Uschi Zietsch

Elfenzeit 5: Trugwandel


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Dialekt sie sprach, jedenfalls war er ohne Akzent, sie musste Irin sein. »Wir gehören zum Land von Sir Rupert of Collon. Er ist zur Hälfte Engländer, aber ganz in Ordnung.«

      Das Gesicht der Frau verzerrte sich in unbekanntem Schmerz, und sie presste die Finger an die Stirn. »Welches Jahr?«

      »Wie?«, sagte Tómas verdutzt und beunruhigt. War sie am Ende verrückt? Dann war es besser, zu antworten. »Wir befinden uns im Jahre des Herrn 1785, schon seit fünf Monaten.«

      Der wilde Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, erschreckte ihn zutiefst.

      »B-bist du eine … du weißt schon … aus dem Wasser? Von den Freundlichen?« Man tat gut daran, die Andersweltlichen nicht bei ihren richtigen Namen zu nennen.

      Die Augen der Frau richteten sich auf die Ferne. »Ich weiß nicht, wer ich bin«, sagte sie langsam. »Ich habe alles vergessen. Ein weiter Weg muss hinter mir liegen, zumindest habe ich das Gefühl … Du hast mich hier gefunden, sagst du?«

      »Gerade eben. Du hast bewusstlos dagelegen.«

      »Ohne Kleidung.«

      »Ja! Du nimmst doch wohl nicht an, dass ich …«

      Sie verzog die Lippen spöttisch. »Du? Gewiss nicht.«

      Tómas war beleidigt. Seine Ehre war gerettet, aber sein männlicher Stolz verletzt. Er entschloss sich, darüber hinwegzusehen. »Ich bin Tómas. Du musst hungrig sein. Komm mit mir in meine Hütte, dort finde ich vielleicht noch etwas zum Anziehen, von meiner Frau.«

      »Deiner Frau?«

      »Sie starb vor zehn Jahren.«

      Die Fremde versuchte aufzustehen, aber sie war zu schwach, und ihr schwindelte wohl, denn sie tastete fahrig um sich. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Hilfe des Fischers anzunehmen. Er legte sich ihren Arm um die Schultern und stützte sie, während sie zur Hütte gingen, die Tómas nun als das Schäbigste diesseits und jenseits der Welt erschien. Ein windschiefes, nur halbhoch mit Steinen gemauertes, dann mit Holz umfasstes Häuschen, das strohgedeckt war und kaum größer als ein Hühnerstall. Es gab kein Fenster, nur die Tür, und einen Rauchabzug. In dem einzigen Raum gab es gerade so Platz für die Kochstelle, ein paar Matten auf dem Boden und zwei schmale Ruheplätze. Im Anbau daneben waren die wenigen Vorräte und Werkzeuge untergebracht, draußen auf den Gestellen hingen die fertigen Netze. Ansonsten besaß Tómas ein kleines Boot für den Fischfang und in einer Truhe ein wenig Kleidung. Darin wühlte er jetzt herum und fand tatsächlich ein Kleid seiner toten Frau. Die Fremde nahm es mit indigniertem Gesicht an, dann schob sie ihn beiseite und suchte sich ein paar Sachen dazu.

      »Warte draußen«, befahl sie, und Tómas gehorchte. Als sie ihn wieder hereinrief, war er erstaunt, wie sie es geschafft hatte, sich mit diesen Lumpen so manierlich zu kleiden.

      »Schuhe habe ich leider keine«, gestand er verlegen. Er besaß nur ein einziges Paar Holzschuhe, das er ängstlich hütete.

      »Das macht nichts«, erwiderte sie. »Es ist Sommer.« Sie band ihr Haar im Nacken zusammen und kauerte sich an die Feuerstelle.

      Tómas beeilte sich, Feuer zu entfachen, setzte einen Kessel Wasser für Kräutertee auf, knetete Mehl und formte einen Fladen, den er in die Glut legte. Dazu reichte er Räucherfisch und einen sorgsam gehüteten Lagerapfel.

      Die fremde Frau verzehrte alles, ohne ein Wort zu sagen, ihre Miene war unergründlich. Tómas wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Sonderlich dankbar zeigte sich die Frau nicht, dabei hatte sie allen Grund dazu. Zum einen hatte er ihr das Leben gerettet und ihr zu essen gegeben, obwohl er selbst kaum etwas hatte, zum anderen hatte er sich bisher wie ein Ehrenmann verhalten. Das könnte bestimmt nicht jeder von sich behaupten.

      »Wirst du bleiben?«, fragte er schließlich scheu.

      »Wohin sollte ich schon gehen«, antwortete sie. »Ich weiß nichts. Ich kenne dieses Land nicht, dieses Jahr, alles ist mir fremd, einschließlich mir selbst.«

      Diese Antwort gefiel ihm.

      Allerdings täuschte Tómas sich gewaltig, wenn er glaubte, dass die Fremde ihm zur Hand gehen würde, wie es sich für eine anständige Frau gehörte. Sie sah nicht nur aus wie eine Adlige, sie benahm sich auch so. Sie war herrschsüchtig, trieb ihn zur Arbeit an, schimpfte ihn faul, sein Heim einen Schweinestall, schalt und nörgelte den ganzen Tag, und nachts verpasste sie ihm eine heftige Kopfnuss und drohte ihm schlimmere Schmerzen andernorts an, falls er weiterhin versuchte, nach ihr zu greifen.

      Trotzdem nannte er sie Àtha, Freude. Denn sie war eine Frau und sie war da, und auch wenn sie nichts tat, veränderte sich doch alles, und zum Guten. Die Hütte war ausgebessert und aufgeräumt, die Gestelle für die Netze haltbarer, das Boot nicht mehr leck, und das Werkzeug ordentlich aufgereiht. Tómas fing fleißig Fische, ging Frühkräuter und die ersten Beeren sammeln, und er wusch sich jeden Tag und schabte sich das Kinn glatt. Manchmal war er so müde von der Arbeit, dass er beim Kochen die Augen kaum offenhalten konnte, und danach schlief er wie ein Stein, sodass er gar nicht mehr auf dumme Gedanken kam. Doch er war zufrieden wie schon lange nicht mehr, als hätte er einen neuen Lebenssinn gefunden.

      Eine Watershee war sie wohl doch nicht, kam er zu dem Schluss, weil sie niemals sang oder sonst ein magisches Werk vollbrachte, auch seine Seele hatte er noch. Sie musste demnach ein Mensch sein, wenngleich ziemlich verrückt, so ohne Gedächtnis. Obwohl, manchmal hatte er den Eindruck, als ob ihre nackten Füße den Boden nicht richtig berührten, er fand nie Spuren von ihr. Doch das musste nichts zu bedeuten haben, sie wirkte eben ätherisch und bewegte sich auch wenig draußen. Viel stärker noch war sein Gefühl, dass ihr etwas fehlte, was normale Menschen hatten, doch Tómas kam nicht drauf, was es sein könnte. Er wollte nicht zu viel darüber nachdenken.

      Ach, was spielte das für eine Rolle. Tómas war nicht mehr allein, es lief so gut wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Er tat alles für Àtha. Hauptsache, sie blieb bei ihm. Für wie lange … nun, das schob er weg.

      »Ich werde gehen«, sagte Àtha eines Abends. »Ich habe etwas Wichtiges zu tun, zu dem mir nicht mehr viel Zeit bleibt.«

      »Was könnte das denn sein?«

      »Wenn ich es wüsste, wäre ich schon fort, Dummkopf!«

      Tómas war es von Anfang an klar gewesen, dass die Frau nicht für immer bei ihm bleiben würde. Sie war nur da, weil sie sonst nicht wusste, wohin. »Du hast nichts Wichtiges zu tun«, erwiderte er. »Du gehörst mir.«

      Ihre grünen Augen wetterleuchteten durch das dämmrige Licht in der Hütte. »Wie kommst du denn da drauf?«

      »Ganz einfach, ich habe dich gerettet«, sagte er kühn. Es wurde Zeit, dass er sich wieder als Mann zeigte. Vielleicht sollte er sie mal gründlich schlagen, damit sie wusste, wer in Wirklichkeit das Sagen hatte. Das hatte bei seiner früheren Frau auch geholfen. »Das verpflichtet dich.«

      »Das glaubst auch nur du«, stieß sie prustend hervor, halb lachend, halb wütend.

      »Ein böser Fluch wird dich treffen, wenn du mich verlässt«, drohte er. »Vergiss nicht, du bist an meinem Ufer gestrandet. Wer weiß, wer dich ins Wasser geworfen hat, vielleicht lastet ohnehin schon ein Fluch auf dir, der nur solange ruht, wie du mir gehorchst.«

      Jetzt hatte er sich ganz schön weit vorgewagt, zum ersten Mal, seit sie bei ihm lebte, und er erwartete mit leicht eingezogenem Kopf das Unwetter, das sich zweifelsohne über ihm entladen würde. Doch sie saß einige Zeit still da und musterte ihn misstrauisch.

      »Ich muss fort«, erklärte sie schließlich endgültig. »Hier kann ich nicht bleiben, Fluch hin oder her.«

      Das nahm eine Wendung, die Tómas noch weniger als alles andere gefiel. »Aber warum?«

      »Ich werde schwach«, sagte Àtha abwesend. »Jeden Tag, den ich länger hier verweile, werde ich weniger. Irgendwann werde ich mich auflösen und verschwunden sein.«

      *

      Um die passenden Spiegel zu bekommen, verbrachten Nadja und Fabio fast den ganzen