wartete etwas.
Dann sagte sie: «Tut mir echt leid, ja. Aber das kennen wir mittlerweile. Sieh dich doch mal um, Jan. Die Kinder werden größer, jeder wird älter. Darüber können wir doch mal reden?»
«Schluss», sagte Vater, plötzlich wütend. Er betrachtete seine eigene, geballte Faust, die er bis zu seinem Ohr erhoben hatte. In ihr steckte noch eine Gabel. Wäre es eine Serviette gewesen, hätte er sie auf den Tisch gefeuert, aber wir arbeiteten noch nicht mit Servietten.
«Jan», sagte Mutter, was bewies, dass sie noch viel mitbekam.
Er legte seine Gabel auf den Tisch und schob sich mit seinem einen Fuß kräftig nach hinten, sodass er am Ende krumm dasaß und die Wirkung größtenteils verloren ging.
Es dauerte anschließend etwas, bevor er auf den Beinen war – inzwischen hatte Ada schon seine Krücken geholt. «Ich verstehe, dass dir die Vorstellung nicht gefällt», sagte sie. «Uns gefällt sie auch nicht. Es ist ja auch keine schöne Vorstellung. Aber versuche, dich in nächster Zeit ein wenig daran zu gewöhnen. Irgendwann muss es ja doch sein, wie leidig und unangenehm es auch ist.»
Ohne zu antworten, arbeitete er sich durch die Küche nach hinten. Bei der Tür drehte er sich noch einmal zu Mutter um. «Ich baue dir einen neuen Zaun im Garten», sagte er. Es klang fast wie eine Drohung. «Morgen hast du einen neuen Zaun im Garten.»
Ada schaute ihm seufzend hinterher. Danach setzte sie sich wieder an den Tisch, seufzte nochmals und griff dann zum Kartoffellöffel. «Mag noch jemand?»
«In Papas Schniedel ist ein Schniedel», sagte Suze.
«Nur einer», sagte ich, und ich hielt Ada meinen Teller hin. «Nur einer. Papa hat nur einen Schniedel, so wie jeder.»
Mit einem schönen, trockenen Geräusch fielen die Kartoffeln vom Löffel auf den Teller. «Du hast meine Eichel gesehen», sagte ich. «Jeder hat eine Eichel. Alle Männer. Opa auch.»
Mein Mädchen pikste neugierig in eine Kartoffel. Sie aß gut. Sie mochte fast alles.
7
DASS DIE PRODUKTION NACH EINER ÜBERNAHME ZURÜCKGEHT, IST UNÜBLICH. Es kommt nicht vor. Es ist nicht logisch, nicht normal. Sein ganzes Leben hat der Sohn gesehen, wie der Vater es gemacht hat. So lernte er das Fach, die Tiere, den Boden, die Saaten, so bekam er ein Gefühl für den Betrieb. Sein ganzes Leben lang hat der Sohn auch darüber nachgedacht, wie es besser laufen könnte, effizienter. Sobald der Vater den Hof verlässt, macht es der Sohn auf seine Weise, natürlich unter Beibehaltung des Guten. So ist es immer gegangen, nicht nur bei den Bauern. Man profitiert vom Vorgänger und braucht sich den Kopf nicht mehr an den Balken anzustoßen, die dessen Schritt verlangsamt haben. Die Produktion wird mehr. Nicht weniger.
Nach dem Melken laufen die Kühe durch die hinteren Türen ins Freie, wo sie ihrem ausgetretenen Pfad auf die Weide folgen. Früher hat sie der Hund dorthin getrieben, und zwar immer mit mehr Begeisterung als nötig, aber der Hund hatte mich gebissen.
Nie habe ich meinen Vater weinen sehen, nicht aus Trauer, Entsetzen oder Rührung, selbst nicht, als seine Eltern starben, oder er sein Bein verlor. Aber an dem Tag, als der Hund getötet werden musste, war er untröstlich, ein Waschlappen, die Rührseligkeit selbst.
«Ich wollte nur mal ganz kurz weg», sagte er, «aber ich bin noch nicht zur Tür hinaus, bin noch nicht um die Ecke, da springt er ihn an. Ein Blitz. Ich hörte, wie es geschah. Die erste Chance, die der Hund bekam, hat er gleich ergriffen.»
Später fragte er, ob ich etwas getan hätte, um den Hund aus der Fassung zu bringen. «Deine Mutter hat gemeint, es wäre noch etwas zu früh, jetzt schon davon anzufangen», sagte er, «aber es war mein Hund, ich muss es wissen.»
«Unser Herrgott hat alle seine Kinder gleich lieb», sagte Mutter. Sie häkelte niedrige Schmuckgardinen gegen Einblicke von der Straße.
«Ja», sagte Vater. Er stand auf. «Aber wir haben nur eins.»
Ich öffnete das Gatter, die Kühe liefen bis nach hinten durch. Den Tag über grasten sie sich wieder schräg nach vorne zurück. Jede Sekunde ein Maul Gras, ihre Hüpfbälle von Mägen mussten so schnell es ging gefüllt werden; danach gab es noch so viel Arbeit zu tun. Sie waren notgedrungen grob und gefräßig. Alles ging mit hinein. Nägel, Schrauben, Stücke vom Gartenschlauch. Alles, was man liegenließ, was von der Straße aus in die Wiese geworfen, alles, was aus den Maschinen gerüttelt wurde. Bis ins Schlachthaus waren wir mit Magneten zugange.
Das Gras war dunkel, noch wollig vom Nebel, der Himmel voller Schwalben. Sie flogen und flogen, die Schwalben, keinen Moment hatten sie Ruhe. Sie machten alles in der Luft: fressen, sich paaren und schlafen. Sie mussten immer hoch in den Himmel hinaufsteigen und sich danach fallen lassen, um während des darauffolgenden, kurzen Herabtaumelns wenigstens für kurze Zeit einnicken zu können.
Ich ging auf die Wiese, zu schnell für Suze, die aus dem Haus gekommen war und innen über den Hof auf mich zugerannt kam und schon bald nach mir rief. Vielleicht war der Kaffee fertig, vielleicht saß jemand in der Küche, vielleicht war auch nichts. Sie blieb kurz stehen, rief wieder und nahm dann die Verfolgung auf.
Sie liebte mich.
Mehr als ich mir je hätte denken können.
Sie war bei mir, wollte bei mir sein, sie war wie Wachs in meinen Händen.
Wenn ich ins Haus trat, konnte ich fühlen, wie sehr man auf mich gewartet hatte. Mit wie viel Liebe. Ganz gleich, womit sie in diesem Moment beschäftigt war, sie ließ alles aus den Händchen fallen, sprang auf und flog auf mich zu.
Sie wollte in meine Arme, jeden Tag – Vater und Tochter drückten sich fast zu Mus.
Ich liebte sie auch, auch mehr als ich je hätte denken können. Mehr als mich selbst, wenn das noch etwas zu bedeuten hat, viel mehr, unübersehbar viel mehr. Ein Haus ohne Suze war kein Haus, ein Essen ohne sie gab es nicht – ich hatte mir nie vorgestellt, wie es sein würde, Aufstehen, die Rituale des Aufstehens, und dass sie dann nicht da war.
Ich liebe sie immer noch, natürlich liebe ich sie noch immer. Warum sollte ich sie nicht mehr lieben? Ich glaube, ich bin in unserem Leben nur ein oder zwei Mal böse auf sie gewesen.
Sie rief und rannte, aber schnell näher kam sie nicht. Ich gehe auch etwas schneller als die meisten Leute. Etwas schneller, nicht viel. Bloß einen kleinen Extraschritt. Ada sagt, es sähe aus, als würde ich den ganzen Tag mit einer Schubkarre herumlaufen, auf den letzten Metern vor dem Auskippen auf den Misthaufen. Ich gehe, als hätte ich gerade einen Gang zugelegt, als hätte ich einen Schubs bekommen, als würde mich jemand anschubsen, wie man ein Kind, das neben einem radelt, aus Versehen ein klein wenig fester anschiebt als es ihm angenehm ist.
Ich gehe im Tempo des Betriebs, bestimmt vom Zusammenspiel von Einkünften und Ausgaben. Das Tempo wird höher, je ungünstiger das Zusammenspiel ausfällt. So günstig ausgefallen, dass ich das Tempo ruhigen Herzens hätte verlangsamen können, ist es noch nie.
«Papa, nicht so schnell!»
Wie oft hatte ich das nicht schon gehört. Papa, nicht so schnell. Nicht so schnell, Tille, wir haben keine Eile, wir brauchen nicht verschwitzt anzukommen. Aber so gehe ich, so ging ich über mein Land, das Land, auf dem die Familie schon in der vierten Generation Kühe hielt. Erst Holstein-Rinder, danach Holstein-Friesians, große, hochgezüchtete amerikanische. Plump und groß und schlammig fürs Auge, hochbeinig, es geht viel Wind unter ihnen durch.
Die Milchkuh musste kantiger werden, das Rückgrat mager, nach unten hin mussten sie immer breiter werden. Alle Energie musste nach unten gehen, ins Euter, in die Milch. Sie sollten die Energie nicht für sich selbst verwenden.
Produktionsverlust frisst an dem, was du bist, was du immer warst: ein Bauer, ein guter Bauer, oder zumindest ein durchschnittlicher. In der Zeit der Milchkannen dauerte es nicht lange, bis ein solcher Verlust zur Schande wurde. Sofern nicht schon der Milchfahrer bemerkte, dass sich die Kannen verdächtig leicht