Mit Hans Bensdorp war den Kidnappern ein »großer Fisch« ins Netz gegangen, war er doch der Sohn des österreichischen »Schokoladekönigs«. Als ich das Entführungsopfer traf, war die väterliche Süßwarenfabrik bereits verkauft und Hans M. Bensdorp Pfarrer in Wien-Hetzendorf. Der Kriminalfall war für ihn »abgeschlossen und vorbei«, er verfolgte ihn nicht einmal mehr in seinen Träumen. Die einzige, stets wiederkehrende Erinnerung an die Entführung: »Ich werde regelmäßig darauf angesprochen, die Kinder in der Jungschar können die ›Raubersg’schicht‹ gar nicht oft genug hören.«
Der Entschluss, Priester zu werden, hätte mit dem schlimmsten Ereignis seines Lebens nichts zu tun gehabt. »Ich war damals schon Theologiestudent, meine Berufung stand fest, als ich 17 war.« Dass er das christliche Gebot des Verzeihens beherrschte, stellte Bensdorp unter Beweis: Nach seiner Freilassung aus der Haft traf das einstige Entführungsopfer einen der Täter, der andere war mittlerweile an Krebs gestorben.
»SCHARF AN DER GRENZE DER PIRATERIE«
Ephraim Kishon in Wien
In einem Interview, das ich im März 1972 mit dem damals 48-jährigen Ephraim Kishon führte, outete sich der berühmte israelische Satiriker als Österreich-Fan. »Und das ist kein Zufall«, sagte er, »weil dieses Land ein einziger Anachronismus ist. Seit Kaiser Franz Joseph hat sich hier nicht viel geändert. Österreich könnte eine Satire von Ephraim Kishon sein.«
Da seine Bücher damals bereits in 22 Sprachen erschienen und die Auflage allein in den deutschsprachigen Ländern bei sieben Millionen lag, war die Frage naheliegend, wie er sein Geld anlegte.
»Ich lege mein Vermögen«, sagte er, »in der israelischen Einkommenssteuer an. Das ist bei mir zu Hause die sicherste Investition. Ich gehöre in meinem Finanzamt zur Abteilung Schwerindustrie und musste bis vor Kurzem neunzig Prozent meines Einkommens abliefern. Inzwischen sind es 110 Prozent geworden.«
»Würden Sie lieber in Liechtenstein leben und keine Steuern zahlen?«, lautete meine nächste Frage.
Darauf er: »Ich würde lieber in Israel leben und keine Steuer zahlen. Außerdem ist es ein Irrtum zu glauben, dass man in Liechtenstein keine Steuern zahlt. Ich hatte vor Kurzem eine Lesung in Vaduz, da haben mir Zuhörer erzählt, dass sich das Fürstliche Finanzamt scharf an der Grenze der Piraterie befinde, weil man dort bis zu vierzehn Prozent zahlen muss. Vierzehn Prozent! Da habe ich mich mit meinen 110 Prozent halb totgelacht.«
»Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten und was am wenigsten?«
»Sie werden lachen«, antwortete er, »das Miserabelste an meinem Beruf ist das Schreiben. Das Schönste, das fertige Produkt in Händen zu halten.«
Ich fragte ihn dann noch, weshalb seiner Meinung nach die Auflagen seiner Bücher in Österreich besonders groß seien.
»Weil die Satire hier geboren wurde«, sagte er. »Sie ist in Österreich so populär, weil auch der Stierkampf in Spanien populär ist.«
»Die Mantelhexen von Wien« angekündigt: mit Ephraim Kishon, 1972
Zuletzt verriet mir Kishon noch, warum er eigentlich nach Wien gekommen war. »Ich bin auf Satirensuche hier«, erklärte er und fügte an, dass er bereits fündig geworden sei: »Ich kann in Österreich in kein öffentliches Lokal gehen, ohne dass eine alte Frau kommt, die mir meinen Mantel abnimmt und ihn in die Garderobe trägt. Auch wenn mir kalt ist. Das ist mir hier schon oft in Kaffeehäusern passiert. Meinen Freund und Übersetzer Friedrich Torberg habe ich sogar schon mit einer solchen Frau kämpfen gesehen. Sie hat letztlich den Kampf gewonnen und das Kleidungsstück stolz in die Garderobe getragen.« Tatsächlich erschien in Kishons nächstem Buch, »Salomons Urteil, zweite Instanz«, die Satire »Die Mantelhexen von Wien«. Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich den großen Satiriker Jahre später als Verlagskollegen bei Langen Müller näher kennenlernen sollte.
DIE LETZTE DEMELINERIN VOM ALTEN SCHLAG …
… und ihr »Chef« Udo Proksch
Keine »Mantelhexen« gab und gibt es hingegen in der »k. u. k. Hof-Zuckerbäckerei Demel« am Kohlmarkt, die ich 1972 zum ersten Mal betrat. Ich hatte erfahren, dass der Wiener Süßwarentempel verkauft werden und ein Schweizer Firmengeflecht den Zuschlag erhalten sollte. An dessen Spitze stand ein gewisser Udo Proksch, damals bekannt unter dem Künstlernamen Serge Kirchhofer. Als ich ihn am 6. Juni in den Räumlichkeiten der traditionsreichen Konditorei zum Interview traf, spürte ich, dass unter den »Demelinerinnen«, wie die Servierdamen des Nobelunternehmens genannt werden, Unmut herrschte. Unmut über das Auftreten und die Umgangsformen des »Herrn Udo«, der »frischen Wind« in das alte Gemäuer bringen wollte. »Von der Würde und Grazie, die der bisherige Demel-Besitzer Baron Federico Berzeviczy an den Tag legte, ist bei Herrn Proksch nicht viel zu merken«, schrieb ich in meinem Bericht. Die Schweizer Gesellschafter hätten sich, so war mir zugetragen worden, wegen seines Ideenreichtums für Proksch als Geschäftsführer entschieden. Zu seinen bisherigen Ideen zählten Sprengübungen und andere Narreteien eines Waffenfanatikers, die Herstellung von Designerbrillen sowie die Gründung des »Klubs der Senkrechtbegrabenen« – ein Totenkult, den er jetzt auch im Demel fortzuführen gedachte: »Eines Tages«, kündigte er mir gegenüber an, »wird auch eine nackte Marzipanfrau, vielleicht im Sarg, in der Auslage stehen.«
Ich dachte mir im Stillen, dass es sich bei Udo Proksch um einen Verrückten handelte – was ich nicht vorhersehen konnte, war die kriminelle Energie, die in diesem Mann steckte. Rätselhaft blieb mir auch die Faszination, die er auf Frauen ausübte.
»Die Frau Grete« faszinierte er keineswegs. Sie war fast ein halbes Jahrhundert der gute Geist bei Ch. Demel’s Söhne gewesen, ein Denkmal zwischen Cremeschnitten und Esterhazytorte. Viel mehr als die Frage »Haben schon gewählt?« war ihr nicht gestattet, seit sie 1929 von der legendären Anna Demel angestellt wurde. Als ich sie Jahre später wieder traf, brach sie ihr Schweigen. Udo Proksch saß zu diesem Zeitpunkt bereits wegen sechsfachen Mordes im Gefängnis.
Es waren zwei Welten, in die die letzte Demelinerin vom alten Schlag geraten war. Zwei Welten, denn von der Queen – die sie in der Konditorei am Kohlmarkt bedient hatte – bis zum »Herrn Udo«, der von einem Tag zum anderen ohne jede Vorwarnung ihr neuer Chef wurde, war’s ein weiter Weg. Die zweite ihrer beiden Welten war nicht erst mit der »Lucona« versunken, erklärte die Frau Grete, das sei schon geschehen, als Herr Proksch am Kohlmarkt das Regiment übernommen hatte. »Wollen hören, wie das war?«, fragte die einstige Klosterschülerin (»Nur Mädchen aus dem Kloster wurden von Frau Demel akzeptiert«), selbstverständlich in der dritten Person.
Wenn sie noch einmal beginnen dürfte, würde sie wieder bei Demel arbeiten, sagte die Frau Grete. »Besser gesagt, bis zu dem Tag, an dem der äh … Herr Udo gekommen ist.« Die Situation, wie dieser sich präsentierte, war tatsächlich befremdend. In jenem Etablissement, das er, wär’s nach der Frau Grete gegangen, gar nicht hätte betreten dürfen.
Denn Jahre bevor er die Geschäftsführung übernahm, hatte sie über ihn Lokalverbot verhängt. »Der Herr Udo war damals mit Freunden hereingestapft, als wären wir irgendein Beisl. Als die Herren dann Tennisbälle gegen die wertvollen geschliffenen Gläser warfen und die ersten Scherben flogen, habe ich gesagt: ›Ich muss bitten, das Lokal zu verlassen. Das können bei uns nicht machen.‹«
Grete Hromada hieß sie mit bürgerlichem Namen. »Pardon«, korrigierte sie mich, »haben sich geirrt«, in Wahrheit hieß sie nämlich Paula. »Wie ich aufgenommen wurde, hat es schon eine Paula gegeben, und da hat die Frau Demel entschieden, dass ich Grete genannt werde.« So hieß sie dann für den Rest ihres Lebens, »sogar mein Mann hat immer nur Grete zu mir gesagt«.
Von dem Tag an, da der Herr Udo die Geschäftsführung übernommen hatte, sei alles anders gewesen. »Was gengan mi Ihnare Herrschaften an?«, brüllte er und: »Wenn i in an Lokal schlecht bedient wer’, dann schlag i denen die Bude ein.« Diese Worte in den geheiligten Hallen des ehemals kaiserlichen Hoflieferanten