egal, in welcher Form. Er würde Farkas fragen, sagte er und rief mich schon am nächsten Tag an: »Du kannst kommen, Farkas will mit dir reden.«
DAS FEHLENDE TELEFON
Assistent bei Karl Farkas
Mein erstes Zusammentreffen mit Karl Farkas: ein unglaubliches Erlebnis in meinem noch sehr jugendlichen Dasein! Farkas war mein Idol, und er war der liebe Gott unter den Kabarettisten, der letzte, der uns noch die große Tradition des jüdischen Humors der 1920er- und 1930er-Jahre vermitteln konnte, in denen er mit Fritz Grünbaum, Armin Berg, Hermann Leopoldi u. v. a. aufgetreten war.
Wir trafen uns im Café Windhag, dem heutigen Engländer in der Postgasse, gleich ums Eck vom Simpl, er war 75 Jahre alt, ich gerade achtzehn.
Farkas war ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er begrüßte mich freundlich, war sonst aber zurückhaltend, ernst und sprach über nichts anderes als meine künftigen Aufgaben, so es zu dem Engagement kommen sollte. Er schien froh über mein Interesse zu sein, da vor Kurzem ein Mitarbeiter gekündigt hatte, der für den gesamten Bereich hinter der Bühne verantwortlich war. Zu meinen Befugnissen, erklärte er mir, würden Kulissen und Requisiten gehören, aber auch Schreibarbeiten wie das Abtippen seiner handgeschriebenen Texte. Jedes der von ihm mit feinem Bleistift verfassten Manuskripte wurde in mehreren Kopien angefertigt – eine für jeden Schauspieler, der in dem Sketch mitspielte.
Das Salär war bescheiden, aber das war nicht so wichtig, mir ging’s darum, das Phänomen Farkas aus nächster Nähe studieren zu können, denn ganz heimlich träumte ich davon, selbst einmal Kabarettist zu werden. Andere Menschen zum Lachen zu bringen, empfand ich als höchstes Glück. Als er mich fragte, ob ich sein Angebot annehmen würde, sagte ich ohne nachzudenken Ja. Denn eine bessere Schule als diese, das wusste ich, konnte es für einen angehenden Kabarettisten nicht geben.
Ich wurde natürlich kein Kabarettist. Denn als ich dann jeden Abend die Großmeister – vor allem Farkas, Ernst Waldbrunn und Maxi Böhm – auf der Bühne sah, wusste ich, dass niemand je wieder auch nur annähernd auf diese Weise Humor produzieren würde. Und wenn ich mir die heutigen »Comedians« ansehe, habe ich wohl recht behalten – wobei einige Ausnahmen die Regel bestätigen.
Ich erkannte also bald, dass der Wunsch Kabarettist zu werden ein irrealer Traum war und schwor alle heiligen Eide, niemals eine Bühne betreten zu wollen. Dennoch blieb ich in Farkas’ Diensten. Die ersten Tage, vielleicht waren es auch Wochen, sahen gar nicht danach aus, als würde ich mich beim Altmeister des Wiener Kabaretts besonderer Beliebtheit erfreuen. Wie denn auch: Nach einer kurzen Probenzeit kam es zur Premiere und von da an lief jeden Abend eine Vorstellung des Programms »Amor go home«.
In einem Sketch läutet auf der Bühne bei einem bestimmten Stichwort das Telefon. Farkas geht zu einem Schreibtisch, um den Hörer abzunehmen, aber es steht kein Telefon dort, wo es stehen sollte. Dafür zuständig und hauptschuldig: ich, der Requisiteur. Eine Katastrophe! Es konnte gar nicht funktionieren, ich hatte ja keine Ahnung vom Theater.
Farkas machte ein finsteres Gesicht, sah aber gnädig über mein Missgeschick hinweg. Ein zweites Mal, das wusste ich, durfte ich mir ein solches Schlamassel nicht leisten. Somit begann ich die Sache ernst zu nehmen, und von da an funktionierte alles wie am Schnürchen – »wie am Schmierchen« pflegte Maxi Böhm in Anspielung auf die unterste Theaterstufe, die Schmiere, zu sagen.
Ich tat mein Bestes, und je besser der Theaterbetrieb funktionierte, desto liebenswürdiger wurde Farkas. Wir trafen uns zwei oder drei Mal in der Woche in einem der dem Simpl benachbarten Kaffeehäuser, und er sprach plötzlich nicht mehr nur über seine Arbeit, sondern befragte mich über meine Familie, meine Lebensumstände und meine Berufspläne. Bald kaufte ich von meinen ersten »Gagen« um 5000 Schilling einen uralten zuckerlrosafarbenen Ford Taunus 12 M, mit dem ich Farkas öfters abends nach der Vorstellung nach Hause führte. Er blieb dann manchmal bis zu einer Stunde vor seinem Haus in der Neustiftgasse sitzen und erzählte selbst Erlebtes. Von der Kindheit in einem überstrengen Elternhaus, in dem sein älterer Bruder Selbstmord beging, weil er trotz einer großen künstlerischen Begabung als Maler von seinem Vater gezwungen wurde, die familieneigene Schuhfabrik zu übernehmen. Karl Farkas erzählte von seiner abenteuerlichen Flucht vor den Nazis, die ihn über die Tschechoslowakei nach Frankreich und schließlich in die USA führte, wo er, acht Jahre von seiner Familie getrennt, vor allem in Emigranten-Kabaretts auftrat. Und er sprach von der Tragödie seines Freundes und Bühnenpartners Fritz Grünbaum, der das nicht geschafft hatte und im KZ Dachau ermordet wurde.
Farkas kam auf vieles zu sprechen, nur seinen Sohn Robert erwähnte er nie. Über den erzählte mir Jahre später seine Witwe Anny, zu der ich nach Farkas’ Tod in einer herzlichen Beziehung stand. Robert war im Alter von zwei Jahren an Gehirnhautentzündung erkrankt und lebte in einer Anstalt für geistig behinderte Menschen.
Während sich meine gleichaltrigen Freunde in Discos die Nächte um die Ohren schlugen, begab ich mich jeden Abend in den Simpl, um einer meinem Alter gar nicht angemessenen Tätigkeit nachzukommen. Je länger ich dort arbeitete, desto mehr erkannte ich, dass Farkas gar nicht der griesgrämige alte Mann war, als den ich ihn kennengelernt hatte. Er konnte charmant und einnehmend sein – sobald er zu jemandem Vertrauen gefasst hatte. Sein anfänglicher Argwohn wurzelte wohl in den schrecklichen Zeiten, die er hatte erleben müssen.
Nach der ersten Saison stellte mir Farkas ein Dienstzeugnis aus, das ich heute noch in Ehren halte. Während er es mir überreichte, fragte er mich, ob ich für eine zweite Spielzeit zur Verfügung stünde. Ich sagte zu und war dann noch bei der Revue »Gangster über Wien« dabei. Ab der Premiere am 19. September 1969 durfte ich auch zwei oder drei winzige Rollen spielen, unter anderem einen Polizisten, der einen Bankräuber verhaftet. Und in der nächsten Fernseh-»Bilanz« bewegte ich mich in der »Titelrolle« zu dem Evergreen »Mein Papagei frisst keine harten Eier, er ist ein selten dummes Vieh« – als ebenjener Papagei in einem Käfig.
»Zur vollsten Zufriedenheit«: mein Dienstzeugnis, unterschrieben von Karl Farkas
Eines Abends, ich glaube, es war schon in meiner zweiten Spielzeit, führte ich Farkas wieder spätabends nach Hause. In jenen Tagen mussten Autos zwar auch schon »verkehrstauglich« sein, sie wurden aber noch nicht in Werkstätten begutachtet und mit einem »Pickerl« versehen. Mein rosaroter Schrottwagen hätte einem solchen Sicherheitscheck auch nie und nimmer standgehalten. Die Außenbeleuchtung des alten Taunus funktionierte nur bedingt, das Reifenprofil entsprach keineswegs den Erfordernissen und die Bremsen reagierten in den niedrigen Gängen besser als in den hohen. Oder, wie Farkas über derartige Probleme in einer seiner Conférencen sprach: »Ich lasse mir jetzt die Hupe verstärken, weil die Bremsen nicht mehr funktionieren.«
Als ich ihn an diesem Abend nach Hause führte, wurde aber kein Sketch aufgeführt, sondern wir befanden uns im realen Leben. Und gerieten, am Beginn der Neustiftgasse, genau vor dem Volkstheater, in eine polizeiliche Verkehrskontrolle. Ich bremste, soweit es das Fahrzeug zuließ, und brachte es zum Stehen. Der erste Polizist fragte nach den Papieren, die ich ihm sogleich eilfertig reichte. Unterdessen schaltete ein zweiter seine Taschenlampe ein und schickte sich an, das Auto mit einem prüfenden Blick zu umrunden. Was jetzt drohte, war nicht nur eine geschmalzene Geldstrafe, sondern auch die immerwährende Sperre dieses ganz und gar fahruntauglichen Automobils.
Leise raunte ich Farkas zu: »Herr Professor, jetzt müssen S’ was tun!«
»Ja, was denn?«, fragte er.
»Sobald Sie die Polizisten erkennen, lassen sie uns sicher weiterfahren. Sonst eher nicht.«
Farkas verstand sofort und machte, auf dem Beifahrersitz gestikulierend und unverständliche Worte murmelnd, auf sich aufmerksam. Gleichzeitig ging Polizist Nummer zwei daran, das Profil der Vorderreifen zu kontrollieren.
Polizist Nummer eins gab mir indes die Papiere zurück und sah plötzlich den neben mir sitzenden, sich auffallend wild gebärdenden alten Herrn. Ich schaltete die glücklicherweise funktionierende Innenbeleuchtung ein – und da erkannte er ihn auch schon.