Stephan Haas

Belgische Finsternis


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du aus Brüssel kommst, muss der Austausch aber wichtig sein«, hakte Sina abermals nach.

      Ich ließ sie auflaufen. »Bei der Polizei suchen sie noch Personal. Du hättest sicher gute Chancen.«

      Ich erinnerte mich an die Worte von Karls am Telefon: »Es ist vor allem wichtig, die Presse vor Ort ruhig zu halten.« Ich nahm seine Anweisung ernst. Auch wenn mein Gegenüber harmlos erschien, wusste ich, wie schnell sich Neuigkeiten in einer Kleinstadt herumsprachen.

      Sie lachte gezwungen.

      Na los, wechsle das Thema!

      »Was machst du eigentlich?«, fragte ich.

      »Ich bin freischaffende Künstlerin«, antwortete sie prompt und verlagerte dabei ihr Körpergewicht von einem Bein auf das andere. Dabei hüpften ihre braunen Locken über ihre Schultern.

      »Tatsächlich? Ich wollte schon immer mal eine freischaffende Künstlerin kennenlernen. Was schaffst du denn?«

      »Ich mache hauptsächlich Fotos«, sagte sie lächelnd und kniff ihre Augen zusammen, als fokussiere sie durch ein Objektiv.

      »Welche Art von –«

      »Dein Baguette ist fertig.«

      Sie nickte zur Bedienung hinüber, die mir das Baguette entgegenhielt. Während ich im Portemonnaie nach den passenden Münzen suchte, vernahm ich ein genervtes Stöhnen aus der Reihe hinter mir. Wahrscheinlich wieder der blonde Hüne. Ich ignorierte es und bezahlte, ehe ich wieder zu Sina schaute.

      »Wir sehen uns sicher später noch«, sagte sie grinsend und zeigte dabei ihre makellosen Zähne.

      Ich war überrascht, dass sie das Gespräch so plötzlich abbrach. Andererseits war ich froh, keine heiklen Fragen mehr beantworten zu müssen.

      Während sie auf ihre Bestellung wartete, machte ich mich auf die Suche nach einem freien Tisch.

      Der Innenraum war größer, als ich zunächst angenommen hatte, dennoch schien es auf den ersten Blick so, als seien die Tische alle besetzt. Lediglich einzelne Plätze waren noch übrig. Doch die Blicke der Leute strahlten nicht gerade ein Willkommen aus.

      »Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei?«, fragte ich schließlich einen Mann in einem hellblauen Pullover, der allein an einem Vierertisch saß und einen vollen Teller vor sich hatte.

      »Nein, ist er nicht«, knurrte der Mann, den ich auf fünfundvierzig Jahre schätzte. Er musterte mich eindringlich, bis ich mich von ihm abwandte.

      Es war sein Recht, Nein zu sagen. Ich hatte eine Frage gestellt, und er hatte ehrlich geantwortet.

      Was soll’s?

      Beim Blick über die verbleibenden Tische fiel mir ganz hinten in der Ecke ein Mann auf. Er winkte in meine Richtung. Ich schaute über meine Schulter, da ich mir sicher war, nicht gemeint sein zu können. Doch hinter mir stand niemand.

      Ich blickte nur in ein Dutzend Augenpaare, die mich fragend musterten. Vermutlich wunderten sich die Leute, warum ich immer noch nicht Platz genommen hatte. Ich schaute wieder zu dem etwa sechzigjährigen Mann, der hinten am Tisch saß. Er winkte erneut und machte jetzt ein eindeutiges Zeichen, dass ich zu ihm kommen sollte. Als ich seinen Tisch erreichte, stand er auf und streckte mir seine Hand entgegen. Sofort fielen mir die gelb verfärbten Finger auf, die zweifellos die eine oder andere Zigarette gehalten hatten.

      »Hallo! Lechat, mein Name. Sie müssen Piet Donker sein«, sagte er.

      Bist du so leicht zu erkennen?

      »Das ist richtig. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Wir schüttelten uns die Hand. Ich fragte mich zwar, woher er wusste, wer ich war, sprach ihn aber erst mal nicht darauf an.

      In dem viel zu großen beigen Hemd und mit dem Schnauzer, der länger nicht gestutzt worden war, wirkte Lechat etwas vernachlässigt.

      Gleiches könnte er auch von dir denken.

      »Ich leite die Ermittlungen«, sagte er. »Zusammen mit Ihnen«, fügte er nach kurzer Pause hinzu. »Um halb drei treffen wir uns mit den anderen im Präsidium. Ich kann Sie mitnehmen, wenn Sie mögen.«

      »Gern«, willigte ich ein und jubelte innerlich. Endlich stand jemand vor mir, der Ahnung hatte. Und noch dazu Manieren. Im Gegensatz zu den beiden Taxifahrern von heute Morgen hatte er schon mal etwas von Sozialkompetenz gehört. Wir setzten uns.

      »Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf, Herr Donker«, begann Lechat und nahm einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse. »Halten Sie sich in den nächsten Tagen von der Presse fern.«

      »Keine Sorge, ich bin nicht der Typ, der das Rampenlicht sucht«, beruhigte ich ihn.

      »Das habe ich gesehen. Ich habe einen Teil Ihres Gesprächs mitbekommen.«

      Er schaute demonstrativ in den Gang, wo die Künstlerin von eben ein braun glänzendes Bein vor das andere setzte.

      Dabei hat er also aufgeschnappt, wer du bist.

      »Vor Sina Kasper sollten Sie sich in Acht nehmen! An der haben sich schon einige Männer die Finger verbrannt. Und eine aufdringliche Journalistin ist sie obendrein.« Lechat stellte die leere Tasse zu den anderen beiden, die auf dem Tisch standen.

      »Sie ist Journalistin?«, fragte ich überrascht. »Mir hat sie erzählt, sie sei Künstlerin.«

      »Damit beleidigen Sie jeden Künstler. Sina hat einen Blog im Internet. Dort sind auch ein paar Fotos zu sehen, die aber für meinen Geschmack keinen künstlerischen Wert haben. In erster Linie ist sie auf der Suche nach Storys.«

      »Scheiße«, sagte ich leise.

      Deine Menschenkenntnis war auch schon mal besser.

      Lechat tippelte mit seinen gelben Fingern auf dem Tisch.

      »Sie haben ihr doch nichts erzählt, oder?«, fragte er, während er sich nach vorne lehnte und mich fixierte.

      »Nein, natürlich nicht«, beruhigte ich ihn. »Aber gut, dass Sie mich warnen.«

      Was für eine dreiste Frau …

      Wohl oder übel musste ich mich darauf einstellen, dass in den kommenden Tagen weitere Leute versuchen würden, an Informationen zu gelangen. Ich tat gut daran, vorsichtig zu sein. Selbst ein Gerücht verbreitet sich in einer Kleinstadt wie ein Lauffeuer. Von der Wahrheit ganz zu schweigen.

      »Raaffburg hat seine eigenen Gesetze«, bemerkte Lechat etwas pathetisch und lehnte sich wieder im Stuhl zurück. »Das werden Sie auch noch merken.«

      Ich befürchtete, dass er recht behalten könnte.

      Das Baguette schmeckte gut, aber leider war es zu klein für meinen Hunger. Mein Körper schrie nach Zucker. Gleichzeitig bemerkte ich, dass Lechat langsam ungeduldig wurde. Seine Finger machten jetzt wilde Sprünge auf dem Tisch.

      »Möchten Sie auch noch was?«, fragte ich.

      »Einen Kaffee können Sie mir noch mitbringen. Danach gehen wir aber raus an die frische Luft!«

      Wenn die Tassen auf dem Tisch von ihm stammten, wäre das dann Kaffee Nummer vier.

      »Wie Sie meinen«, sagte ich, auch wenn ich bezweifelte, dass die Luft draußen frisch sein würde.

      In dem Bistro war sie inzwischen jedenfalls aufgeheizt. Halb Raaffburg musste hier sein. Ich stellte mich wieder hinten in die Schlange und legte mir bereits Kleingeld zurecht, um diesmal direkt bezahlen zu können, als es vorne in der Reihe plötzlich zu einer Rangelei kam. Ein blonder junger Mann in Shorts und orangefarbenen Turnschuhen wurde von dem Mann geschubst, der mir vorhin einen Platz an seinem Tisch verweigert hatte. Er trug noch immer beharrlich den hellblauen Wollpullover.

      »Meinst wohl, du kannst dich hier einfach vordrängeln, was?«, bellte er in Richtung des Jungen.

      »Ich wollte doch nur einen von den Kaugummis nehmen«, entgegnete der Junge mit schwacher Stimme und zeigte auf die mit Schokoriegeln und Kaugummis bestückte Vorderseite des Tresens.