verschlafen.«
»Können ihn ja morgen noch mal zusammen schauen.«
Mit einer Umarmung verschwand auch Melissa in ihrem Zimmer.
Julie tauschte Couch gegen Bett und obwohl sie den Großteil des Tages verschlafen hatte, verfiel sie erneut in einen unruhigen Dämmerzustand. Immer wieder unterbrochen von wachen Momenten, weil ihre Hämatome protestierten.
Der Morgen zog herauf.
Julie war früh wach und ließ es sich nicht nehmen, den Tisch für die anderen zu decken. Nach einer chaotischen morgendlichen Verabschiedung duschte sie ausgiebig, nahm sich Zeit im Bad und schlüpfte schließlich in frische Kleidung. Leo hatte ihr einen guten Arzt für die Nachversorgung genannt und einen Telefonanruf später wurde sie sofort einbestellt.
Sie ging zu Fuß, was eine Stunde dauerte.
Die Praxis war in einem modernisierten gregorianischen Gebäude untergebracht. Die Sprechstundenhilfe war eine zugeknöpfte Frau mittleren Alters, deren Lächeln nicht die Augen erreichte.
Julie füllte einen Fragebogen aus und wurde kurz darauf in das Zimmer gerufen.
Doktor Juliette Halbroke erwies sich als komplettes Gegenteil ihrer Eingangsdame. Sie war eine schlanke, hochgewachsene Frau in den Fünfzigern. Das blonde Haar war in einer modernen Hochsteckfrisur gerichtet, auf ihrer Nase saß eine Brille.
»Ms Warren«, grüßte sie freundlich. »Nehmen Sie doch Platz.«
Julie sank ermattet von dem Spaziergang in den gepolsterten Besuchersessel. »Danke. Wie ich am Telefon sagte, komme ich wegen des Unfalls.«
Doktor Halbroke nickte sanft. »Ich habe mir alle Unterlagen aus dem Krankenhaus kommen lassen. Ihre Hämatome werden von alleine abheilen und es gibt keine Brüche oder Stauchungen. Sie hatten Glück im Unglück.«
»Abgesehen von einer Sache.«
»Der Kollege Zimmerman hat mich diesbezüglich in seinen Notizen hingewiesen. Aus irgendeinem Grund sind Ihre Entzündungswerte viel zu hoch.«
Julie schluckte. »Er konnte mir dazu keine Details nennen.«
Doktor Halbroke schloss die Akte und verschränkte die Finger ineinander. »Bei ihrer Einlieferung wurde ein Blutbild gemacht, ebenso kurz vor der Entlassung. Wie es scheint, gibt es bei ihrer Leber Grund zur Sorge.« Sie zog ein Pad hervor und rief die digitalisierte Darstellung des Organs auf. »Die Leber ist für die Entgiftung unseres Körpers zuständig. Über sie werden Medikamente abgebaut, aber auch andere Faktoren haben Einfluss. Würden Sie beispielsweise übermäßig Alkohol konsumieren, würde das negativ auf die Werte einwirken.« Sie nahm den Fragebogen hervor. »Sie rauchen nicht, trinken nicht und machen auf mich auch nicht den Eindruck, als würden sie Drogen zu sich nehmen.«
»Nein!«, sagte Julie nachdrücklich. »Das kann ich mir gar nicht leisten. Ich hoffe auf ein Stipendium und muss dafür beste Leistungen bringen.«
»Das Studium ist eine herausfordernde Zeit«, bestätigte Doktor Halbroke. »Wir werden dieser Sache auf den Grund gehen. Bevor Sie gehen, entnehme ich noch einmal Blut. Und in vier Tagen wiederholen wir das Ganze. Wenn die Werte sich normalisieren, müssen wir uns keine Sorgen machen.«
»Und falls nicht?«
»Darüber denken wir nach, wenn es so weit ist«, sprach Doktor Halbroke beruhigend. »In der Zwischenzeit bitte kein Alkohol und nichts übermäßig Fettes essen. Beschränken Sie sich auf Gemüse, Obst, Joghurt, Vollkorn.«
Bei dem Gedanken stöhne Julie auf.
Sie achtete grundsätzlich sowieso auf ihre Linie, aber vorwiegend durch wenig Essen. Alles, was Doktor Halbroke aufzählte, war teuer.
»Alles klar«, sagte sie trotzdem.
Zwanzig Minuten später verließ Julie mit weniger Blut und einem Pflaster über der Einstichstelle die Praxis. Immerhin besaß sie jetzt ein paar Antworten und es war richtig gewesen, ihre Freunde damit nicht zu behelligen.
Mit ihrer Krankmeldung in der Tasche, wäre auch das College zufrieden. Schließlich durften keine Fehlzeiten bei Pflichtkursen anfallen. Die Professoren würden ihr das ergänzende Material für Krankheitsfälle auch nur zur Verfügung stellen, wenn der Unfall bestätigt war.
Sie schlenderte nach Hause, scannte die Bescheinigung ein und schickte sie direkt zur College-Administration. Melissa würde morgen das Original übergeben. Oder besser Cullen, der konnte gleich sein Flirt-Lächeln hinterherschicken.
Bevor die Müdigkeit wieder zuschlagen konnte, tippte Julie E-Mails an ihre Mum, ihre Brüder – alle vier –, Becky und Simon. Damit wusste jeder, dass es ihr gut ging, niemand musste sich Sorgen machen und sie sparte sich die vielen kleinen Chat-Nachrichten.
Zu Mittag kochte sie sich eine Suppe auf und fertigte eine Einkaufsliste an. Sie konnte sich schon vorstellen, was Cullen und Melissa sagen würden. Die beiden mussten die Diät natürlich nicht mitmachen.
Gegen Mittag sank Julie erneut in einen unruhigen Schlaf, doch zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, den Unfall hinter sich zu lassen. Sie kannte den Weg für die nächsten Wochen, sah bereits das Ende ihrer Einschränkung.
Als sie am Nachmittag erwachte, ging sie mit frischem Elan dazu über, die Vorlesungen nachzuarbeiten.
Alles würde gut werden.
Dachte sie.
Die Tage verwandelten sich in eine Abfolge aus immer gleichen Mustern.
Julie stand eisern früh am Morgen auf, deckte den Tisch und saß an ihrem Rechner, als Melissa und Cullen das Haus verließen. Sie arbeitete die Vorlesungen des vorangegangenen Tages ab, studierte alte Klausuren und schickte Fragen an die Professoren. Auf diese Art behielten sie Julie im Gedächtnis.
Ihre Ernährung wurde ziemlich grün. Sie schaufelte Salat in sich hinein, mixte neue Dressings und anstelle von Chips gab es Kiwi und Banane. Beim Fernsehen knabberte sie stundenlang auf einer Karotte herum, während Cullen Gummibärchen verschlang und Melissa Schokolade.
Natürlich ließen die Neckereien nicht lange auf sich warten.
»Die Karotte steht dir«, kam von Cullen.
»Da muss mehr grün rein«, behauptete Melissa mit Blick auf den Salat.
Schließlich kam das zweite Wochenende nach Julies Unfall näher. Sie würde noch eine Woche krankgeschrieben sein, danach konnten auch die Vorlesungen weitergehen. Mit den heraufziehenden Klausuren war das besser.
»Jules«, sagte Melissa schwer und warf sich in den Sessel. »Du musst raus aus dieser Denkfabrik.«
Was kam jetzt? Julie ließ von der Tastatur des Laptops ab und wandte sich ihrer Freundin zu.
»Hier, nimm eine Karotte.« Mit einem Plumpsen landete eine vor Julie. »Du ernährst dich zu einseitig, in all das Grün muss auch wieder Orange.«
»Haha«, lachte sie trocken.
Sie konnte kein Gemüse mehr sehen.
»Am Samstag ist eine Party«, begann Melissa.
»Nein!«, lehnte Julie kategorisch ab.
»Und da du die ganze Woche hier einsam herumsitzt, täte dir Gesellschaft sicherlich gut.« Melissa deutete mit einem auffordernden Nicken auf die Karotte. »Du musst gar nicht viel tun. Stell dich einfach in die Ecke und träume von irgendeiner Klausur.«
»Du bist heute überaus witzig.«
»Nicht wahr?«
»Ironie.«
»Das weiß ich doch, Jules. Also ist das ein ›Ja‹?«
»Auf keinen Fall!«
»Sie kommt mit«, brüllte Melissa.
»Wirklich?« Cullen