Arno Backhaus

Keine Panik, ehrliche Spiegel altern immer mit!


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Klettern bin ich einige Male vom Baum gefallen; im Winter habe ich Wasser auf meine Schlittenbahn geschüttet, das dann zu Eis wurde und entsprechende Unfälle nach sich zog; und beim Fahrradfahren habe ich experimentiert, was freihändig alles möglich war. Vielleicht hätte ich im Zirkus auftreten können …

      image#2 Rennwagen, wilde Pferde und ein Büchertrick

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      Unser Haus stand an einem Abhang – eine ideale Rennpiste. Ich war ungefähr vier Jahre alt, als ich einen alten Leiterwagen aus Holz zu meinem Rennwagen auserkor. Das Lenkrad fehlte und so musste die Deichsel herhalten. Ich rollte den Wagen an den Abhang, stellte mich auf die Ladefläche und klappte die Deichsel hoch.

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      Lederhose – ideal für alle hyperaktiven AD(H)Sler: Hose bleibt ganz, Knie geht kaputt.

      Dann atmete ich tief durch und genoss die prickelnde Vorfreude. Der Abhang war wirklich steil! Eine Schotterpiste, mindestens 30 Meter lang. Aber ich hatte keine Angst vor möglichen Gefahren. Ich wollte einfach ausprobieren, was passieren würde.

      Und es passierte wirklich etwas.

      Denn kurz nachdem ich den Wagen durch heftiges Ruckeln in Bewegung gesetzt hatte, nahmen mein Rennwagen und ich Fahrt auf. Aber so richtig. Schon nach wenigen Metern hatte ich komplett die Kontrolle über das Gefährt verloren. Es kam ins Schleudern, und ich versuchte verzweifelt, mich irgendwo festzuhalten, wusste jedoch nicht mehr, wo oben und unten war.

      Ich purzelte vom Wagen, überschlug mich mehrmals und rutschte dann auf den Knien, Ellbogen und Handflächen den Abhang hinunter. Ich kam sogar noch vor dem Wagen unten an. Die winzigen Steinchen, die sich noch wochenlang in meinen Knieverletzungen befanden und immer wieder Entzündungen hervorriefen, waren eine schmerzhafte Erinnerung an dieses Abenteuer.

      Dabei bin ich damals noch glimpflich davongekommen. Ich hätte mir ohne Weiteres das Genick brechen können. Genau wie bei unzähligen anderen Aktionen.

      Mehrmals wäre ich fast in der Eder ertrunken. Dass ich noch nicht schwimmen konnte, wusste ich. Aber wieso sollte ich nicht trotzdem ins Wasser gehen und dort spielen? Ich vergaß mit der Zeit, wo ich war, und merkte gar nicht, dass ich immer weiter in den Fluss hineinging. Erst, als ich nicht mehr stehen konnte, wurde mir meine missliche Lage bewusst.

      Ich weiß nicht mehr genau, wer mich aus diesen heiklen Situationen befreit hat, aber es müssen sichtbare oder unsichtbare Schutzengel gewesen sein.

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      Trotz der vielen Stürze und Unfälle war ich gerne in der freien Natur. Dort gab es keine Grenzen und meine Seele konnte atmen; das Gefühl der Rastlosigkeit war nicht mehr zu spüren. Vielleicht gründet sich mein erster Berufswunsch – Förster – auf diese positiven Erfahrungen. Allerdings wurde der Traum angesichts meiner schulischen Leistungen ziemlich schnell ausgebremst. Aber auch heute noch halte ich mich sehr gerne draußen auf.

      Damals, in Frankenberg, befand sich die Weite quasi vor der Haustür. Diesen Vorteil nutzte ich natürlich aus, so oft es ging. Schließlich brauchte ich Bewegung. Und ich hatte Angst, irgendetwas Spannendes da draußen zu verpassen. Einmal war es jedoch ein glückliches Timing, dass ich mich im Inneren unseres Hauses befand, als sich im Freien etwas ereignete.

      An unser Haus grenzte ein umzäunter Hof, dessen Tor verschlossen werden konnte. Eines Tages hatte sich dort ein Pferd losgerissen. Irgendetwas hatte es erschreckt, sodass es nun unter schrillem Wiehern über den Hof stürmte. Ich stand im ersten Stock unseres Hauses am Fenster und beobachtete das verstörte Tier. Seine Panik, die ich regelrecht spüren konnte, faszinierte und erschreckte mich gleichermaßen. Obwohl ich in Sicherheit war, hatte ich große Angst.

      Irgendwann haben einige Männer das Pferd wieder beruhigt. Doch mir zitterten noch lange die Knie. Mal abgesehen von den angekündigten Strafen meiner Mutter, war dies einer der wenigen Momente meiner Kindheit, in denen ich wirklich Angst hatte. Auch heute noch halte ich lieber Abstand zu diesen Tieren, auf deren Rücken ja anscheinend das Glück dieser Erde liegen soll.

      EIN KIND DER NACHKRIEGSZEIT

      Bis zu meinem fünften Lebensjahr wohnte ich mit meinen Eltern und meiner sieben Jahre älteren Schwester in dem kleinen Städtchen Frankenberg zwischen Kassel und Marburg. Dieser Ort war geradezu idyllisch und als Familie ging es uns finanziell gut. Die Phase des Wirtschaftswunders hatte kurz nach meiner Geburt begonnen.

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      imageRein vom Timing her betrachtet, war meine Lebenszeit bisher eine sehr privilegierte: Ich habe keinen Krieg miterlebt und kann bis jetzt im Frieden leben. Außerdem habe ich nie am eigenen Leib gespürt, wie es ist, wenn man Hunger leidet.

      Das Ziel des damaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard – »Wohlstand für alle« – wurde tatsächlich erreicht: Ging es für viele Leute im Krieg und kurz danach noch in erster Linie darum, satt zu werden, so etablierte sich in den 50er-Jahren langsam, aber stetig ein gewisser Wohlstand. Auch ich profitierte davon. Beispielsweise achtete meine Mutter sehr darauf, dass ich gut gekleidet war.

      Meine Mutter hat Deutschland noch zu einer anderen Zeit erlebt. 1909 geboren, hat sie selbst zwei Kriege mitbekommen und wurde dadurch stark geprägt, wie eine ganze Generation.

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      Meinem Vater erging es nicht anders. Im Dritten Reich hat er die Unterstützung des Naziregimes verweigert und daraufhin Konsequenzen zu spüren bekommen: Da er der NSDAP nicht beitreten wollte, wurde ihm kein Studienplatz bewilligt. Und er verlor seinen Job als Buchhändler, weil er nicht bereit war, Hitlers Buch »Mein Kampf« zu verkaufen. Das passte für ihn nicht zusammen: eine menschenverachtende Ideologie und sein Glaube an Gott. Mir hat es sehr imponiert, dass er solches Rückgrat gezeigt hat.

      Später wurde mein Vater Verwaltungsangestellter und hat somit wunderbar für seine Familie sorgen können. Uns Kinder hat er geliebt. Und meine Mutter hat er wie eine Königin behandelt. Er hat sie förmlich auf Händen getragen, nie kam ein böses Wort über sie über seine Lippen. Er hat sie geachtet und geschützt. Obwohl sie ihn so manches Mal niedergemacht hat.

      imageVater war ein friedliebender Mensch, der unter den Verhaltensweisen meiner Mutter gelitten hat. Wenn er abends von der Arbeit kam und gerade ein Konflikt mit uns Kindern ausgebrochen war, brüllte ihn meine Mutter zum Empfang manchmal an: »Du bist ein Waschlappen, kannst keine Kinder erziehen. Nun schlag den Arno doch auch mal.«

      Das hat er dann – sichtlich zerknirscht – auch getan. Und hat sich hinterher bei mir entschuldigt. Allerdings so, dass meine Mutter es nicht mitbekam. Das hat mich verwirrt und traurig gemacht.

      Der intensivste Körperkontakt zu meinen Eltern bestand aus Schlägen. Wir wurden nie in den Arm genommen, getröstet oder gestreichelt. Das hatte natürlich Auswirkungen auf mein Urvertrauen, meine Beziehungsfähigkeit und meine Gefühlswelt, bis ins hohe Alter.

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      Auf ihre Weise haben meine Eltern sich gegenseitig sehr geachtet. Meine Mutter hat meinen Vater verehrt: Er war klug, eloquent und belesen. Sie war stolz auf ihn. Vermutlich hat sie das im Alltagstrott jedoch des Öfteren mal vergessen.

      Meine Mutter war eher eine »einfache« Frau, fleißig bis zum Umfallen,