kann nicht einfach zu einer Party«, rebellierte Julie. »Wenn mich einer der Dozenten sieht?«
»Auf der Party eines Verbindungshauses?« Melissa schenkte ihr einen Ja-nee-is-klar-Blick.
»Komm schon, Jules.« Cullen warf sich auf Julies Bett und betrachtete sie von der Seite. »Je mehr du dich vernetzt, desto mehr Vorlesungsunterlagen bekommst du. Und Vorbereitungsmaterial für die Klausuren. Du weißt schon, von anderen Studenten, die da draußen existieren.«
»Wirklich?« Melissa blickte ihn mit großen Augen an. »Ich dachte, die seien ein Mythos. Es gibt noch mehr von uns?«
»Ihr seid doof.« Julie warf einen Stift nach Melissa.
»Ich bringe dir eine Karotte und werde dafür beworfen? Also Jules, das ist nicht in Ordnung.«
»Was wäre nur passiert, wenn ich eine Kartoffel mitgebracht hätte«, überlegte Cullen laut. »Hätte ich dann die Tasse an den Kopf bekommen?«
Julie lachte auf. »Also gut, ihr habt gewonnen. Ich komme mit. Aber nur für eine Stunde und – ich wiederhole – unter Protest.«
Melissa erhob sich, schüttelte den Kopf und tätschelte Julies Haupt. »Du wirst noch zu einer alten Einsiedlerin ohne Freunde. Wir tun das für dich. Auf einer Party hast du etwas, das nennt sich Spaß.«
»Patryk sieht mir so aus, als gehe er auch nicht gerne unter Menschen.« Julie grinste. »Ach halt, das ist ja, weil er die Treppe hinuntergestürzt ist.«
»Du bist eine böse Kreatur«, knurrte Melissa und verließ das Zimmer.
»Langsam bekommst du deinen alten Pep zurück.« Cullen schritt hinaus, rief aber noch aus dem Flur: »Wird auch Zeit!«
Julie vertiefte sich sofort wieder in die Vorlesungsunterlagen, merkte jedoch, dass sie sich gut mit der Entscheidung fühlte. Die Hämatome waren noch vorhanden, aber abgeschwollen. Mittlerweile hatte Doktor Halbroke einen weiteren Bluttest gemacht und am kommenden Montag würde sie die Werte mitgeteilt bekommen. Da sie jedoch keinerlei Symptome mehr aufwies, schien sich dieses Problem erledigt zu haben.
Der Samstagabend war plötzlich da und Julie genoss es, sich im Bad zu stylen, in Designerjeans zu schlüpfen und ihr bestes Shirt anzuziehen.
Ein Uber brachte sie zum Verbindungshaus, das auf dem Campusgelände lag. Schon von Weitem sah sie die Traube Gleichaltriger, die lachend zusammen standen und aus Plastikbechern tranken. Die erste Stunde würde Spaß machen, ab der zweiten begann der Teil, den nur Betrunkene lustig fanden und mit Anbruch der dritten gab es vermehrt Alkoholleichen.
Auf dem Weg hierher hatten sie alle eine Sicherheits-App auf dem Smartphone installiert, die über eine Bluetooth-Verbindung die Entfernung der anderen anzeigte. Wenn eine Internetverbindung bestand, konnte man auch einen Notbutton betätigen, wodurch die Freunde alarmiert wurden.
Neben ihr rutschte Melissa aufgeregt hin und her, ließ ihren Blick über die Menge schweifen, als suche sie jemand.
»Bist du verabredet?«, fragte Julie.
»Ich?! Nein, wie kommst du denn darauf? Ich schaue mich nur so um. Wer so alles da ist.« Sie wich betont unschuldig Julies Blick aus.
»Sie sucht Luca«, erklärte Cullen vom Beifahrersitz, was ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf von Melissa einbrachte.
»Wieso sollte er hier sein?«, hakte Julie nach. »Er geht doch nicht gerne auf Partys.«
Melissas schlechtes Gewissen verschwand, wie ausgeknipst. »Wenn du schon fragst, hör zu: Ich habe recherchiert.«
»Natürlich hast du das.«
»Er ist ein ziemlicher Eigenbrötler, aber ein paar seiner Kommilitonen haben ihn wohl dazu gezwungen, … du weißt schon, zu lächeln. Menschlich zu sein. Auszugehen. Er ist wie du, nur in männlich.«
Auf dem Beifahrersitz lachte Cullen, worauf auch Julie ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasste.
»Das hast du eingefädelt.« Sie stach ihren Zeigefinger gegen Melissas Schlüsselbein.
»Ich habe möglicherweise dem einen oder anderen erklärt, dass ich mit ihm was trinke, wenn Luca den Weg hierher findet.«
»Melissa!«
»Was?! Irgendwie muss unser Projekt doch vorangehen.«
»Unser Projekt?!«
Der Uber-Fahrer stoppte das Auto und sie stiegen aus. Cullen übernahm diese Fahrt und zahlte mit der App.
»Ja klar. Wir tauen ihn auf und dann werdet ihr beide gemeinsam das süßeste, grummeligste Streberpaar auf dem Campus.«
Julie konnte gerade noch verhindern, wütend mit dem Fuß aufzustampfen. »Du schaust zu viele Schnulzen. Luca ist ein arroganter Mistkerl.«
Dass ihre beste Freundin daraufhin nur breit grinste, ließ Julie wütend aufschreien. »Du bist wie eine Planierraupe.«
»Danke.« Melissa hakte sich unter. »Aber genug der Komplimente, widmen wir uns der Herausforderung.«
»Viel Erfolg!«, rief Cullen und tauchte in der Menge unter.
Das Verbindungshaus war nicht wirklich neu, doch durch die Spenden ehemaliger Mitglieder war es renoviert worden. Das gesamte Gebäude besaß eine einladende Front aus Sandstein und einen ausladenden Balkon auf Höhe des ersten Stocks. Dieser verlief rundum. Längst hatten sich dort oben Pärchen zusammengefunden, die sich unterhielten oder küssten.
Es war ein warmer Herbstabend, in Kürze würde die düstere Jahreszeit mit Wind und Regen beginnen. Kein Wunder also, dass die Verbindung die Party noch schnell ausgerichtet hatte.
Gemeinsam mit Melissa betrat Julie das Gebäude und fand sich in einem dichten Gedränge aus Leibern wieder. Es wurde gelacht, getanzt, die Plastikbecher waren allgegenwärtig. Alle paar Minuten wurden sie angesprochen, doch während ihre beste Freundin sich sofort in Unterhaltungen vertiefte, hielt Julie Ausschau. War Luca tatsächlich hier irgendwo?
Ein kurzes Gespräch, um die Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, sollte doch möglich sein. Sie konnte sich den dunklen, rätselhaften Luca kaum zwischen all den ausgelassenen Menschen vorstellen. Er schien beständig von einer Wolke umgeben zu sein.
Irgendwann setzte sie sich dezent von Melissa ab, die von einem blondlockigen Studenten in eine Unterhaltung gezogen worden war. Tatsächlich machte es den Anschein, dass sie sich dabei wohlfühlte und nicht mehr an Luca dachte.
Julie ging zur Bar und brüllte dem studentischen Barkeeper dahinter »Wasser«, zu. Er reichte ihr einen Plastikbecher, doch bevor sie trinken konnte, fiel ihr Blick auf die Treppe zum oberen Stockwerk. Gerade stapfte Luca die Stufen empor.
Das war die Chance.
Julie folgte ihm. Wieso war er allein? Sollten seine Freunde nicht bei ihm sein?
Letztlich konnte man das Gleiche natürlich auch umgekehrt fragen.
Im oberen Stockwerk war weniger los. Zahlreiche Türen führten zu den Zimmern der Verbindungsmitglieder. Dazwischen gab es Durchgänge, die zum Balkon hinausführten. Julie stellte verblüfft fest, dass Luca die Treppen weiter hinaufstieg, in den zweiten Stock. Was suchte er dort?
Gehörte er möglicherweise selbst zur Verbindung?
Kurz überlegte sie, einfach hier zu warten, doch ihre Neugierde siegte. Was hatte der geheimnisvolle Luca Jackson da oben verloren?
Langsam stieg sie ebenfalls die Stufen empor. Die Treppe ging in eine umlaufende Galerie über, von der verschiedene Gänge abzweigten und ebenso viele Türen. Auch hier waren also Verbindungsmitglieder untergebracht. Julie wollte bereits aufgeben, als sie Lucas wütende Stimme vernahm.
»… denkst du, ich lasse mich erpressen?!«
Stille.
Sie schlich in die Richtung, in der sie ihn vermutete. An einer halb geöffneten Tür vorbei, hinter der