Uschi Zietsch

Elfenzeit 5: Trugwandel


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Elf mit Skrupeln.« Die Stimme des Getreuen klang amüsiert. »So tief ist das Volk inzwischen gesunken.«

      »Dieses Land hier ist der Boden des Abgrunds, tiefer geht es nicht mehr«, erwiderte Ainfar mit bebender Stimme. »Ich mag verurteilt und verbannt sein, aber ich habe meine Ehre nicht aufgegeben!«

      »Das ist mein Vorteil euch gegenüber, ich habe gar keine Ehre.« Der Getreue schwieg kurz, senkte leicht den Kopf, um nachzudenken. »Also gut«, sagte er dann. »Gib einer Zofe den Befehl, Dienerschaft herzuschicken, die saubermachen soll. Dann hat keiner von euch die Wahl getroffen. Kannst du damit leben?«

      »Ich muss es wohl.«

      »Gewiss. Sonst ist es damit nämlich vorbei, mein Freund. Wir verstehen uns?«

      Ainfar schluckte. »Ja, Herr.« Er wandte sich zum Gehen, doch der Getreue hob die Hand.

      »Ich war noch nicht zu Ende. Sobald ich mich ausreichend gestärkt habe, werde ich in die Menschenwelt zurückkehren und alles vorbereiten, einen neuen Ausgang zu schaffen, durch den ihr dann gehen werdet, sobald ich euch rufe. Halte deine Soldaten ständig auf Abruf bereit. Wie viele hast du?«

      »Derzeit fünfzig, Gebieter.«

      »Die genügen vorerst. Aber weitere sollen in Bereitschaft bleiben, es kann unter Umständen schnell gehen.«

      Erregung stieg in Ainfar auf. »Dann … werden wir das Schattenland bald verlassen?«

      Der Getreue nickte. »Sehr bald.«

      »Und … wohin werden wir gehen?«

      »Nach Irland«, lautete die Antwort. »Ich werde das Zeitgrab in Newgrange öffnen, um von dort aus die in der Zeit verschollene Königin zurück zu holen.«

      Ainfar verschlug es für einen Moment die Sprache. Aber dann begriff er die Zusammenhänge, die Rätsel klärten sich. »Verstehe. Ich werde alles vorbereiten.« Selbstverständlich musste die Königin in diese Zeit zurückgeholt werden! Nicht auszudenken, wenn sie in der Vergangenheit blieb … alles würde sich verändern, der Krieg um Crain völlig anders verlaufen … das wäre eine Katastrophe! Damit war er ausnahmsweise einmal einer Meinung mit dem Verhüllten. Manchmal musste man sich mit dem Feind verbünden oder ihn zumindest unterstützen, um noch Schlimmeres zu verhindern.

      Vielleicht war dies dann endlich die Gelegenheit, eine Nachricht an Regiatus abzusetzen – auch wenn Ainfar immer noch keine Ahnung hatte, was er dazu benutzen sollte.

      Ainfar, noch halbwegs unter Schock über Melemidas Tod stehend, kehrte in den Thronsaal zurück und gab die Befehle des Getreuen weiter. Eine Zofe – nicht Eledula – erhielt den Auftrag, mindestens ein Dutzend Diener zu Bandorchus Gemach zu schicken. Alles Weitere verdrängte der Tiermann, er konnte sowieso nichts dagegen machen. Der Tod des Getreuen wäre angesichts der derzeitigen Situation kaum dienlich, und auch Ainfar hatte noch einiges zu erledigen, bevor er nach Annuyn gehen musste.

      Anschließend suchte er fünfzig Soldaten aus und postierte sie beim Thron, fünfzig weitere hielt er in Bereitschaft. Die übrigen, die noch kämpfen konnten, verdienten die Bezeichnung »Soldat« nicht und sollten erst nachfolgen, wenn es soweit war.

      Aufbruchstimmung machte sich breit. Ainfar fragte sich, wie die Verbannten sich ihr künftiges Leben denn vorstellten? Einen fortdauernden Krieg, bis sie alt wurden und starben? Aber vermutlich war ihnen im Moment alles egal, Hauptsache, sie entkamen endlich der Verbannung. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Schließlich konnte er selbst es kaum mehr erwarten, das Schattenland zu verlassen.

      Aber nun hieß es warten. Der Getreue hatte sich nicht geäußert, wie schnell und vor allem auf welche Weise er den Weg in die Freiheit ermöglichen würde, und wie sie es erfahren sollten. Da die Reise so kurz bevorstand, wurde der Tiermann ungeduldig. Vor allem aus Sorge, dass im letzten Moment noch etwas schiefging und er hier gefangen bliebe.

      Ainfar tigerte nervös auf und ab, kurz davor, sich zu verwandeln. Die anderen Elfen waren ebenfalls unruhig, bezähmten sich aber. Sie waren längst daran gewöhnt, auszuharren und nicht zu sehr aufzufallen. Kurz kreuzten sich Ainfars Blicke mit Eledulas, die zusammen mit den anderen Zofen in einer Nische mit bequemen Sitzgelegenheiten wartete. Der Tiermann nickte der Antilopenfrau kurz zu, dann drehte er sich um, verschwand durch die schweren Vorhänge und betrat den Gang hinter dem Thron.

      Es war geisterhaft still. Kein Geräusch, niemand zu sehen. Ainfar ging gelassen weiter. Er hoffte, dass der Getreue sein grausiges Werk inzwischen vollendet hatte und es endlich vorwärts ging. Viel Zeit blieb dem Tiermann nicht mehr, um Regiatus vorzuwarnen.

      Als er am Treppenabgang vorbeikam, hörte er leisen Gesang von weit unten heraufschallen. Ainfar wusste wie jeder Elf, hier ging es zu den Kerkern hinunter. Normalerweise ging man an dieser Treppe sehr schnell vorbei und achtete möglichst auf nichts. Doch dieser Stimme konnte er sich nicht verschließen. Dafür kannte er sie viel zu gut.

      »Ich bin so alleiiin, alle haben mich vergessen, das kann doch gar nicht seiiin, wo ich doch geschworen hab, mich zu bessern …«

      Als gäbe es hier unten weder Schmerz noch Schrecken, trällerte jemand ein fröhliches Liedchen. Text und Reim waren grauenvoll und die Melodie nicht viel besser. Das konnte wirklich nur einer sein. Und Ainfar hatte nicht einmal gewusst, dass er hier war!

      Als der Tiermann in den Kerkergang abbog, gab es sofort Aufruhr in den Verliesen. »Herr, gnädiger, gütiger Herr, lasst mich frei, ich bin unschuldig!« – »Lasst den doch reden, er ist ein stinkender Lügner, aber ich, bitte, guter Herr, ich habe die Freiheit viel mehr verdient!« – »Hört nicht auf die, edler Herr, sie wollen euch nur ermorden! Doch ich will Euer Diener sein, auf ewig, wenn Ihr mich befreit!«

      Von allen Seiten drangen Stimmen auf ihn ein, und viele unterschiedliche Gliedmaßen streckten sich flehend aus der Dunkelheit durch die Gitterstäbe. Ainfar hielt sich die Ohren zu, er konnte es kaum ertragen. So viel Jammer und Leid waren selbst für einen Elfen zu viel. Der Weg durch den fackelbeleuchteten Gang wurde zum Pfad durch die Endlosigkeit. Der Tiermann ermahnte sich, nicht darauf zu achten, er hatte nur ein Ziel; nämlich den Verursacher des Liedes zu finden, und dabei durfte er nicht auffallen. Um keinen Preis.

      Doch schließlich hielt er es nicht mehr aus. Bei der nächstbesten Tür verharrte er, prüfte Schloss und Magie, fand beides recht einfach, und knackte es. Mit einem heftigen Ruck riss er die Gittertür auf und sagte: »Komm heraus, du bist frei!«

      In der Dunkelheit, die seine Augen nicht durchdringen konnten, gab es ein platzendes Geräusch, gefolgt von einem … Kichern?

      Ainfar fuhr zurück, als ein nur handspannenlanges, geflügeltes Wesen in Augenhöhe herausschwirrte und sich vor Lachen ausschüttete.

      »Ein … ein Irrwicht … aber wie …«, stieß der Tiermann bleich hervor.

      Rings um ihn zogen sich die Gliedmaßen plötzlich zurück, und überall erklangen die platzenden Geräusche und das Kichern. Scharen von Irrwichten strömten durch die Gitterstäbe heraus und flatterten schnatternd und sich gegenseitig schubsend davon, die Treppe hinauf.

      Ainfar schüttelte den Kopf, zwickte sich in den Arm, ob er träumte, und konnte es nicht fassen. Aus der Tiefe des Gangs, von wo das Lied erklungen war, erschall nun Gelächter. Ainfar wandte sich um und sah im flackernden Fackellicht eine Silhouette am anderen Ende, die in Ketten hing. Ein schlecht angenagelter, nicht angepasster Schatten hing in Fetzen von den Füßen herab. Die Fackeln zeichneten mit Feuerfingern ein Hirschgeweih über dem Kopf des Gefangenen an die Wand.

      »Du bist echt«, sagte der Tiermann und ging auf den Häftling zu.

      »Brüderchen!«, rief Alebin begeistert. »Ich bin gerührt, dich zu sehen! Dich hätte ich hier zuletzt erwartet, Nesthäkchen!«

      »Ich dich ebenso wenig«, gestand Ainfar. Er wies auf die leeren Kerker. »Was hat das alles zu bedeuten? War es immer nur Lug und Trug, was wir da oben hörten?«

      »Wer weiß?« Alebin kicherte wie ein Irrer. Sein nur noch von Fetzen bedeckter Körper war zerschunden, aber im Heilungsprozess. »Seit ich hier unten bin, gab es