Eine spitze Nase stach wie ein Rabenschnabel aus seinem Gesicht nach vorn, und die Augen glühten in raubtierhaftem Grün. Alle sichtbare Haut war mit kurzem blauem Fell bedeckt, in dem sich in kleinen Kügelchen Dreck angesammelt hatte. Sein langes Haar hatte er mit einem Band am Hinterkopf zusammengefasst und zu verfilzten Zöpfen geflochten, die Rian an Rastas erinnerten. Auf den Wangenknochen wuchs das Haar ebenfalls länger und in Locken.
Dazu passte das schäbige schwarze T-Shirt, das er trug. Silberketten baumelten daran herunter, und eine rote Aufschrift besagte: Ich trage Schwarz, bis es eine dunklere Farbe gibt. An seinen spitzen, nach hinten ragenden Ohren hingen in dichter Reihe silberne Ohrclips mit herunterbaumelnden Totenköpfen, Schwertern, Pentakeln und anderen Symbolen. Zwei breite schwarze, mit spitzen Silbernieten besetzte Lederbänder um die Handgelenke und eine schwarze Lederhose mit weiteren Silberketten daran vervollständigten die Seltsamkeit des Bildes, das er abgab. Seine haarigen Füße hingegen waren bloß, und die Dreckränder auf und unter den spitzen Zehennägeln ließen vermuten, dass sie das immer waren.
Der deutlich kleinere Troll neben ihm trug Springerstiefel, khakifarbenes Hemd und Hose aus Stoff. Er hatte seine orangen Haare so kurz geschnitten, dass sie von seinem Kopf abstanden. In der Rechten hielt er ein Messer mit langer Klinge, und die Linke umschloss einen Schlagring. Seine Augen funkelten angriffslustig, als würde er sich wünschen, dass sie einen Fluchtversuch unternahmen.
Die anderen drei Trolle waren weniger bemerkenswert, obwohl auch sie fleckige und rissige T-Shirts und Hosen trugen, die besser zu menschlichen Jugendlichen gepasst hätten als in die Anderswelt. Es war nicht zu übersehen, dass hier ein Austausch stattgefunden hatte – ob nur in die eine Richtung oder in beide, war eine andere Frage. In jedem Fall hatte man sich um Fanmórs Gebot der Weltentrennung aber offensichtlich wenig geschert.
Rian und David kamen langsam aus der Hütte, die Hände leicht erhoben, obwohl es ohnehin nichts gab, wonach sie hätten greifen können, um einen Angriff zu versuchen. Rian rümpfte die Nase, als die Körpergerüche der Trolle sie trafen. Offensichtlich wuschen sie nicht nur ihre Bettwäsche nie.
Vor der Hütte war der Boden felsig, und Davids Vermutung schien sich zu bestätigen: Sie befanden sich immer noch in einer Höhle, wenn auch in einer riesigen Ausmaßes. Ihre Hütte stand nicht weit von einer Felswand an einem Hang, der in sanftem Schwung abwärts führte. Weitere Hütten waren zu sehen, ohne Ordnung hingestreut zwischen Felsen und ausgedehnten bewachsenen Flächen, die Grün, Blau, Weiß und Braun schimmerten. Die Luft war hier dicht von den Leuchtkügelchen erfüllt, die sie auch in der Hütte gehabt hatten, und zudem wuchsen am Boden und an der hoch über ihnen hängenden Felsdecke große runde Kugeln, die hell leuchteten. Jenseits der Hütten konnte man dort, wo der Fels am tiefsten war, ein dunkles Band ausmachen, und von dort kam auch das Rauschen.
Die Trolle umringten die Zwillinge, und der Große nickte zufrieden. »Gehen wir zur Altmutter. Ihr kommt besser ohne Gegenwehr mit.«
»Sonst hauen wir euch platt«, setzte der Orange mit hoher Stimme hinzu und ballte die Hand zur Faust.
»Schnauze, Bur«, knurrte der Blaue.
Auf einen Wink von ihm hin wandte die Gruppe sich dem Weg zu, der hinunter zu den anderen Hütten führte. Rian und David blieb nichts übrig, als in ihrer Mitte mitzugehen, wollten sie nicht riskieren, »plattgehauen« zu werden.
Eine Weile gingen sie schweigend an Felsen und Feldern von Pilzen, Moosen und niedrigen Gebüschen vorbei. Schließlich fasste Rian Mut und fragte: »Wo bringt ihr uns hin, und was wollt ihr von uns?«
Der Große knurrte und bleckte seine spitzen Zähne. Rian fragte sich, ob das ein Lächeln sein sollte. »Ihr kommt zur Altmutter, hamwa doch gesagt. Die wird entscheiden, was wir mit euch machen. Ihr seid ins Unterland gekommen, obwohl so Leute wie ihr hier nix zu suchen ham, und niemand hat euch hier ham wolln.«
»Aber doch nicht freiwillig! Wir sind in ein Loch gestürzt, das wie eine Falle war!«
»Ändert nix dran. Ihr seid hier und habt hier nix zu suchen. Is’ unser Revier. Ihr habt’s verletzt. Die Altmutter wird sich ne Strafe überlegen. Sie is’ der Boss hier.«
»Platthauen«, murmelte der orange Troll, ohne dass jemand ihn beachtete.
»Und was ist mit unseren Sachen?«, fragte Rian
»Behält sie bestimmt. Schadenersatz.«
Die Elfe stöhnte. All die Schmuckstücke und anderen Geschenke, die ihnen den Weg hatten ebnen sollen, waren jetzt weg, gestohlen. Sie hätten mit so etwas rechnen und einen magischen Bann auf die Taschen legen sollen. Nicht dass sie nicht problemlos neue Sachen hätten besorgen können, sobald sie die lästigen Handfesseln los und wieder in der Menschenwelt waren – aber es würde sie Zeit kosten.
Sie hoffte, dass sie wenigstens ihre Lieblingshandtasche zurückbekommen würde, auch wenn die Schuhe, zu denen sie sie gekauft hatte, vermutlich verloren waren.
»Geht ihr oft in die Menschenwelt?«, fragte Rian, um sich auf andere Gedanken zu bringen.
Der Troll schüttelte den Kopf und knurrte. Sie bemerkte, dass die anderen ein wenig die Schultern hochzogen und die Köpfe hängen ließen.
»Altmutter hat’s verboten. Eigentlich schon immer, aber … jetz’ noch mehr.«
Rian musterte den Blauen. »Es ist aber doch deutlich zu sehen, dass ihr alle öfter dort wart. Oder ist das alles durch eure Löcher gefallen?«
»Nee.« Er steckte einen Finger in den Mund, fuhr sich über die Zähne und begann, mit seinen Fingernägeln an einer Zahnlücke herumzubohren.
»Wir warn früher ab un’ zu oben«, sagte eine angenehme Stimme hinter Rian. Sie sah sich um. Hinter ihr lief eine Trollin mit so kurzem und hellem türkisfarbenem Fell, dass es fast als Haut hätte durchgehen können. Wo die Ärmel des weißen T-Shirts endeten, waren aufgemalte dunkelrote Ornamente zu sehen, die an Tribal Tattoos erinnerten. Auch die Ohren waren mit mehreren Clips bestückt, und ein kleiner Clip mit funkelndem Stein klemmte am linken Nasenflügel.
Wieder blitzten Rian spitze Zähne entgegen.
»Schöner Schmuck«, sagte Rian.
»Danke. Is’ halt Mist, dass wir uns nix stechen lassn könn’. Wächst alles in nem Tag oder zweien wieder raus, das ist so zum …« Sie machte den Mund weit auf und deutete mit einem Finger rein, als wolle sie das Anstoßen des Brechreizes andeuten. Dann zeigte sie auf das Muster an ihrem Arm. »Tattoos sind auch nich’ drin. Bin stattdessen zu Henna übergegangen, das hält wenigstens ne Weile. Mein Fell nimmt die Farbe gut an.«
»Ah. Ich habe immer gedacht, es wäre eine gute Sache, wenn Wunden so schnell heilen wie bei euch, aber ich sehe, es hat auch Nachteile.«
»Is’ ja egal jetz’«, knurrte der Große. »Is’ eh Essig jetz’ mit den Ausflügen, wenn wir nich riskieren wolln, rauszufliegen. Also wird’s bald auch nix mehr sein mit Henna und so. Wird Jackie sich was anderes suchen müssen.«
»Jackie?«
»Das Mädel da. Jaksarani eigentlich, aber nennt sich Jackie.« Er machte eine Kopfbewegung zu der Trollin mit den Ornamenten.
»Tut mir echt leid, ich geh nämlich genauso wie du gern shoppen.«
Jackie winkte ab. »Null Problemo. Hab Schlimmeres erlebt und überlebt, wird sich auch wieder ändern. Was glaubste, wie die Menschen mich angeguckt ham, wenn meine Tarnung mal ’n bisschen nachgelassen hat?« Sie kicherte.
»Ich kann es mir vorstellen. Menschen haben leider meistens ziemliche Probleme mit allem, was ihnen fremd ist. Wir kennen das zur Genüge. David und ich haben eine Weile in Paris gelebt.«
»Echt jetz’?« Die Trollin bekam große Augen. »Ey, Paris … Wahnsinn. Wart ihr auch mal in New York? Da soll es ja echt hart hergehen.«
»Nein.« Rian schüttelte den Kopf. »Wir sind in Europa geblieben, in der Nähe zu Earrach. Wir sind ja nicht aus Spaß in die Menschenwelt gegangen.«
»Hat man euch rausgeschmissen?«,