Georg Markus

Apropos Gestern


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und in die Sendung geladen. Ich wurde von meiner Schule nominiert, da ich als großes Zeichentalent galt – ein Talent, von dem, so es je existiert haben sollte, absolut nichts geblieben ist.

      Doch am 22. Oktober 1958 ging ich an der Hand meiner Mutter in Österreichs erstes, noch sehr primitives Behelfsstudio, das in einem ehemaligen Schulgebäude in der Singrienergasse in Wien-Meidling lag, kritzelte auf eine schwarze Tafel ein Haus mit Garten, erklärte mein Œuvre auf Anfrage des Moderators und erhielt für diesen Auftritt das für ein siebenjähriges Kind in dieser Zeit sagenhafte Honorar von fünfzig Schilling.

      Meine erste Fernsehgage: 50 Schilling für die »Kleine Zeichenkunde«

      Die Pointe dieser Geschichte erfuhr ich Jahrzehnte später. Als nämlich Manfred Deix in einem Interview erklärte, dass er sich in seiner Kindheit sehr darum bemüht hätte, in die »Kleine Zeichenkunde« eingeladen zu werden, ihm dies aber mangels Talent verwehrt blieb. Ich, der völlig unbedarfte Zeichner, wurde genommen, und er, der späterhin geniale Karikaturist, nicht. Die kleine Geschichte sollte manch jungem Genie Hoffnung machen.

      WIE VON EINEM ANDEREN STERN

      Mein Onkel, der Hollywoodstar

      Meine Eltern waren nicht reich und nicht arm, wir führten ein eher kleinbürgerliches Leben. Und das, obwohl mein Vater zweifacher Doktor – der Rechts- und der Staatswissenschaften – war. Er und meine Mutter hatten Österreich nach Hitlers Einmarsch 1938 verlassen und waren nach dem Krieg wieder zurückgekehrt. Mein Vater hatte im Exil beim berühmten Professor Hans Kelsen, dem Schöpfer der österreichischen Verfassung, an der Universität Genf Völkerrecht studiert, meine Mutter in London in einem von Sigmund Freuds Tochter Anna gegründeten Kindergarten gearbeitet. Meine Eltern lernten einander 1947 in der Schweiz kennen und ließen sich danach in Wien nieder – mein Vater als Jurist, meine Mutter als Englischlehrerin.

      So weit so unspektakulär, ich empfand meine Kindheit vor allem als schrecklich langweilig, man hat mich liebevoll behandelt, aber es gab weder besondere Tief- noch Höhepunkte, ich fühlte mich als Einzelkind einsam. Glanz kehrte in unser eintöniges Leben nur ein, wenn Onkel Francis aus Amerika kam. Er erschien, als wäre er von einem anderen Stern. Ein Bild von einem Mann, ein in den USA berühmter Schauspieler, der in einer Reihe von Hollywoodfilmen Hauptrollen gespielt hatte und dem die Frauen zu Füßen lagen, der privat aber liebenswürdig und bescheiden war. In seinen späten Jahren lernte ich Francis Lederer dann als Grandseigneur der alten Schule kennen.

      Eines Tages stand sein dunkelblauer Chevrolet wieder vor unserer Haustür in der Karolinengasse im vierten Bezirk. Was mich mit meinen acht Jahren am meisten faszinierte, war das elektrisch versenkbare Dach des amerikanischen Straßenkreuzers. Die Türen öffneten sich wie von Geisterhand, wir stiegen ein und schon rollte die offene Limousine mit den roten Ledersitzen zum großen Erstaunen unserer Nachbarn fast lautlos dahin. Im Eiltempo ging’s über die Argentinierstraße in die Stadt, wo Francis vor dem Sacher hielt und uns zum Mittagessen lud. Man muss sich vorstellen, dass wir das Jahr 1959 schrieben, meine Eltern einen kleinen Fiat 600 besaßen und unsere Familie im Normalfall bestenfalls im nahen Gasthaus Sperl einkehrte. Doch wenn Onkel Francis kam, war alles anders.

      Die Mutter von Franz Lederer, als der er 1899 in Prag zur Welt kam, hieß Rose und war eine Schwester meiner Großmutter Ida (sie waren zwei von insgesamt 16 Kindern aus dem mährischen Städtchen Trebitsch). Francis’ Vater Josef Lederer handelte – als wär’s eine Posse von Nestroy – mit Lederwaren, und Franz wollte nie etwas anderes werden als Schauspieler. Infolge seines blendenden Aussehens wurde Franz Lederer lange Zeit in Liebhaberrollen besetzt, seinen Durchbruch feierte er 1928, als ihn Max Reinhardt in seine denkwürdige Inszenierung als Romeo nach Berlin holte, mit Elisabeth Bergner als Julia.

      Während der Name Francis Lederer in Europa weitgehend vergessen ist, ist er in den USA immer noch vielen ein Begriff. Natürlich war er weder Cary Grant noch Clark Gable, er spielte eher in der Liga Ronald Reagan, hat aber eine riesige Fangemeinde – und einen Stern am Hollywood Boulevard.

      Nach seinem Berliner Romeo wurde Francis Lederer an die Bühnen im Londoner Westend geholt, woran er sich lächelnd erinnerte: »Ich konnte kein Wort Englisch und musste alles phonetisch lernen. Das ist keine Kleinigkeit, wenn du die Hauptrolle spielst.« Über den Broadway gelangte er 1933 nach Hollywood, wo er seinen ersten Film »Man of Two Worlds« drehte, dem dreißig weitere an der Seite von Ginger Rogers, Olivia de Havilland, Claudette Colbert und Edward G. Robinson folgten. Für den Film »Midnight« schrieb ihm Billy Wilder 1938 eine Rolle auf den Leib.

      Das Gesicht eines Filmstars: Onkel Francis und sein Stern am »Walk of Fame«

      Francis kam öfters nach Wien, auch um hier zu drehen. Mein schönstes Erlebnis mit ihm hatte ich Jahrzehnte danach in Los Angeles, doch davon später.

      EIN NEUES LEBEN BEGINNT

      Maxi Böhm und seine Kinder

      Kaum hatte Francis, der »reiche Onkel aus Amerika«, Wien verlassen, kehrte in unserer Familie wieder der graue Alltag ein. Meine Noten am Gymnasium waren alles andere als berauschend, allerdings hatte ich später eine Deutschprofessorin, die mich alle meine Aufsätze vor versammelter Klasse vorlesen ließ. Sie schenkte mir Selbstvertrauen und formulierte vage, dass ich das Schreiben einmal zu meinem Beruf machen könnte. Ich selbst hatte keine Ahnung, in welcher Form das überhaupt möglich wäre.

      Die Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen des Jahres 1968 gingen spurlos an mir vorüber, ich war siebzehn und an Politik noch nicht wirklich interessiert, auch wenn ich die dramatischen Ereignisse um den »Prager Frühling« verfolgte und mir die Ermordung Martin Luther Kings – wie davor schon die John F. Kennedys – natürlich naheging. 1968 war für mich vielmehr ein Jahr, das neuen Glanz in mein sonst tristes Leben brachte. Diesmal kam nicht Onkel Francis nach Wien, sondern ich lernte durch einen gemeinsamen Freund eine – für meine bürgerlichen Verhältnisse – außergewöhnliche Familie kennen, bestehend aus Maxi Böhm, dem Star am Kabarett Simpl, seiner Frau Huberta und ihren drei Kindern.

      Es dauerte nicht lange, bis ich deren engerem Freundeskreis angehörte – nicht nur zu dem der Geschwister Max jun., Michael und Christine, sondern auch zu dem ihres Vaters, dem beliebten Quizmaster, Schauspieler und Komiker.

      Ich weiß bis heute nicht, warum, aber die Familie schloss mich in ihr Herz, lud mich immer wieder ein und nahm mich zu allen möglichen Unternehmungen mit. Die Böhm-Kinder gaben Partys in ihrer eleganten Wohnung am Brahmsplatz, ebenfalls im vierten Bezirk und damit nicht weit von meinem Elternhaus entfernt. Die Sommerferien verbrachte ich mit Böhms in der Schratt-Villa in Bad Ischl, die einst in Maxi Böhms Besitz gewesen war. Die Böhm-Kinder standen mit der neuen Eigentümerin Martha Plech in so gutem Einvernehmen, dass sie dort weiterhin willkommen waren. Und ich mit ihnen.

      Am Wochenende fuhren wir auf den Semmering, wo Familie Böhm eine Frühstückspension besaß. Viel später erkannte ich, dass der Schauspieler wohl unter Existenzängsten gelitten hat und sich deshalb zuerst mit der Schratt-Villa und dann mit der Park-Villa am Semmering ein zweites Standbein schaffen wollte. Diese Existenzängste waren insofern schwer verständlich, als er ein viel beschäftigter und sehr populärer Komödiant war, doch sollte ich bald erfahren, dass auch andere Künstler von ähnlichen Ängsten befallen wurden – allen voran Hans Moser, aber auch Paula Wessely, die in Bad Gastein eine Zuckerbäckerei betrieb (und mit ihr pleiteging).

      Die Böhms nahmen mich so herzlich auf, als wäre ich ein Mitglied ihrer Familie. Und so lernte ich eine ganz neue Form des Lebens kennen, der graue Alltag wurde von herzlichem Lachen und viel Freude abgelöst, Maxi Böhm schleuste mich zu Vorstellungen in den Simpl ein, in dem ich erstmals Karl Farkas aus nächster Nähe beobachten durfte. Ein Bewunderer seines herausragenden Humors, seiner Conférencen, Doppelconférencen und seiner genialen Wortspiele war ich längst schon durch seine regelmäßig ausgestrahlte Fernsehsendung »Bilanz der Saison« gewesen.