einmal aufrecht im Bett saß, alles nass.
Die Orientierungslosigkeit. Als ob ihre Augen sich scharf stellen mussten.
Ich erinnere mich an die Hebamme, das rasche Telefonat mit dem Hausarzt, das Trara, Ada die Treppe runterzubekommen, und dann doch noch die verspätete Fahrt ins Krankenhaus.
Wären meine Eltern gleich beim ersten Lärm aufgestanden und nach unten gegangen, nach draußen bis zum Zaun, hätten sie uns bis hinter Derksens Haus und sogar noch etwas weiter, bis über den Kreisel links ab auf die Ausfallstraße zur Hauptstraße nachsehen können, die anschließend dreißig Kilometer kerzengerade südwärts zur Stadt führte.
Es wurde kälter, der Winter hatte eingesetzt. Auf den Feldern lag Schnee, eine dünne Schicht, die Welt war eine weiße, stille Fläche, aus der jedes Geräusch vorübergehend entfernt war, auch das von Ada und dem Auto produzierte.
Unten links lag das Brachfeld, wo Rosalinde gefunden werden würde, kaum erhellt von dem künstlichen Licht entlang der Straße. Die Ermittlungsbeamten dachten, ich hätte den Ort nach dem Unglück sicher gemieden. Mich möglichst von dort ferngehalten, weil ich nicht mehr damit konfrontiert werden wollte. Aber die Wahrheit ist, dass ich fast nie irgendein Problem hatte, weil ich immer, wenn ich daran vorbeifuhr, an mein Mädchen dachte und an die Nacht, als sie zur Welt kam.
Da war schon eine Erinnerung vor der Erinnerung an das Unglück, etwas, das früher geschehen war, Suzes Geburt. Das Leben ist stärker als der Tod, jedenfalls in meinem Gedächtnis. Suzes Nacht strahlte durch alles hindurch, was sich davorgeschoben hatte.
Erst wollte sie nicht kommen, das Mädchen steckte im Geburtskanal fest. Nach jeder Wehe schwächte sich ihr Herzschlag wieder gefährlich ab. Zeitweilig war er sogar völlig verschwunden. Die Zeit geht schnell, wenn du auf einen Bildschirm starrst, auf dem der Herzschlag deiner Tochter in Linien und Pieptöne übersetzt wird. Kurze Erholungsphasen im Wechsel mit Sturzflügen. Schnell und langsam zugleich, wie es manchmal heißt.
Irgendwann wurde unser Zimmer von einem medizinischen Team gestürmt, bestehend aus Männern, Frauen und Mädchen. Ein quadratischer Kasten auf Rädern wurde von einer Frau in einem langen Arztkittel hereingeschoben.
Es wurde gearbeitet, geschnitten und gerufen.
Das Wunder wurde spitzköpfig an der Vakuumpumpe zum Vorschein gebracht.
Mit einer Schere schnitt ich das Mädchen von der Mutter. Das Geräusch war anders, als ich es mir vorgestellt hatte, schärfer; ich musste auch mehr Kraft auf die Schere ausüben, als ich erwartet hatte.
Suze musste gewogen und gemessen werden, betatscht, befingert und kontrolliert, in einem Nebenraum. Ada musste hergerichtet und zugenäht werden. Leicht im Kopf und schwankend, als hätte ich zu viel Sauerstoff eingeatmet, wartete ich, bis man mir Suze anvertrauen würde.
Dann lag sie in meinen Armen, in ein Tuch gewickelt, rosarot, fleckig und hilflos. Ich wiegte das Kind, mein eigen Fleisch und Blut, rot, mager, hässlich, lautstark. Mit meinem Herzen und Wesen wiegte ich sie. Schwingen war es eher, ja, schwingen tat ich das Kind, auf meinen Hüften hin und her, und ich legte zum ersten Mal meine Nase auf das Köpfchen meiner Tochter. «Jetzt bist du bei mir», flüsterte ich, «jetzt bist du bei mir.»
4
NACH DEN SCHWANGERSCHAFTEN UND GEBURTEN WAREN ADAS ARME UND BEINE ZWEIMAL SO DICK GEWORDEN. Der Bauch auch, die Brüste quollen fast aus dem BH. Wenn sie nackt war und sich weit vornüberbeugte, zum Beispiel um sich die Zehen abzutrocknen, sah sie von der Seite manchmal aus wie ein Wesen mit sechs Gliedmaßen.
«Früher brauchte ich mich mit nichts vorzusehen», sagte sie. «Aber jetzt?» Sie machte eine hilflose Geste. «Ich brauche ein Mars nur anzuschauen und nehme schon zu.»
«Dann schau halt nicht hin», sagte Mutter.
Die Kinder wurden größer, Ada wurde größer, ich blieb gleich – ich habe immer ein stabiles Gewicht gehalten – und Mutter wurde kleiner. Kompakter. Als ob ihr spezifisches Gewicht zugenommen hätte.
«Beließe sie es nur beim Hinschauen», sagte Vater. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte er es schon sehr oft gesagt und als hätte sie nicht auf ihn hören wollen.
Ada setzte sich, behäbiger als zuvor, aber das gehörte dazu.
«Nach zwei solchen Schwangerschaften ist man wirklich nicht mehr dieselbe. Hattest du geglaubt, in einem Frauenkörper würde sich dadurch nichts verändern? Das weißt du doch auch, Tille. Ich konnte doch immer essen, was ich wollte! Gut, das habe ich nicht, natürlich nicht, nein, aber das hatte andere Gründe, darum geht es jetzt nicht. Das weißt du doch auch.»
Ich antwortete ihr nicht, ich fand es nicht schlimm, dass sie gewachsen war, nicht unangenehm. Im Bett konnte ich die Wölbungen riechen, scharf und süß, ich spürte die gestiegene Temperatur des ehelichen Fleisches. «Ada», flüsterte ich, denn alle schliefen schon.
Manchmal stieß ich sie an. «Ada, bist du noch wach?»
Sie ächzte leise.
Ich drehte mich auf die Seite und atmete ihr ins Ohr. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte es Ada Spaß gemacht, wenn wir uns auf dem Bett gegenübersaßen, nackt und mit nur einer schwachen Lampe an, und spielten, wer am längsten die Finger vom anderen lassen konnte. Ich verlor immer, außer wenn ich mich über das Bett zu ihr beugte und ihr sanft ins Ohr atmete. Das hatte ihr immer gefallen, es schien schon wieder eine geraume Zeit her zu sein.
«Du», flüsterte ich, «bist du wach?»
Sie wälzte sich hin und her. «Tille», sagte sie, «ach.»
Ich legte meine Hand auf ihren Bauch, sie war ein Wasserbett aus weißem Fleisch. Die Masse bewegte sich unter meiner Hand, weich und massiv. Einen Nabel konnte ich nicht mehr fühlen, ich fühlte nichts als Fett und Wärme, von einer Form war kaum mehr die Rede.
Langsam glitt meine Hand tiefer. Zu schnell ist nicht gut, außer es ist ein Teil des Spiels. Ich fühlte das Bündchen der Unterhose, den Beginn der scharfen Stoppeln darunter.
«Du», flüsterte ich.
Ich verlangte nicht viel, meine Forderungen waren zu vernachlässigen. Nie schlug ich mit der Faust auf den Tisch, um eine Entscheidung zu forcieren.
Sie zog einen Arm unter der Bettdecke hervor und strich mir über den Kopf. «Tille», sagte sie. «Entschuldige, aber ich bin echt ein bisschen zu müde jetzt.» Es folgte ein Lächeln, leise und beruhigend. «Komm», sagte sie. «Wollen wir nicht einfach schlafen?»
Manchmal stand ich auf, um zugunsten der Nachtruhe im Badezimmer zu onanieren. Den Umständen entsprechend hielt sich meine Haut noch ordentlich. Das Gesicht hing auch noch ganz normal an Ort und Stelle, an seinem ursprünglichen Platz, in der richtigen Höhe, es war noch nicht abgesackt, wie es mit allen Gesichtern geschah, die Jahre zogen sie langsam nach unten – eines Tages sah man keine oberen Zähne mehr, wenn man jemanden anschaute, sondern nur noch untere.
Ich trank ein Glas, ich wollte rauchen.
In den Lichtpfützen der Straßenlaternen tauchten Fahrräder auf, Jugendliche, Jungen und Mädchen, am Wochenende oft noch spät unterwegs, die sofort wieder im Dunkeln verschwanden – später schwebten ihre Lichter langsam an Derksens Haus vorbei.
Ada hatte sich selbst in De Tangelier neben mich gestellt, nicht umgekehrt. In den ersten Jahren hatte sie einen guten Eindruck gemacht, mehr als gut genug, um eine Familie zu gründen, ein Leben, aber jetzt hatte sich ihr Animo verflüchtigt.
Einmal bin ich nach dem Rauchen zurück nach oben gegangen, aber das war auch aus Frustration. «Ada», sagte ich in einem Ton, als ob es mir jetzt langte. «Los, aufwachen. Hierüber haben wir geredet. Das genau ist jetzt das, worüber wir immer reden.»
Es hatte keinen Sinn, sie reagierte nicht.
Eine Ehefrau gibt Sex wie eine Kuh Milch – ein paar Jahre lang, fünf, sechs, und dann ist die beste Zeit vorbei.
Diese