1.6 Von Franz von Assisi bis zum Zweiten Vatikanum
In der Zeit zwischen dem frühen 13. Jahrhundert und der Mitte des 20. Jahrhunderts, zwischen der herausragenden diakonischen Gestalt des Franz von Assisi und der Wiederentdeckung und Neuentfaltung des Diakonats durch das Zweite Vatikanum, scheint der Diakonat zu einer Vorstufe zum Priestertum verkümmert zu sein. Fast hat die Kirche einen jahrhundertelangen Weg ohne ein eigenes Diakonenamt zurückgelegt. Jedoch hat die Diakonie der Kirche niemals zu existieren aufgehört. In der Zeit des Niederganges des Diakonats traten immer wieder neue Gruppen von Hilfsbedürftigen und auch neue Formen der Diakonie auf. So wurden die Dienste an den Armen von Laien, Priestern und den entstehenden Ordensgemeinschaften wahrgenommen. Die neuen Orden und Klöster nahmen die Armen in ihre Gemeinschaft auf und gaben so eine Antwort auf die Not der Zeit. Für die Zeit bis zum 20. Jahrhundert kann festgestellt werden: Schon das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert unternahm einen ersten Versuch, den Diakonat zu erneuern und ihm seine ursprüngliche Gestalt zurückzugeben, aber leider blieb es bei diesem Versuch. Die angedachte Reform konnte in den politischen und kirchlichen Auseinandersetzungen der Reformationszeit nicht verwirklicht werden. „Noch einmal 300 Jahre mussten überbrückt werden, bis die Wiedererweckung des frühkirchlichen Amtes des Diakons als eigene Stufe im 19. Jahrhundert wieder aufkeimte.“22
1.7 Neuentfaltung des Diakonats durch das Zweite Vatikanum
Einer der Gründe für die Einführung des Ständigen Diakonats als sakramentales Amt war sicher die Tatsache, dass Diakonie in der Kirche faktisch schon immer präsent war, wenn sie auch ohne Weihe durch Laien ausgeübt wurde. Karl Rahner und Herbert Vorgrimler betonen diesbezüglich: „Es soll also nicht ein nicht bestehendes Amt eingeführt werden, sondern es soll die sakramentale Amtsverleihung dieses im Grunde schon anonym bestehenden Amtes erneuert werden.“23
Die beim Konzil versammelte Gemeinschaft der Bischöfe erkannte ihren Auftrag, als Kirche in die Welt zu gehen und dort die Heilstaten Gottes neu zu verkünden. Die Sicherheit der „Festung Kirche“ sollte zugunsten der Sendung zu den Menschen hintangestellt werden. Die Menschen sollten in ihrer Lebenswelt aufgesucht und mit der Botschaft von der Liebe Gottes neu konfrontiert werden. Nicht mehr einzelne Missionare sollten in „Heidenländer“ aufbrechen und sie missionieren, jeder Christ sollte seine Sendung ernst nehmen und zu einem Gesandten Gottes werden. Als „Welt-Kirche“ im doppelten Sinn – einerseits, weil die Botschaft bereits bis an die Enden der Welt verkündet wurde, und andererseits als Kirche, die bewusst in der Welt ihren Dienst sieht – erkannte sie ihre Sendung neu. Getrieben durch den Heiligen Geist sollte die Herausforderung der Zeit aufgegriffen werden. Die Kirche wollte sich als Heilszeichen der Erlösung in der Gegenwart, mitten in der Welt, verstehen.
Im Konzil wurde das Kirchen- und Amtsverständnis erneuert, der „alten Institution des Diakonats Inhalt und Leben zurückgegeben“. Es ging also um eine schöpferische Neukonzeption des Diakonats der Zukunft, die mehr war als eine Wiederherstellung des alten Diakonats.24
Eine von Papst Johannes XXIII. am 5. Juni 1960 einberufene Vorbereitungskommission über die Verwaltung der Sakramente erarbeitete Vorschläge zur Erneuerung des Ständigen Diakonates. Eine Zentralkommission unter der Leitung des Papstes sollte dann über die endgültige Vorlage an das Konzil entscheiden.
In der dritten Sitzungsperiode im Herbst 1964 wurde die grundsätzliche Erneuerung des Diakonats angenommen. Stärkere Differenzen zeigten sich noch in der anschließenden Diskussion über die Frage der Zuständigkeit für die Erneuerung des Diakonates und über die Frage, ob man den Diakonat nur verheirateten Männern „reiferen Alters“ anvertrauen dürfte. Als Zugeständnis an die Konzilspartei, die um den Priesterzölibat fürchtete, wurde für Männer, die Diakone werden wollen, das „reifere Alter“ als Aufnahmebedingung festgelegt.
Die Erneuerung des Dienstes des Ständigen Diakonats wurde somit als Artikel 29 im Rahmen der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ in der Plenarsitzung des Konzils am 21. November 1964 beschlossen und vom Papst promulgiert. In der Folgezeit kam es dank der Förderung durch Papst Paul VI. zur Bildung einer kleinen Kommission, die allgemeine Normen als Rahmengesetz für den Ständigen Diakonat entwerfen sollte.
In der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ und im Dekret „Ad gentes“ wird der Diakonat als Dienst beschrieben, der dem inneren Aufbau des Volkes Gottes dient.
„In der Hierarchie eine Stufe tiefer stehen die Diakone, welche die Handauflegung ‚nicht zum Priestertum, sondern zur Dienstleistung empfangen‘. Mit sakramentaler Gnade gestärkt, dienen sie dem Volke Gottes in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebestätigkeit in Gemeinschaft mit dem Bischof und seinem Presbyterium. Sache des Diakons ist es, je nach Weisung der zuständigen Autorität, feierlich die Taufe zu spenden, die Eucharistie zu verwahren und auszuteilen, der Eheschließung im Namen der Kirche zu assistieren und sie zu segnen, die Wegzehrung den Sterbenden zu überbringen, vor den Gläubigen die Heilige Schrift zu lesen, das Volk zu lehren und zu ermahnen, dem Gottesdienst und dem Gebet der Gläubigen vorzustehen, Sakramentalien zu spenden und den Beerdigungsritus zu leiten. (…) Weil diese für die Kirche in höchstem Maße lebensnotwendigen Ämter bei der gegenwärtig geltenden Disziplin der lateinischen Kirche in zahlreichen Gebieten nur schwer ausgeübt werden können, kann in Zukunft der Diakonat als eigene und beständige hierarchische Stufe wiederhergestellt werden. Den zuständigen verschiedenartigen territorialen Bischofskonferenzen kommt mit Billigung des Papstes die Entscheidung zu, ob und wo es für die Seelsorge angebracht ist, derartige Diakone zu bestellen. Mit Zustimmung des Bischofs von Rom wird dieser Diakonat auch verheirateten Männern reiferen Alters erteilt werden können, ferner geeigneten jungen Männern, für die jedoch das Gesetz des Zölibats in Kraft bleiben muss.“25
Hiermit werden die spezifischen Aufgaben des Diakons in Abgrenzung zum Priester festgelegt. Die Entscheidung über die Zulassung liegt beim Ortsbischof. Der Diakonat wird für „verheiratete Männer reiferen Alters“ geöffnet, für die „geeigneten jungen Männer“ gilt jedoch weiterhin die Zölibatsverpflichtung.
„Wo die Bischofskonferenzen es für gut halten, soll der Diakonat als fester Lebensstand wieder eingeführt werden, entsprechend den Normen der Konstitution über die Kirche; denn es ist angebracht, dass Männer, die tatsächlich einen diakonalen Dienst ausüben, sei es als Katechisten in der Verkündigung des Gotteswortes, sei es in der Leitung abgelegener christlicher Gemeinden im Namen des Pfarrers und des Bischofs, sei es in der Ausübung sozialer oder caritativer Werke, durch die von den Aposteln her überlieferte Handauflegung gestärkt und dem Altare enger verbunden werden, damit sie ihren Dienst mit Hilfe der sakramentalen Diakonatsgnade wirksamer erfüllen können.“26
Wer also bereits als Katechist im Dienst der Verkündigung, als Leiter einer christlichen Gemeinde oder in sozialen oder karitativen Werken tätig ist, also einen tatsächlich diakonalen Dienst ausübt, soll durch die Weihegnade gestärkt werden und seinen Dienst in enger Verbindung mit dem Altar wirksamer ausüben können.
Der Anstoß zur Wiedereinführung des Ständigen Diakonats kam vor und während des Konzils aus ganz verschiedenen Richtungen: Zahlreiche Bischöfe aus den Missionsgebieten erblickten darin eine Chance, dem Priestermangel in ihren Ortskirchen durch die Weihe bewährter verheirateter Katechisten zu begegnen und diesen – und auch darüber wurde schon vor und während des Konzils häufig diskutiert – später den Weg zur Priesterweihe zu ebnen. Auch in Europa hatte sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein starker Priestermangel bemerkbar gemacht. In der französischen Kirche wollte man der Säkularisierung und Entfremdung weiter Kreise der Bevölkerung durch die Einführung eines Amtes, dessen Träger näher bei den Menschen waren, begegnen und manchen Bischöfen war der Aufbau einer Kirche der Armen ein Herzensanliegen. Manche Theologen vermissten in der Kirche schon damals eine stärkere Betonung der Diakonie, die durch ein eigenes Amt wieder neu zur Geltung gebracht werden sollte.27
Unter den Streitfragen, die in der zweiten Sitzungsperiode den Konzilsvätern zur Klärung vorgelegt