Georg Markus

Apropos Gestern


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»Ferdl, es ist in Ordnung« zu, worauf der die Überprüfung meiner Reifen stoppte. Beide Herren ließen sich noch Autogramme von Karl Farkas geben, und wir konnten anstandslos weiterfahren.

      Farkas amüsierte die kleine Irreführung der Behörde und er blieb auch an diesem Abend noch lange vor seinem Haustor im Auto sitzen, um weitere Geschichten aus seinem Leben zu erzählen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich viele Jahre später, lange nach seinem Tod, seiner Erzählungen erinnern würde, um sie in eine Farkas-Biografie einfließen zu lassen und auch eine Fernsehdokumentation über ihn zu drehen.

      Karl Farkas, so erzählte man, war sehr sparsam. Ich kann dies – auch wenn er mich das eine oder andere Mal bei unseren Besprechungen im Kaffeehaus zum Essen einlud – nicht wirklich entkräften. Er lebte bescheiden, war viel mit der Straßenbahn unterwegs, weil er kein Auto hatte, und ließ sich daher nach der Vorstellung gerne von einem der Mitglieder des Ensembles nach Hause führen. Hin und wieder durfte ich, wie erwähnt, für seine Heimfahrt im alten Taunus sorgen, meist lieferten ihn Maxi Böhm oder Ossy Kolmann vor seinem Wohnhaus im siebenten Bezirk ab.

      »Gangster über Wien«: Simpl-Revue im Herbst 1969 mit Karl Farkas als Kassier, mit mir als Polizisten und mit Fred Weis als Bankräuber

      Eines Abends hatte jedoch aus irgendeinem Grund keiner aus dem Ensemble Zeit. Es war gegen elf Uhr nachts, da bot sich Walter Stern, der Schwiegersohn des Simpl-Besitzers Picker, als Fahrer an. Farkas stieg in den Wagen und Herr Stern fragte: »Wie soll ich fahren?«

      »Geben Sie Gas«, antwortete Farkas, »ich sag’s Ihnen schon … Da vorne fahren Sie rechts … jetzt über die Kreuzung drüber … hier biegen Sie links ein … und jetzt immer geradeaus, fahren Sie, fahren Sie …«

      Weit draußen am Stadtrand, schon bei der Spinnerin am Kreuz, fragte Herr Stern endlich: »Entschuldigen Sie, Herr Farkas, ich dachte, Sie wohnen in der Neustiftgasse im siebenten Bezirk?«

      »Ja, das stimmt«, ließ sich Farkas nicht aus der Fassung bringen. »Aber am Samstag fahre ich immer in mein Wochenendhaus in Edlach an der Rax.«

      1969, das Jahr, in dem ich meinen Posten bei Farkas antrat, war ein historisches Jahr, da mit Neil Armstrong der erste Mensch den Mond betrat. Österreich stellte mit der 19-jährigen Steirerin Eva Rueber-Staier die »Miss Welt«. Die Hollywoodschauspielerin Sharon Tate wurde von einer Terrorgruppe um »Satan« Charles Manson ermordet. Richard Nixon wurde US-Präsident. Karl Schranz war Skiweltcup-Gesamtsieger. Georges Pompidou wurde französischer Staatspräsident. Edward Kennedy beging Fahrerflucht, nachdem er die Kontrolle über seinen Wagen verloren hatte und in einen Kanal stürzte; während sich der Senator selbst retten konnte, ertrank seine Geliebte Mary Jo Kopechne. Willy Brandt wurde deutscher Bundeskanzler. Es starben der Schriftsteller Franz Theodor Csokor, der Regisseur Josef von Sternberg, die Schauspieler Robert Taylor, Boris Karloff und Oskar Sima. Königin Elizabeth hielt sich auf Staatsbesuch in Österreich auf.

      DIE QUEEN WÄSCHT IHRE WÄSCHE

      Hintergrundinformationen

      Zum Besuch der Queen erfuhr ich Jahre später, als ich bereits Journalist war, zwei amüsante Geschichten: Die Königin, ihr Prinzgemahl Philip und ihre Tochter Anne wohnten, wie die meisten hohen Staatsgäste hierzulande, im Hotel Imperial an der Ringstraße. Die Königin legte wie auf jeder ihrer Reisen wert darauf, dass das Wasser für ihren Tee in eigens für sie abgefüllten Flaschen aus London mitgebracht würde, die mit den Worten »By Appointment to Her Majesty The Queen« beschriftet sind. Frau Elisabeth Demetz, damals Direktionsassistentin im Imperial, hat mir eine solche Flasche zur Verfügung gestellt. Im Hotel, so erzählte sie mir, nahm man den Wunsch der Königin nach eigens mitgebrachtem Wasser untertänigst zur Kenntnis, kümmerte sich aber nicht weiter drum, sondern kochte das Leibgetränk Ihrer Majestät mit dem bewährten Wiener Hochquellwasser auf. Sie hat nichts davon bemerkt.

      Noch interessanter finde ich die zweite Geschichte, die mir Frau Demetz anvertraute: Als sie einmal während des Aufenthalts der königlichen Familie das Badezimmer Ihrer Majestät betrat, konnte sie beobachten, wie die Queen ihre Leibwäsche persönlich wusch. Wer hätte das gedacht!

      In der Zeit, in der ich für Farkas arbeitete, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends. Er hatte Darmkrebs und bereits eine schwere Operation hinter sich, die er in die Sommermonate hatte legen lassen, in denen der Simpl geschlossen war. Sein Publikum durfte nur ja nichts von seiner Krankheit erfahren. Rechtzeitig für die neue Spielzeit aus dem Spital entlassen, ging es ihm einige Monate lang so gut, dass er tagsüber probierte, die nächste Fernsehshow aufzeichnete, Texte schrieb und abends noch im Simpl auftrat. Doch die tückische Krankheit kehrte zurück. Als ihn nach einem knappen Jahr starke Schmerzen plagten, lag er tagsüber stationär im Allgemeinen Krankenhaus und bekam abends »Ausgang« für die Vorstellung. Farkas wurde jeden Tag, eine Stunde vor Beginn seines Auftritts, mit der Rettung in den Simpl geführt und auf einer Bahre liegend in den Keller des Kabaretts getragen, anders hätte er die paar Stufen nicht mehr geschafft, er war einfach zu schwach.

      In seiner Künstlergarderobe saß dann ein alter, todkranker Mann, der sich mit schweren Schritten in Richtung Bühne schleppte. Doch kaum lugte seine signifikante Nase durch den dunkelroten Vorhang, worauf der Applaus aufbrandete, war er wieder »der Alte«. Er conférierte, sang, spielte und wenn es sein musste, tanzte er auch noch ein paar Schritte.

      Nach der Vorstellung wurde er dann wieder als Greis von den Sanitätern abgeholt und ins Spital gebracht. Aber die zweieinhalb Stunden, in denen er auf der Bühne stand, merkte kein Zuschauer etwas vom Leiden des Humor-Altmeisters. Der Applaus und sein Publikum hielten ihn aufrecht.

      Maxi Böhm erzählte mir einmal, dass es Farkas, als er wieder aus dem Spital entlassen worden war, einmal während der Vorstellung so schlecht ging, dass ihn alle Kollegen anflehten: »Herr Farkas, fahren Sie nach Hause, wir übernehmen Ihre Rollen, es wird schon irgendwie gehen.«

      Farkas muss sich elend gefühlt haben, denn er ließ sich tatsächlich in der Pause mit einem Taxi heimfahren. Nach der Vorstellung fuhr Maxi Böhm durch die Neustiftgasse und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Vor dem Haus Nummer 67 lehnte Karl Farkas an der Eingangstür. Erschrocken blieb Böhm stehen und sagte: »Herr Farkas, was machen Sie denn, Sie sind doch extra früher nach Hause gefahren!«

      »Schauen Sie«, sagte Farkas, »seit zwanzig Jahren bin ich keinen Abend vor elf nach Haus gekommen. Was glauben Sie, was sich meine Frau für Sorgen macht, wenn ich einmal um zehn daherkomm.«

      Für die Frühjahrs-»Bilanz«, die Ende April 1971 im Ronacher aufgenommen wurde, schleppte sich Farkas mit eiserner Disziplin zu den Proben und zur Aufzeichnung. Eines Abends brach er im Simpl zusammen, wurde wieder ins AKH gebracht. Auf seinem Nachtkasten lagen Papier und Bleistift – er machte sich Notizen für das nächste Simpl-Programm, das den Titel »Alles im ORF« tragen sollte, und für eine geplante Operettenbearbeitung an der Volksoper.

      Am Abend des 15. Mai 1971 lachte Österreich noch einmal über Karl Farkas und seine letzte »Bilanz« im Fernsehen. Zu diesem Zeitpunkt lag er bereits im Koma, am nächsten Morgen war er tot. »Mit Karl Farkas«, schrieb Friedrich Torberg in seinem Nachruf, »ist der letzte Stern eines untergegangenen Planetensystems erloschen.«

      Ich schätze mich glücklich, dem Strahlen dieses Sterns in seinem vorletzten Lebensjahr nahe gewesen zu sein. In seinem letzten Jahr war ich nicht mehr am Simpl, da ich mich langsam um einen »richtigen Beruf« hatte umsehen müssen.

      »ENTSCHULDIGEN SIE, WIE WIRD MAN JOURNALIST?«

      Mein Einstieg als Zeitungsreporter

      Neben seinen Auftritten bewunderte ich auch den schriftstellerischen Teil der Arbeit von Karl Farkas. Außerdem fiel mir ein, dass einst im Deutschunterricht meiner Schule meine Aufsätze vorgelesen wurden. Also kam mir in den Sinn, das Schreiben zum Beruf zu machen. Aber wie kommt man dazu und an wen wendet man sich?

      Mein erster Gedanke war die »Kurier«-Redaktion, die