Michael Donkor

Halt


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holte einen Schaumlöffel, tauchte ihn ins Wasser und nahm die zwei Eier in beide Hände. Bei der brennenden Berührung jaulte sie auf. Blies sich auf die Handflächen und hüpfte herum. Sie tippte die Eier zaghaft mit den Fingerspitzen an, um sie zu schälen. Vergeblich. Stöhnend ließ sie die Eier auf die schwarze Arbeitsplatte rollen. Draußen hielt Sarah Vaughan lange einen tiefen Ton und verklang.

      Belinda straffte den Rücken, krümmte sich, streckte sich wieder. Sie nahm beide Eier behutsam mit einem zusammengeballten Küchentuch auf und drückte sie an die Arbeitsplatte, bis die Schalen Risse zeigten. Geduldig zupfte sie am ersten Ei, bis sie die ganze Schale mit einer schnellen Bewegung ablösen konnte. Mit dem zweiten Ei verfuhr sie genauso.

      In der Hoffnung, dass es reichen würde, weil sie nichts anderes hatte und nichts anderes tun konnte, ging Belinda auf Mary zu und umfing sanft ihre Handgelenke, spürte die zarten Knöchelchen, auch die Insektenstiche, die sich die Kleine jüngst eingefangen hatte. Als sie Marys Handflächen umdrehte, war sie erleichtert, keine Verbrühungen zu sehen, nur ein, zwei vereinzelte Rötungen.

      »Tapfer, diese Eier so schnell anzupacken, Mary.«

      »Nicht tapfer. Blöd.«

      Belinda ließ das Wasser im Topf brodeln und führte Mary, immer noch an den Handgelenken, zum Wasserhahn, um ihre Finger sicherheitshalber unter den kühlen Strahl zu halten. Am Spülbecken blickten die Mädchen unverwandt auf die geschlossenen Jalousien, hinter denen jetzt der Abendhimmel glühte. Tropfen rannen über die gekachelte Rückwand und Marys Hände fingen artig das Wasser auf. So verharrten beide viel länger, als nötig gewesen wäre.

SOMMER

       4

       London – August 2002

      Von oben kam eine freundliche Ansage in einer anderen Sprache. Dann wieder in einer anderen. Und noch einer anderen.

      Ein lautes Kind wurde mit einem Bonbon beruhigt, das beim Auswickeln knisterte.

      Neonbeleuchtung, schwarze Pfeile auf gelbem Grund, Flure mit gleitenden Böden.

      Ein verängstigter Mann zog eine L-förmige Plastikröhre aus seiner Tasche, saugte kräftig daran und bekam wieder Farbe ins Gesicht.

      Schlangestehen.

      Neonbeleuchtung, schwarze Pfeile auf gelbem Grund, Flure mit gleitenden Böden.

      Eine herrische Frau – wahrscheinlich Nigerianerin, so, wie Hals, Ohren und Nase behängt waren – hatte den Pass verloren, oh! Den Pass verloren, oh! Ja, diesen ihren Paaaaaass verloren, oh-ho!

      Erst von einer weißen Frau mit Männerschlips gemustert, dann von einem schwarzen Auge am Stiel.

      Bloß nicht blinzeln. Stempel.

      Neonbeleuchtung, Schlangestehen, Flure mit gleitenden Böden.

      Dieses Piepen.

      Und als Nächstes: auf zur Menge, die sich dort versammelte, wo die Bänder einen großen Kreis bildeten. Bucklige alte Frauen standen neben besorgten Männern. Gelangweilte Kleinkinder zerrten an den Gliedern ihrer Teddys. Viele blickten unentwegt auf die Uhr, schnalzten verärgert und seufzten, als die ersten Koffer aus der schlaffen Öffnung hervorquollen. Belinda schleifte ihr Gepäck zu einem Kofferkuli. Sie ließ sich von den Menschenmassen zu einem der Ausgänge leiten. Wie beruhigend, sich an den Kuligriff klammern zu können.

      Jenseits einer langen silbernen Schranke warteten geschäftige Läden und Familien. Wo war Nana, in einem dieser bunten, wallenden Kleider, die Belinda so gut gefielen, ganz anders als alles, was Aunty anziehen würde? Kleider, die Belinda während des zweiwöchigen Aufenthalts von Nana und Dr. Otuo in Daban mit Papageien, Pfauen und Tukanen vertraut gemacht hatten.

      Angespanntes Lächeln, feuchte Augen und verschränkte Hände, die sich plötzlich lösten. Man umarmte sich lange. Wie sollte sie Nana begrüßen? Vielleicht mit einem Kuss auf die Wange – linke und rechte, nicht zu kurz und nicht zu lang –, wie die Frauen, die sie in Auntys Lieblingsserie Reich und Schön gesehen hatte. So könnte sie zeigen, wie erwachsen sie sich verhalten würde. Belindas Augen brannten.

      »Hierher! Liam, hierher! Ohgottohgottohgott.«

      Wieder suchte Belinda die Umgebung ab, bemüht, sich nicht ablenken zu lassen vom Geschrei, vom Zeitungsladen, vom Body Shop. Sie stellte sich neben die gewundene Schlange der Fluggäste und holte die Notfallnummern hervor, die in Auntys Abschiedsgeschenk gekritzelt waren, ein Notizbuch mit Ledereinband. Sie sah sich nach einem Ort um, an dem sie vielleicht telefonieren könnte. Da fiel ihr Blick auf das Schild.

      So hatte sie ihren Namen noch nie geschrieben gesehen. Die sieben Buchstaben waren aus einer ungewöhnlichen Sorte Papier ausgeschnitten, mit glitzerndem Rand, wie der Saum von teuren Taufkleidern. Hinter dem kitschig hübschen Schild verbarg sich ein Gesicht. Das Mädchen, das es hochhielt, hatte einen Wust struppiger, beschleifter Zöpfe auf dem Kopf. Würfel mit krakeligen Umrissen in Lila und Schwarz zierten ihr Oberteil, passend zu den Farben ihrer Zöpfe. Wie spaßig es sein musste, ein solches Muster zu waschen. Mary hätte große Augen gemacht. Belinda trat auf sie zu und sah, dass die Fingernägel, die das B und das a zum Teil verdeckten, ebenfalls lilaschwarz lackiert waren. Schwarze Schnörkel – Buchstaben? – zogen sich über die Handgelenke.

      »Soll das … mein Name sein? Bist du Amma?«

      Ihr Name verschwand. Die Haut des Mädchens war von einem so satten Braun wie Supermalt, sogar noch dunkler als die von Dr. Otuo. Ihre Augen waren zwar verquollen, aber unverkennbar lebhaft. Belinda fiel auf, dass ihr Atem so schal und bitter roch wie Uncles Atem, wenn er spätabends aus der Stadt kam. Amma wies ihr die Richtung, und so standen sie sich bald gegenüber wie zwei alte Feinde, die zur Versöhnung bereit waren. Belinda überlegte, ob sie sich zu ihr neigen sollte. Auch wenn Mutter es ihr nie vorgemacht hatte, konnte sie das mit dem Umarmen inzwischen besser. Seit Kurzem lockerte sie dabei die Schultern und genoss schon fast dieses Gefühl, von der Wärme eines anderen Menschen durchdrungen zu werden. Nach einem Räuspern beugte sie sich vor, und Amma erwiderte die Umarmung auf ebenso mechanische Weise. Und dann ergriff sie beherzt Belindas Reisetasche.

      »Das hätten wir. Und um es gleich zu sagen: Ja, meine Frisur ist eine Katastrophe. Ich weiß. Aber mir gefällt sie, so unbegreiflich das vielleicht klingt. Los.« – Belinda starrte sie an. »Gehen wir.«

      Während sie dem Mädchen hinterherstolperte, hätte sie Amma gern gesagt, wie gut sie doch aussah, schöne Größe, schöne Wangen, schöner Po – alles um Klassen besser als bei Belinda. Aber da runzelte Amma die Stirn, hielt sich den Bauch und blieb vor Boots stehen. Nach einer Pause ging sie weiter, versuchte zu lächeln, murmelte: »Tschuldigung.« Belinda hätte sie gern beruhigt und gesagt, sie müsse sich für nichts entschuldigen, aber schon ging die Schiebetür auf, standen sie beide draußen und schnellte Ammas Hand hoch, um ein Taxi heranzuwinken.

      Im Taxi tat Amma nichts, um Belindas Angst zu zerstreuen, London könnte bloß eine riesige, dunkle Straße voller Fahrzeuge sein. Mit der Zeit mündete die Autobahn in immer schmalere Straßen, mit Geschäften, die reihenweise Plastikleiber verkauften – manche nackt, andere bekleidet, mitten im Tanz erstarrt. Die Leute karrten Kinderwagen umher und hantierten mit ihren Handys. Ein paar Kinder trugen Kapuzen über dem Kopf und ein paar Männer saßen bettelnd unter Wandkästen, vor denen andere Schlange standen. Warum die vielen Schlangen, wenn hier angeblich alles so modern und funktionstüchtig war? Die Autos fuhren langsamer, in diesem Teil von London, der keine Schnellstraße mehr war, und blieben zu lange an Ampeln stehen. Amma schlief, den Kopf hin und wieder an Belindas Schulter gelehnt, um ihn gleich wieder hochzureißen; anstatt Belindas Blick zu begegnen, strich sie lieber über den Sicherheitsgurt oder widmete sich dem Dreck unter ihren Fingernägeln.

      Belinda konzentrierte sich auf den Zähler, der blinkend von 33 auf 34 übersprang. Dann sausten sie eine Brücke über trägem Wasser entlang und schließlich zu einem Ort, der den Schildern nach Clapham Junction hieß. Clapham, dort hatten die Otuos