wurden, atmete ich auf. Ich freute mich intensiver auf Frühling und Sommer als je zuvor. Außerdem konnte ich es kaum erwarten, meinen ersten Ahornsirup herzustellen. Schon vor Wochen hatte mir die Besitzerin eines kleinen Tante-Emma-Ladens in Woodstock alles über maple sugaring und tree tapping erzählt – und mir auch gleich die stählernen Zapfhähne, sogenannte spiles, samt Anleitungsbroschüre dazu verkauft. Mit einem Hammer schlug ich diese Hähne nun in drei nahegelegene Ahornbäume ein. Die dicken Stämme hatte ich zuvor mithilfe eines Handbohrers präpariert, und zwar anderthalb Meter über dem Boden zur Sonnenseite hin. Dort prangten jetzt trotz meines bescheidenen handwerklichen Geschicks tiefe, etwa ein Zentimeter breite Löcher, in welche die spiles genau hineinpassten. Ich hatte auch einige Stahleimer besorgt, die ich an Haken darunter aufhängte, um den Ahornsaft aufzufangen, jene Flüssigkeit, die durch den Baum fließt, um ihn mit Nährstoffen zu versorgen. Im Vorfrühling ist der sap besonders süß, da sich die im Holz gespeicherte Stärke in Zucker verwandelt, doch nur während der kurzen Zeit, in der die Nächte noch Frost bringen, die Tage aber schon warm sind, kann man ihn sammeln – denn nur dann läuft er auch aus dem Baum heraus! In der Tat steckt ein recht komplexer Prozess hinter dem maple sap flow: Es entsteht nämlich bei Minusgraden ein Unterdruck im Stamm, der dazu führt, dass Flüssigkeit angesaugt wird, die dann im Baum gefriert. Klettert das Thermometer nach oben, taut sie wieder, während gleichzeitig im Holz Gase expandieren und einen Überdruck erzeugen, der den Saft aus dem Stamm herausdrückt. Dieser Wechsel von Kälte und Wärme war es also, der nun meine drei Ahornbäume gewissermaßen zu Pumpen machte und die kostbare Nährstofflösung in meine Eimer tropfen ließ.
Ungefähr zwei Wochen lang sammelte ich täglich die Flüssigkeit ein und füllte sie in große Container, die ich draußen im Restschnee kühl hielt. Manchmal gaben die Bäume mehrere Liter in wenigen Stunden ab, zu anderen Zeiten tropfte es nur spärlich und am Ende eines Tages war gerade mal der Eimerboden benetzt (diesen einen Schluck trank ich dann meist aus, statt ihn abzufüllen). Schließlich stand ich aber mit etwa siebzig Litern Ahornsaft da, die nun zur Sirupgewinnung eingekocht werden mussten. Dazu bauten Paul und Phillip aus großen Steinen eine extra Feuerstelle neben unserem Haus, auf die wir dann zwei große Blechpfannen setzten. Diese befüllten wir nach und nach mit dem sap, der darin munter blubberte, brodelte und langsam verkochte. Einen ganzen Tag lang stiegen über dem Feuer duftende Dampfschwaden auf, während sich der süße Saft mehr und mehr reduzierte und konzentrierte. Man konnte sich gut vorstellen, wie schon vor Hunderten von Jahren die Ureinwohner Nordamerikas auf ähnliche Weise ihren Sirup kochten. Auch wenn es ewig dauerte – wir alle genossen es, den ganzen Tag draußen am Lagerfeuer zu sein, die Vorfrühlingsgerüche wahrzunehmen, die ersten jungen Knospen zu bestaunen und dabei etwas wahrhaft Besonderes herzustellen: Knapp zwei Liter Ahornsirup füllte ich am Ende des Tages in Gläser, dickflüssig, dunkelgolden und köstlich.
Während der vergangenen Monate hatte ich die Ziegen fast jeden Tag nach draußen gebracht. Sie liebten den Schnee, tobten darin herum und fraßen gern im Wald Äste, alte Blätter und vor allem Nadelhölzer, am liebsten Fichten- und Kiefernzweige. Dazu verschlangen sie Unmengen von Heu und bekamen auch eine Getreideration – trotzdem sah Leila nun im März immer noch unverändert schlank aus, obwohl sie in einigen Wochen Nachwuchs bekommen sollte, und ich wurde misstrauisch.
Ich hatte einiges gelernt, seit die Ziegen zu uns gekommen waren. Zum Beispiel, wie viel feines Heu sie auf dem Boden zertraten oder sonst wie verschwendeten (Nelly nahm gerne ein großes Maul voll und versenkte es im Trinkeimer), wie futterneidisch und herrisch sie sein konnten und wie Leila der jüngeren Nelly – und auch mir – immer wieder zeigte, wer jetzt hier die Chefin war. Da wurde gestupst, gestoßen, gezupft und gemeckert, was das Zeug hielt, und mir wurde klar, wo Begriffe wie ›zickig‹, ›bockig‹ und ›blöde Ziege‹ ihren Ursprung hatten. Ich lernte auch, wie unglaublich oft die beiden pinkeln und kacken mussten (und wie viel auch hiervon zielsicher im Wassereimer landete) und wie geruchsintensiv die Stallreinigung sein konnte. Außerdem waren die beiden wahre Kletterkünstler und konnten Zäune, Türen und Tore überwinden – oder öffnen. Dann fraßen sie buchstäblich alles, was in ihre Reichweite kam, und man musste sehr genau auf seine Knöpfe, Handschuhe und Halstücher aufpassen. Auch der eigene Stall war nicht sicher, und schon nach ein paar Monaten hatten sie große Löcher in die perfekt gezimmerten Holzplanken geknabbert.
Was ich nach all der Zeit allerdings immer noch nicht wusste, war, woran man eine trächtige Ziege erkennt. Da Leila weder runder, noch träger oder gar mütterlicher wurde, begann ich, an ihrer Schwangerschaft zu zweifeln.
»Warum wird sie denn gar nicht dicker?«, wunderte sich auch Paul.
»Da sind garantiert keine Babys drin«, stellte Phillip fest.
»Also, was meint ihr, Leute, hat es vielleicht nicht geklappt?«, fragte ich in die Familienrunde.
Kopfschütteln und Schulterzucken.
Ich war kein bisschen klüger. »So was kann bestimmt vorkommen, oder? Das gibt’s ja bei den Menschen auch. Aber das wäre jetzt wirklich saublöd, dann müsste ich noch ein ganzes Jahr auf die Milch warten.« Was würde aus meinen sorgfältig kalkulierten Käseplänen werden, nach all diesen Monaten der Arbeit?
»Gibt es nicht einen Schwangerschaftstest für Ziegen?«, fiel Tom schließlich ein.
Was? Das war’s! Warum war ich da nicht selbst draufgekommen? Zwar konnte ich nicht sagen, ob Tom es überhaupt ernst meinte – aber der Sache musste ich nun nachgehen.
Ich fragte herum, suchte Rat bei anderen Ziegenbesitzern, rief Sister Pamela an (die mir ausdrücklich die Potenz ihrer Böcke bestätigte) und fand schließlich Patty, die ein Stück weiter oben am Fluss, im Dorf Shandaken wohnte. Patty war eine wettergegerbte, derbe Bäuerin mit langen grauen Haaren und Lachfalten im Gesicht, und sie hielt schon seit Jahrzehnten jedes erdenkliche Getier. Sie wusste alles über Ziegen, schlachtete sogar selbst, und es hieß, sie musste noch nie einen Tierarzt konsultieren, so gut hatte sie alles im Griff. Doch selbst Patty sagte mir, dass sie an errechneten Geburtsterminen schon die eine oder andere Überraschung erlebt hatte. »Du könntest allerdings mal den bleach test ausprobieren, nicht sehr zuverlässig, aber schaden kann’s nicht«, schlug sie mir mit einem Augenzwinkern vor. Ich bedankte mich überschwänglich – endlich gab es etwas, das ich tun konnte!
Am nächsten Morgen stand ich auf der kühlen Weide, bewaffnet mit einem Plastikbecher, und wartete. Nur ein kleines bisschen von Leilas Urin musste ich ergattern, doch auf einmal musste sie kaum noch pinkeln, und wenn sie musste, dann tat sie es im Laufen. Es sah bestimmt absolut lächerlich aus, wie ich sie mit ausgestrecktem Arm, geduckt und stolpernd verfolgte – ich hätte wetten können, dass ich aus Nellys Richtung mehrfach ein belustigtes Schnauben hörte.
Nach langer Jagd und mit nassen Händen brachte ich schließlich einen viertelvollen Becher ins Haus. Endlich! In einer Minute würde ich wissen, ob Leila trächtig war oder nicht: Wenn ich den Urin in eine Schüssel mit chemischer Haushaltsbleiche schütten würde, dann würde die Anzahl der aufsteigenden Blasen die Schwangerschaft entweder bestätigen oder ausschließen. Viel Geblubber bedeutete ein positives Ergebnis, wenige oder keine bubbles: negativ.
Voller Spannung kippte ich das Pipi in die Schüssel – doch nichts geschah. Nicht eine einzige Blase stieg auf. Nicht schwanger! Verflixt!! Ich konnte es nicht glauben.
In den folgenden Wochen wiederholte ich den Test noch einige Male, sammelte sogar Vergleichsurin von Nelly ein (die sich wesentlich kooperativer zeigte und deren Urin deutlich mehr Blasen produzierte) und kam zum immer gleichen Ergebnis. Nicht schwanger. Selbst als Leila bereits ein dickes, fettes Euter gewachsen war.
Nach der Geburt (die schließlich vier Tage nach dem errechneten Termin stattfand) diente dieses Euter nun den beiden Zicklein als Quell des Lebens, und mir war die Parallele zu meiner eigenen Stillzeit akut bewusst. Das Euter roch auch ähnlich wie eine milchgefüllte Menschenbrust, und die Vorstellung, dort demnächst mit meinen eigenen Händen die Milch herauszudrücken, die eigentlich für die jungen Tiere produziert wurde, bereitete mir Unbehagen. War es nicht seltsam, dass wir als Menschen diese Flüssigkeit tranken, die eigentlich für die Aufzucht von Tierbabys bestimmt war? Zum Glück hatte ich noch etwas Zeit, die kleinen Ziegen