog das «Selbst» als Serie mentaler Vorgänge in Betracht. Der gesunde Menschenverstand steht allerdings einer solchen «Bündel-Theorie» entgegen. Hume selbst hat diesen Gedanken am Ende auch wieder verworfen. – Drittens lässt sich sehr wohl denken, dass das «Selbst» von allen unbewusst ablaufenden mentalen Vorgängen, wie Überzeugungen, Vorlieben, Erinnerungen oder Charakterzügen, unterschieden ist. Und zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es sich als getrennt von allem Physischen denken lässt – etwa als immaterielle Seele. Diese Idee ist allerdings nicht integraler Bestandteil des «Ich-Bewusstseins».
Unter dem sechsten Aspekt wird das «Selbst» gemeinhin als Agens, als Handelndes verstanden. Es geht seinen eigenen Aktivitäten nach – Denken, Vorstellen, Wählen –, und das ganz unabhängig von den übrigen Aktivitäten des Körpers, ja es setzt diese sogar selbsttätig in Gang. Um es mit den Worten von William James auszudrücken: «Anstrengung der Aufmerksamkeit ist somit die wesentliche Erscheinung des Wollens.» Für uns alle ist dies wohl ohne Weiteres nachzuvollziehen.
Der siebte Aspekt besteht in der These, dass das «Selbst» einen Charakter, eine Persönlichkeit besitzt, so wie auch der gesamte physische Mensch. Wir alle verstehen unseren individuellen Charakter als die Art, wie wir von unserem Wesen her sind. Gehen wir also davon aus, dass unsere Existenz ein mentales «Selbst» einschließt, so sehen wir ganz selbstverständlich dieses geistige «Ich» als Sitz unserer Persönlichkeit.
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Setzt man voraus, dass diese sieben Aspekte das gewöhnliche «Bewusstsein vom Ich» im Wesentlichen umfassen, stellt sich doch die Frage, ob sie für das genuine, eigentliche «Bewusstsein vom Selbst» allesamt unabdingbar sind. Ich denke nicht – nicht einmal im Falle der menschlichen Spezies.
Der Zweifel an der Charakterlichkeit des Selbst liegt auf der Hand. Für die meisten Menschen ist ihre eigene individuelle Persönlichkeit im jeweilig gegenwärtigen Moment kaum wahrnehmbar. Sie ist der Standpunkt, von dem aus die Welt betrachtet wird, oder das Instrument, durch welches das Äußere erfahrbar wird. Sie stellt sich ihnen als automatische, nicht hinterfragbare Gegebenheit dar, als eine globale, unsichtbare Kondition ihres Lebens, wie die Luft, nicht als ein Objekt der Erfahrung. Ian McEwan spricht von einem «gläsernen Kontinuum unserer Persönlichkeit», wobei er, wie ich glaube, die Transparenz oder Unsichtbarkeit des eigenen «Selbst» meint, das sich der Wahrnehmung durch das «Selbst» entzieht. Sartre äußert sich dazu folgendermaßen:
«Diese Überlegungen ermöglichen eine Erklärung dessen, was wir Charakter nennen. Es ist hierbei ja festzuhalten, dass der Charakter nur als Erkenntnisobjekt für den Andern eine bestimmte Existenz hat. Das Bewusstsein erkennt seinen Charakter nicht – außer, wenn es sich reflexiv vom Gesichtspunkt des Andern aus bestimmt – […] Deshalb bietet die bloße introspektive Selbstbeschreibung nie einen Charakter dar.»
An dieser Stelle sollte unbedingt erwähnt werden, dass die meisten Menschen sich selbst in bestimmten Situationen als «Ort des Bewusstseins», als bloßen «kognitiven Standpunkt» erfahren. Meist sind es kurze Begebenheiten, die in uns ein derartiges Erleben unserer selbst hervorrufen: Erschöpfung, Einsamkeit, Schock, Sex, abstraktes Denken, Langeweile, ein heißes Bad oder einfach das Gefühl beim Aufwachen.
Auch eine klinische Depression kann bei gravierendem Verlauf eine «Entpersonalisierung» mit sich bringen. Ein pathologisches Phänomen, das sich für die erkrankte Person auch über einen längeren Zeitraum hinweg als realer Zustand darstellt. Gleich einer außerirdischen Spezies ohne individuelle Persönlichkeit und dennoch ausgestattet mit einem klaren Verständnis von sich als «Ort des Bewusstseins».
Demgegenüber steht ein starkes Empfinden der eigenen mentalen Individualität, wie es beispielsweise Gerard Manley Hopkins umschreibt:
«Mein Selbst-Sein, mein Bewusstsein und das Gefühl meiner selbst, der Geschmack meines Selbsts, von Ich und mir über und in allen Dingen, der deutlicher ist als der Geschmack von Bier oder Alaun, deutlicher als der Geruch eines Walnussblatts oder von Kampfer, und der für einen anderen Menschen nicht mitteilbar ist auf irgendeine Weise … Nichts anderes in der Natur kommt diesem unbeschreiblichen Akzent von Tonhöhe, Unterscheidungskraft und Selbsterfahrung, dem Bewusstsein meines eigenen Selbst, nahe.»
Mich irritieren Hopkins Zeilen. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, dass sie der Wahrheit entsprechen sollen, selbst wenn so mancher sie mir als exakt und zutreffend bestätigt hat. Um mit Sartre zu sprechen: Den meisten Menschen entzieht sich ihre Persönlichkeit der eigenen momentanen Wahrnehmung und bleibt für sie schlicht unbemerkt.
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Hartnäckiger hält sich die Idee, das Empfinden vom «Selbst» müsse zwangsläufig eine gewisse Dauerhaftigkeit einschließen. Ich denke jedoch, dass die Selbstwahrnehmung zu jedem gegebenen Zeitpunkt lebhaft und vollständig ist, mag der ununterbrochene «Bewusstseinsabschnitt» auch noch so kurz sein.
Man mag davon ausgehen, dass es dem Menschen unmöglich ist, sich nicht als fortdauerndes «Selbst» zu empfinden, auch, dass eine solche Hypothese der menschlichen Natur und Lebensrealität entgegensteht, und doch bin ich der festen Überzeugung, dass ein Leben ohne das Bewusstsein einer Langzeitkontinuität des mentalen «Ich» durchaus im Bereich menschlicher Erfahrung liegt. Wir können uns sehr wohl im Klaren darüber sein, als mehr oder weniger gleichbleibende körperliche Präsenz zu existieren, ohne dies notwendigerweise für unser mentales «Ich» in Anspruch zu nehmen. Vielleicht spielt diese Vorstellung von emotionaler Warte aus keine große Rolle für uns, vielleicht trägt sie auch nicht grundlegend zu unserer generellen Wahrnehmungsweise bei. Die einzelnen Menschen unterscheiden sich tiefgreifend in ihrem Erleben von Kontinuität.
Diesen Unterschieden Rechnung tragend, möchte ich William James zitieren:
«In der ersten Person überlasse ich meine Beschreibung der Akzeptanz der anderen, für deren Selbstbeobachtung es [die Kontinuität] sich als wahr erweisen mag, und gestehe meine Unfähigkeit, den Anforderungen anderer zu entsprechen, wenn es andere gibt.»
Als James dies schrieb, wird er wohl kaum ernsthaft in Betracht gezogen haben, dass es jemanden gibt, der anders empfindet als er selbst. Ebenso wenig wird Hume davon ausgegangen sein, dass manche Menschen, wenn sie den Blick nach innen richten, ein gleichförmiges, fortdauerndes «Selbst» vorfinden, auch wenn er, Hume, sich sicher ist, dass ein «solches Prinzip» nicht in ihm zu finden sei. Für mich dagegen steht außer Frage, dass andere Menschen anders sind als ich selbst. Allerdings denke ich, dass meine Art des «Selbst-Erlebens» gleichwohl Teil des normalen menschlichen Erfahrungsspektrums ist, auch wenn sie die Normalität einer Minderheit repräsentiert – einer Minderheit, die in etwa der Häufigkeit roter Haare entspricht.
Die gleiche Divergenz findet sich bei der Merkbzw. Erinnerungsfähigkeit der Menschen. Manche verfügen über ein exzellentes «autobiografisches» Gedächtnis und eine außergewöhnlich lebhafte Erinnerung, die nicht nur verlässlich, sondern ebenso nachhaltig ist. Häufig ist dieses Erinnern sehr aktiv und vermischt sich mit gegenwärtigen Gedanken. Andere dagegen verfügen nicht über ein solch ausgeprägtes persönliches Gedächtnis. Ihr Erinnern verläuft in sehr ruhigen Bahnen und greift fast nie in das gegenwartsbezogene Denken ein. Gleichermaßen variierend zeigt sich die Vorstellungskraft der Menschen, ihre Fähigkeit, Dinge zu antizipieren oder