Laura Lippman

Der Geliebte der Verlobten


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gesagt, dass du mit ihr nicht darüber reden kannst.«

      »Nein, sie zu beschatten.«

      »Würde sie es nicht merken, wenn du ihr folgst?«

      »Doch, natürlich«, sagte Rock. »Aber ich habe mir gedacht, sie würde es nicht merken, wenn du ihr folgst.«

      »Wie könnte ich ihr folgen? Ich meine, woher soll ich die Zeit dazu nehmen? Ich weiß, ich kann mir meine Zeit einteilen, aber ich sitze trotzdem nicht den ganzen Tag in meiner Wohnung herum und sehe fern.« Das war ein wunder Punkt bei Tess. Viele Leute schienen zu glauben, arbeitslos zu sein sei einfach nur ein Spaß. Aber sie musste zwei Jobs machen, nur um über die Runden zu kommen.

      »Ich würde dich bezahlen. Dreißig Dollar Stundenlohn, wie es bei Privatdetektiven üblich ist. Du wirst sicher jemanden finden, der dich für die paar Tage in der Buchhandlung vertritt.«

      »Aber ich bin keine Privatdetektivin«, wandte sie ein.

      »Nein, aber du warst lange Zeit Reporterin. Hast du mir nicht erzählt, wie du einmal irgend so ein großes Tier aus der Stadt beschattet hast? Und du schreibst Berichte für deinen Onkel. Das könnte so etwas wie ein Bericht sein.« Er tat so, als würde er diktieren. »›Neunzehn Uhr dreißig; sah Ava in die Hemispheris-Klinik an der Johns Hopkins gehen. Empfangsdame bestätigt, dass sie Thrombozyten für jungen Krebskranken spendet.‹ Verstehst du?«

      Mein Gott, dachte sie, ihm fällt nicht einmal eine gute Geschichte ein. Es war viel wahrscheinlicher, dass Ava in die Abteilung für Geschlechtsumwandlung an der Johns Hopkins Klinik ging und Rock erst wiedersehen wollte, wenn sie ihre neue Ausstattung hatte.

      Trotzdem, dreißig Dollar Stundenlohn, wenn auch vielleicht nur für fünf oder sechs Stunden, das war eine schrecklich verlockende Aussicht. Leichtes Geld. Wenn Ava nichts anstellte, würde Tess einen Freund glücklich machen. Wenn Ava Böses im Schilde führte, würde sie dafür bezahlt, einen Freund vor einem verheerenden Fehler zu bewahren.

      »Einen besseren Computer«, säuselte Rock. »Autoreparaturen. Eine erste Rücklage für ein eigenes Boot, damit du nicht immer auf diese Scheißteile hier angewiesen bist.«

      Tess stellte bei sich eine andere Liste zusammen: ein Paar Ohrringe, die ausnahmsweise einmal nicht aus dem Dritte-Welt-Laden kamen. Lederstiefel, samt Sohlen. Studiengebühren. Aber sie schob diese Gedanken wieder beiseite und versuchte, den Haken an der Sache zu finden.

      »Warum nimmst du dir nicht einen richtigen Privatdetektiv, wenn du schon so einen Preis bezahlen willst?«

      Rock blickte über den Fluss, als sei er plötzlich von den drei kleinen Kindern völlig in Anspruch genommen, die am nördlichen Ufer herumwateten.

      »Ein richtiger Privatdetektiv wäre schäbig«, sagte er langsam, als müsse er sich die Antwort erst selbst noch zurechtlegen. »Es geht hier um einen Gefallen unter Freunden. Ich biete dir deshalb an, dich zu bezahlen, weil ich weiß, dass deine Zeit wertvoll ist. Und weil ich weiß, dass du nie genug Kohle hast.«

      Als Freiberuflerin setzte Tess ihren Stundenlohn bei 20 Dollar an, arbeitete aber oft auch für weniger. Als Staatsangestellte mit Vertrag verdiente sie zehn Dollar pro Stunde. Ihre Tante versorgte sie mit Essen, zahlte ihre Krankenkasse und gab ihr sechs Dollar die Stunde für die Arbeit im Buchladen. Noch nie hatte jemand den Wert ihrer Arbeit auf dreißig Dollar pro Stunde geschätzt.

      »Wo arbeitet Ava denn?«, fragte sie.

      Er lächelte. Er sah wirklich wie Dondi aus, nur hatte er keinen so leeren Blick.

      »Das erzähl ich dir alles bei Jimmy’s.«

      2

      Tess aß dann doch keine Blaubeerpfannkuchen. Sie hätte zwar gerne, doch in dem Augenblick, wo sie Jimmy’s in Fells Point betrat, warf der Koch zwei Bagels zum Toasten auf den Grill und schenkte frischen Orangensaft in einen roten Plastikbecher. Ihr übliches Frühstück: zwei Bagels, einer mit Frischkäse, einer ohne. Dieses Frühstück aß sie jetzt schon seit zwei Jahren bei Jimmy’s, mindestens fünfmal pro Woche.

      Immer schon hatte sie sich gewünscht, dass sie ein Lokal betreten und jemand fragen würde: »Das Übliche?« Natürlich hatte dieses Lokal in ihrer Phantasie ursprünglich eine lange Bartheke in Mahagoni, die Männer dort trugen Anzüge und die Damen Hüte, und sie selbst würde sich einen Martini bestellen, einen Martini pur. Ohne Olive, bitte.

      Rock entschied sich nach einem kurzen Blick auf die Speisekarte, die auf dem Platzdeckchen aufgedruckt war, für das »Carbohydrat Spezial«, ein Frühstück, das er selbst kreiert hatte: Toast, Pfannkuchen, Orangensaft, einen Früchtebecher und Müsli mit fettarmer Milch.

      »Keinen Sirup, keine Butter«, sagte er zu der Bedienung. »Nur jede Menge Marmelade extra.«

      »Sonst noch etwas?«

      »Haben Sie vielleicht auch Reis? Oder Buschbohnen?«

      Die Kellnerin stolzierte davon, sie fand das gar nicht lustig. Rock war ein leidenschaftlicher Anhänger der These, dass die Ernährung die sportliche Leistung steigere, auch wenn sich die Regeln für eine solche Ernährung immer wieder änderten. Zurzeit mied er Fett und das meiste Fleisch. Wenn man aber bedachte, wie sehr er sich verausgabte, musste er ungeheure Mengen essen und Proteinersatzstoffe trinken, um sein Gewicht zu halten. Er aß nie, um zu genießen, und er trank keinen Alkohol. Sein einziges Laster war Koffein, das, wie er behauptete, seine Leistung steigerte. Die Küche in seiner kleinen Wohnung in Charles Village war ein Kaffeetempel. Rock besaß keinen Videorekorder, keinen CD-Player und keine Mikrowelle, aber eine französische Druckfilterkanne, eine Cappuccino- und eine Espressomaschine sowie einen Tiefkühlschrank, der mit nichts als Eiswürfelschalen und Tüten voller Kaffeebohnen gefüllt war, alle beschriftet und datiert. Seine ständige Schlaflosigkeit überraschte niemanden außer ihn selbst.

      Das Frühstück kam in Minutenschnelle, und sie aßen beide hingebungsvoll und schnell, als gehöre auch das noch mit zum Rennen. Für Tess war Essen der Höhepunkt des Tages, und das machte sie nur noch hungriger. Rock dagegen wollte einfach nur die gewaltige Maschinerie seines Körpers auftanken und dann das Ganze hinter sich haben. Tess war noch an ihrem zweiten Bagel, als Rock schon mit dem letzten Stück Pfannkuchen den letzten Rest Marmelade vom Teller wischte.

      »Also«, fing er an und durchwühlte seine Brieftasche. Er schob Tess einen Umschlag über die Tischplatte, den sie freudig in Empfang nahm. Ein Scheck, dachte sie. Ein Vorschuss. Doch sie fand nur ein kleines Foto von Ava darin und zwei Blätter mit Telefonnummern und Adressen. Rock hatte auch ein ungefähres Schema von Avas Tagesablauf beigelegt: wann sie zur Arbeit ging, wann sie heimkam – und was sie sonst noch gerne frequentierte. So jedenfalls nannte er es auf seiner Liste. Sie frequentierte ein Fitnessstudio in Federal Hill, eine Bar in der Nähe ihres Büros und ein italienisches Restaurant, das hauptsächlich für seine atemberaubende Aussicht und das ungenießbare Essen bekannt war.

      »Komisch«, sagte Tess, während sie den Inhalt des Umschlags durchsah.

      »Was?«

      »Du hattest das alles schon fertig bei dir. Bist du davon ausgegangen, dass ich sowieso Ja sagen würde?«

      Rock wurde rot. »Ich weiß einfach, dass du ein bisschen zusätzliches Geld gut brauchen kannst.«

      »Na ja, es ist aber nicht so, dass ich für Geld grundsätzlich alles tun würde. Ich habe schon PR-Jobs abgelehnt.« Pleite zu sein war bei Tess ein bisschen zu einer Masche geworden.

      Er lächelte nicht.

      Sie verabschiedeten sich auf der Kopfsteinpflasterstraße vor Jimmy’s und waren plötzlich beide etwas verlegen. Tess hatte schon für viele Verwandte gearbeitet, aber noch nie für einen Freund. Rock schien sich mit dieser neuen Art der Beziehung genauso unwohl zu fühlen. Er knuffte ihr immer wieder in die Schulter, mit für ihn ganz zarten Berührungen, die aber bei ihr kleine blaue Flecken hinterließen. Schließlich nahm er sein zehngängiges Rennrad aus Tess’ Kofferraum und fuhr den Broadway hoch, den sich lang hinziehenden Berg hinauf zum Johns Hopkins Hospital, und zu seinem Leben als Darryl Paxton.