die dunkle Gestalt, die sich vor ihrem Bett hinunterbeugte, mit dem Rücken zu Ainfar.
Der Getreue!
Ainfar musste um Augenblicke zu spät gekommen sein. Der Getreue hatte bereits seine Kutte übergeworfen – Wenn er sie überhaupt abgelegt hat! –, und ehe er einen Blick auf mehr als zerzaustes schwarzes Haar und die Ahnung blasser Haut erhaschen konnte, griff dieser mit seinen behandschuhten Händen nach hinten und schlug die Kapuze hoch.
Bandorchu machte indessen eine nachlässige Geste, die nicht zu dem harten Blick ihrer Augen passen wollte.
»Sterbliche. Sieh zu, dass wir nicht selbst wie sie enden. Das Tor ist wichtig – aber es ist mindestens ebenso wichtig, den Verfall aufzuhalten, und in dieser Hinsicht hast du bisher keine großen Erfolge aufzuweisen.« Sie setzte sich auf und hob die Arme, um ihre Haare nach hinten zu streifen. Das Laken glitt an ihrem Körper hinab, und der Anblick ihrer makellos milchweißen Haut, der weichen Rundungen ihrer Brüste und der wie kleine rosa Knospen darauf sitzenden Brustwarzen lies Ainfars Atem stocken. Seine Gedanken verwirrten sich, und er konnte kaum noch wahrnehmen, was weiter gesprochen wurde.
»Ich kann mich nicht um zu viele Dinge gleichzeitig kümmern, und so lange ich mit Helfern wie Cor und dem Kau oder diesem Stümper Alebin arbeiten muss, wird es immer wieder Rückschläge geben. – Aber wir werden sehen. Vielleicht finde ich ja unter den Sterblichen Verbündete, die mich erfolgreicher unterstützen. So lange muss ich mich wohl mit dem begnügen, was mir zur Verfügung steht, und wir müssen mit den Erfolgen zufrieden sein, die wir haben. Und solange sie in der Sache des Quells glauben, uns voraus zu sein, wiegen sie sich in Sicherheit.« Er lachte leise. »Sie waren dabei, als ich den ersten Knoten für uns versiegelt habe, und dennoch haben sie offensichtlich keinen einzigen weiteren Gedanken darauf verschwendet, was das bedeuten könnte. Sie jagen nur dem Quell hinterher … und es kann uns nicht stören, wenn sie ihn vor uns finden sollten. So oder so fällt am Ende alles uns in die Hände.«
Langsam drang das Gehörte zu Ainfars Bewusstsein durch, und der Schock durchfuhr ihn bis ins Innerste. Seine Gedanken, beim Anblick von Bandorchus Körper zäh geworden wie Tannenharz, rasten nun so schnell wie sein Herzschlag.
Alebin … im Dienst Bandorchus … noch immer! Alebin, mein Bruder, der Meidling, wegen dem ich hier bin … wer hätte geahnt, dass er mit der gleichen Absicht zurückgeblieben ist, mit der ich mitgegangen bin? Und Regiatus und Fanmór sind so ahnungslos, wie ich es war. Tore … und die Herrschaft über die Welt der Sterblichen … sie plant tatsächlich, schon in absehbarer Zeit das Schattenland zu verlassen!
Ihm wurde schwindlig, und damit begann sein Verderben. Der Absatz unter ihm war schmal, und eine seiner Pfoten rutschte ab. Erschrocken versuchte er, seinen Absturz zu verhindern, indem er seine Krallen ausfuhr. Doch der Fels war glatt und bot keinerlei Halt. Mit einem hässlichen Kratzen von Krallen auf Stein kam er ins Rutschen.
Der Getreue fuhr herum, und sein Blick glitt suchend durch den Raum.
»Was ist das?«, zischte er. Im nächsten Moment spürte Ainfar, wie der Blick des Mannes sich auf ihm festsog und dessen kalte Aura nach ihm griff. Seine Glieder wurden steif, Lunge und Herz schmerzten von der Anstrengung, sich gegen die Starre zu wehren.
»Ungeziefer«, stellte der Getreue verächtlich fest. Aus dem Augenwinkel sah Ainfar, wie er eine Hand hob.
In diesem Moment gaben seine Muskeln nach, und er stürzte ungebremst dem tief unter ihm liegenden Boden entgegen.
7.
In die Tiefe
Der Draugr schlurfte auf seinen dürren, mit Pergamenthaut überzogenen und Stofffetzen behangenen Beinen auf Rian zu, die Finger nach ihr ausgestreckt, als wolle er sie packen. Unwillkürlich trat sie einen Schritt von der Glastür zurück auf die Terrasse. Auch Mats wich ein Stück, den Blick in einer Mischung aus Furcht und Faszination auf den Untoten gerichtet.
Es ist keine gute Idee, sich von einem Draugr verletzen zu lassen, hallten Mats Worte durch Rians Gedanken. Sie verbreiten Leichengift …
Die Elfe zog den kleinen Dolch, den sie mit sich führte; der einzige Kompromiss, den sie an Waffen machte. Im Gegensatz zu David hatte sie sich nie dafür begeistern können.
»Rian«, hörte sie in diesem Moment ihren Bruder rufen. »Du … was machst du hier?«
»Ich ziehe dich aus dem Mist, in den du dich mal wieder reingeritten hast«, antwortete sie. Erneut wich sie ein Stück nach hinten, die Klinge vor sich gehalten. »Aber es wäre nett, wenn du dich ein wenig beteiligen würdest.«
Der Draugr hatte die Glastür erreicht und stieß sie ganz auf, ehe er hindurchtrat. Von der Wucht seines Stoßes wurde die Tür über den Anschlag hinausgetrieben und verkantete sich in der Schiene. Mit einem Knacken entstand ein Riss quer über das Glas. Der Draugr trat über die Schwelle und blieb stehen. Sein Blick pendelte zwischen Rian und Mats, als könne er sich nicht entscheiden, wem er sich zuerst zuwenden sollte.
»Mats, wie tötet man einen Draugr?«, fragte Rian, während sie beide ein Stück weiter zum Rand der Terrasse zurückwichen.
»Das ist nicht sicher«, antwortete Mats mit vor Aufregung heiserer Stimme. Er hielt die Axt ähnlich abwehrend vor sich wie Rian den Dolch. »Angeblich muss man ihnen den Kopf abschlagen, ihn an ihr Gesäß legen und sie dann verbrennen. Ausprobiert habe ich das natürlich noch nicht.«
Rian riskierte einen Blick vorbei an dem Draugr. Die Frau hatte sich wieder aufgerichtet und musterte die Szene mit verkniffenem Gesicht. Nichts war mehr von der Schönheit zu erkennen, die Rian vorher im Gasthaus aufgefallen war. Die Augen glühten in hellem Schwefelgelb, ihr Gesicht wurde von einer großen Hakennase beherrscht, und das Haar hing ihr in filzigen Strähnen um das Gesicht. Wo die Bluse noch immer offen stand, konnte man unter faltiger grauer Haut ihre Rippen erkennen. Ihr Busen hing schlaff herunter und die breiten Hüften stachen knochig selbst durch den Stoff ihres engen Rockes hervor.
Ganz sicher nicht das Schönheitsideal, das David normalerweise verfolgt, schoss es Rian mit einer gewissen Schadenfreude durch den Kopf.
Ihr Bruder hatte die Lähmung anscheinend noch nicht ganz überwunden, die ihn erfasst hatte. Er hatte die Hand von seinem Kopf genommen, und Rian stellte erleichtert fest, dass er nicht verletzt war. Aber sein herumirrender Blick ließ vermuten, dass er noch immer Schwierigkeiten hatte, die Lage klar zu erfassen.
Der Untote verharrte weiterhin unschlüssig im Durchgang. Er hatte beide Hände erhoben, um auf sie und Mats zu zeigen, und sein Blick ging zwischen ihnen hindurch in die Nacht. Erst als sie das kurze Aufwallen starker Magie bemerkte, wurde Rian klar, dass er nicht etwa aus Unentschiedenheit zögerte.
Sie fuhr mit einem Warnschrei herum, doch sie sah nur noch einen schwarzen Brocken heranzischen, ehe etwas gegen ihren Kopf schlug und sie herumwarf. Schmerz explodierte in ihrem Schädel und ließ sie weiter taumeln. Der Dolch entglitt ihrer Hand, schlug klirrend auf der Terrasse auf, während Schwärze hinter ihren Augen aufstieg und ihre Knie nachgaben. Den harten Aufprall auf dem Stein spürte sie nicht mehr.
»Vorsicht!«
Der Aufschrei seiner Schwester riss David endgültig in die Gegenwart zurück. Mit einem Brüllen sprang er vor, doch ein anderer stand bereits zwischen Rian und dem sich auf sie zu schleppenden Draugr. Der alte Mann, der mit Rian gekommen war, hatte sich bei ihrem Ruf zur Seite geworfen, und ein ähnlicher Gesteinsbrocken hatte ihn daher lediglich am Oberarm gestreift. Hastig raffte er sich wieder auf und stand nun mit drohend erhobener Axt schützend vor Rians reglosem Körper. Den Draugr schien das nicht zu irritieren.
»Du wirst das Mädchen nicht retten können, Elf«, hörte David Birte mit schnarrender Stimme sagen. »Genausowenig wie dieser pathetische Alte da draußen. Mein Diener wird euch allen das Licht auslöschen.«
In diesem Moment ließ Mats seine Axt auf den ausgestreckten Arm des Draugr niedersausen, und wie zur Bestätigung von Birtes Worten prallte der Stahl einfach zurück. Die Waffe entglitt den Händen des Alten und flog in die Nacht hinaus, während