Hodge“, sagte sie zögernd und schaute sich noch einmal den Führerschein an. „Du sagtest, dein Name sei Joe Hodge. Hier auf dem Führerschein steht aber Lonnie Mayes.“
„Er – er – gehört jemand anderem“, stotterte er.
Wieder hatte er das Gefühl, dass das Auto ihn langsam zu erdrücken begann. Das Auto? Nein. Sie war es. Candy erdrückte ihn.
Sie sah ihn prüfend an. „Aber es ist doch dein Foto auf dem Führerschein.“ Sie hielt die Papiere näher an sein Gesicht, so, als wäre er fast blind.
„Eigentlich schade“, ging es ihm durch den Kopf. „Warum tut sie das? Warum beschuldigt sie mich?“
„Ich habe meinen verloren“, erklärte er mürrisch und nahm ihr den Führerschein aus der Hand. „Deshalb benutze ich jetzt diesen hier.“ Er steckte den Führerschein in seine Jackentasche.
„Dann bist du also Joe Hodge? Und nicht Lonnie Mayes?“ Sie runzelte die Stirn.
„Wirklich schade“, dachte er wieder.
Entschlossen öffnete er die Autotür und stieg aus. Er streckte sich, holte tief Luft und lehnte sich dann noch einmal in das Auto, um sie beruhigend anzulächeln.
„Nun komm schon, Candy. Lass uns spazieren gehen, nur ganz kurz. Es ist so schön hier draußen. Kein anderer ist heute Nacht hier. Es ist keine Menschenseele in der Gegend.“
„Keine Menschenseele“, dachte er. Seine Gedanken wirbelten, seine Muskeln spannten sich an. Jetzt war er hellwach und bereit.
Sie stieg aus dem Auto und schloss die Tür. Das Innenlicht ging aus. Es wurde stockdunkel.
Mit langen, entschlossenen Schritten überquerte er die Lichtung. Seine Schuhe streiften im Vorbeigehen den Tau vom hohen Gras. Bald kam er zum Rand der Klippen und starrte hinunter. Nichts als Dunkelheit.
Sie trat neben ihn und tastete mit ihrer heißen, feuchten Hand nach seiner. Ängstlich schaute sie auf den Klippenrand hinunter.
„Können wir nicht ein Stück zurückgehen?“, fragte sie nervös. „Ich habe Höhenangst.“
„Klar doch.“ Er führte sie langsam wieder über die Lichtung zurück zu den Bäumen.
„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte sie plötzlich.
„Ich bin zwanzig“, dachte er.
„Siebzehn“, sagte er laut.
„Und wie ist das mit deinem Führerschein passiert? Hattest du einen Unfall oder so was?“
„Du bist diejenige, die hier einen Unfall haben wird“, dachte er. „Einen tödlichen Unfall.“
Wenn sie nur nicht versucht hätte, ihn zu erdrücken. Wenn nur ihr Haar nicht dieselbe dunkle Farbe hätte wie ...
„Nein. Ich habe ihn wirklich einfach nur verloren“, murmelte er undeutlich.
Er legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie näher zu sich heran, während er sie unter die Bäume führte. „Ich mag dich, Candy“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Wieder stieg ihm der Duft von Orangen aus ihrem Haar in die Nase.
Mochte er sie wirklich? Oder log er sie an? Er war sich nicht sicher. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass sie sterben musste.
Einige Minuten später ging er ruhig zum Auto zurück. Alleine. Sein Herz klopfte wie wild, aber er fühlte sich gut.
Wirklich ausgezeichnet. Es war so einfach gewesen, sie zu töten.
Er machte den Reißverschluss seiner Lederjacke zu und setzte sich ans Steuer. Das Auto sprang sofort an. Er stellte das Gebläse an und wartete darauf, dass die Windschutzscheibe wieder klar wurde. Die Luft vom Gebläse fühlte sich kühl und trocken an.
Er lachte laut auf, ein befreites Lachen.
Nach und nach konnte man durch die beschlagene Windschutzscheibe wieder sehen.
„Joe Hodge“, sagte er laut zu sich. „Ich sagte ihr, dass mein Name Joe Hodge sei. Warum sollte ich ihr auch meinen richtigen Namen nennen? Es war ja nur unsere erste Verabredung.“
Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, sie schon heute Nacht zu töten. Er hatte sie irgendwie gemocht. Er hatte sie wirklich gemocht. Sie hatte ihn nicht so sehr an die anderen erinnert. Nur ihr Haar, das lange braune Haar.
Auf dieses hier war er nicht vorbereitet gewesen.
Warum musste sie ihm auch das Gefühl geben, zu ersticken? Warum musste sie ihr Haar so nach hinten werfen? Warum musste sie seinen Führerschein entdecken? Warum musste sie so viele Fragen stellen?
Er war darauf nicht vorbereitet gewesen. Er hatte es so nicht geplant. Und dabei plante er doch immer gerne im Voraus.
Aber nun war sie sowieso tot.
„Ich werde nicht mehr hier sein, wenn sie die Leiche finden“, dachte er. „Ich habe keine Spuren hinterlassen. Es gibt keine Zeugen. Alles ist in Ordnung.“
Wenigstens konnte er wieder frei atmen.
Die Windschutzscheibe war inzwischen klar. Mit eingeschalteten Scheinwerfern wendete er den Wagen.
Auf zu einer anderen Stadt. Früher oder später war es immer an der Zeit weiterzuziehen. Er hatte einfach keine andere Wahl. Wenn die Mädchen so aussahen? Wenn sie ihm Fragen stellten und ihn nicht frei atmen ließen?
Er hielt noch einmal den Wagen an, zog die Handbremse fest und machte das Handschuhfach auf. Seine Hand zitterte nicht. Das war ein gutes Zeichen. Er konnte wieder frei atmen, und seine Hand zitterte nicht.
Er machte die Innenbeleuchtung an, zog die Karte heraus und entfaltete sie sorgfältig mit ruhigen Händen. Seine Augen glitten über das Gewirr von Straßen und Orten und stoppten beim Namen der nächsten Stadt.
Shadyside.
Er sprach den Namen ein paarmal leise vor sich hin.
Shadyside.
Das hörte sich gut an.
Nachdem er die Karte in das Handschuhfach zurückgelegt hatte, drehte er die Innenbeleuchtung aus und fuhr dann in die kühle, stille Dunkelheit. Leise summte er vor sich hin.
2
Chelsea Richards brach mit einem schrillen Ton ihr Spiel ab und ließ das Saxofon schlecht gelaunt sinken. „Ich hasse mein Leben“, sagte sie ausdruckslos.
„Fang nicht schon wieder an.“ Ihre Mutter saß auf der anderen Seite des kleinen Wohnzimmers. Sie ließ die Zeitung sinken und blickte Chelsea warnend an. Ihr Blick sagte: „Ich bin jetzt wirklich nicht in der Stimmung, mir deine übliche Liste von Beschwerden anzuhören!“
Chelsea lehnte sich in ihrem Klappstuhl nach vorne, bis sie fast mit ihrem Kopf an den Notenständer vor ihr stieß. „Manchmal glaube ich, dass ich überhaupt kein echtes Mitglied dieser Familie bin“, beschwerte sie sich. „In Wirklichkeit bin ich bestimmt adoptiert oder so.“
„Von wegen adoptiert, du wurdest ausgebrütet“, versuchte Mrs Richards zu scherzen. Sie war noch immer hinter ihrer Zeitung versteckt. „Bist du eigentlich fertig mit Üben, oder hab ich mich zu früh gefreut?“
„Du magst noch nicht einmal, wenn ich Saxofon spiele“, klagte Chelsea.
„Du hast darauf gespielt? Es hörte sich eher an, als ob du es folterst!“, lachte Mrs Richards.
Chelsea war an den trockenen Humor ihrer Mutter gewöhnt. Manchmal halfen die Witzeleien, ihre schlechte Laune zu vertreiben, aber nicht jetzt. „Wirklich lustig“, fauchte Chelsea beleidigt. „Ich sehe nicht so gut aus wie meine Mutter, und ich habe noch nicht einmal ihren Humor“, dachte sie bitter.
„Wenn ich nicht adoptiert bin, wie kommt es dann, dass du so groß und schlank bist und