Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman


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Richtung zu blicken. Sie wünschte sich nur ein Mauseloch, in das sie kriechen konnte. Das gab es nicht, und sie hatte jetzt auch keine Gelegenheit mehr, einfach loszufahren.

      Wie hatte sie aber auch damit rechnen können, ihm zu begegnen. Sie hatte mit überhaupt nichts gerechnet, war einfach nur losgefahren, und nun hatte sie die Bescherung.

      »Nicki, bitte steig aus. Lass uns miteinander reden«, bat er.

      Sie tat, als habe sie nicht gehört, doch er wiederholte seine Bitte, und da gab sie nach.

      »Nicki, was machst du hier?«, wollte er wissen.

      Wenn sie das wüsste.

      »Ich, äh …«, sie war nicht in der Lage, einen vernünftigen Satz zu formen, aber dann sagte sie sich, dass es keinen Sinn machte, ihm etwas vorzumachen. Auch wenn es nichts brachte, so musste sie aufrichtig sein.

      »Wahrscheinlich bin ich hergekommen, um mir noch einmal alles anzusehen, um Abschied zu nehmen …, ich bin in den Sonnenwinkel gekommen, um dir zu sagen, dass ich Fehler gemacht habe, dass ich …, dass ich …«

      Es war so schwer, es auszusprechen.

      Er sah sie ernst an.

      »Du bist gekommen, um mir zu sagen, dass du bleiben willst?«, erkundigte er sich.

      Sie nickte.

      »Und dann erfuhr ich, dass du verheiratet bist, dass deine Frau ein Kind von dir bekommt.«

      Diesmal nickte er.

      »Ja, das stimmt.«

      Sie standen sich gegenüber, waren sich so unglaublich nah und doch so fern.

      Er umarmte sie, ihre Gesichter kamen sich unaufhaltsam näher. Doch ehe sie sich küssten, ließ er sie los und sagte mit ernster Stimme: »Das wäre ein Verrat an Susanne, und das hat sie nicht verdient. Nicki, als ich dich am See sah, waren alle Gefühle wieder da. Es war kaum auszuhalten, aber ich denke, dass das, was uns miteinander verbindet, sich nicht in den Alltag übertragen lässt. Es gab einfach zu viele Hochs und Tiefs, und das Leben findet auf Erden statt …, ich werde dich immer lieben, und das weiß Susanne auch. Aber sie liebe ich auch, auf eine andere Weise, die sehr ruhig und sehr schön ist. Ich wünsche mir sehr, dass du und ich …, dass wir lernen, nett miteinander umzugehen. Wahrscheinlich werden wir uns hier und da sehen, deine allerbeste Freundin wohnt schließlich hier. Und ich wünsche dir wirklich von ganzem Herzen, dass du auch jemanden findest, bei dem du das Gefühl hast, angekommen zu sein. Das habe ich bei Susanne. Durch sie ist mir bewusst geworden, dass es schön ist, sein Leben durch ruhige Fahrwasser zu bringen, nicht durch einen aufgepeitschten Ozean, wie es bei uns der Fall war.«

      Er blickte sie ernst an.

      »Nicki, es ist schön, dass wir uns hier noch einmal getroffen haben. Ich werde Susanne von diesem Zusammentreffen erzählen. Ich wünsche dir viel Glück auf deinem Weg …, vielleicht wäre es mit uns doch gut gegangen, vielleicht auch nicht. Es war auf jeden Fall schön, dir begegnet zu sein. Durch dich durfte ich Gefühle erfahren, die ich längst verschüttet glaubte. Und dafür danke ich dir.«

      Er strich ihr sanft und behutsam über das Gesicht, dann wandte er sich ab, ging zu seinem Auto, stieg ein, fuhr los, an ihr vorbei, ohne noch einmal einen Blick auf sie zu werfen.

      Sie stand noch eine ganze Weile reglos da, dann riss sie sich zusammen und setzte sich mit weichen Knien in ihr Auto.

      Roberto …

      Würde sie je verwinden, was sie verloren hatte?

      Würde sie je über die Schuldgefühle hinwegkommen, die sie sich machte?

      Sie hatte ihn verloren, und das hätte nicht sein müssen.

      Sie warf einen letzten Blick auf das Haus, dann fuhr auch sie los, und jetzt nahm sie die richtige Richtung, zuerst Hohenborn, dann die Autobahn.

      Es konnte sie nicht trösten, dass er sie auch noch liebte. Es konnte sie nicht trösten, dass er sich wünschte, dass sie irgendwann ganz normal miteinander umgehen könnten.

      Er war ein besonderer Mann, und er hatte Prinzipien, dabei wäre es so leicht gewesen, sie zu küssen. Er hatte es nicht getan, weil er ein verheirateter Mann war. Malcolm kam ihr in den Sinn, der seine Ehefrau schamlos betrog, und sie war sich sicher, dass er bereits wieder eine Frau an seiner Seite hatte, die auf seine Lügen hereinfiel.

      Schöne Hotels, Privatflugzeuge, tolle Restaurants, kostbare Geschenke …

      Sie hatte sich blenden lassen und dabei das ausgeblendet, was wirklich zählte im Leben.

      Diese Susanne, die hatte es richtig gemacht. Doch diese Erkenntnis half ihr jetzt auch nicht weiter. Sie hatte das Glück ihres Lebens verloren.

      Wie sollte sie irgendwann noch einmal einem Mann trauen? Würde sie nicht jeden, der ihr über den Weg lief, an Roberto messen?

      Nicki mochte darüber nicht nachdenken, denn sonst würde sie den Verstand verlieren.

      *

      Roberto hatte oben am ›Seeblick‹ seinen Wagen noch nicht einmal abgestellt, als die Haustür aufgerissen wurde und Susanne herauskam.

      »Mit wem hast du denn da gesprochen? Ich habe zufällig aus dem Fenster gesehen und sah dich mit einer Frau.«

      »Ja, das war Nicki«, antwortete er.

      Sie wurde blass, bekam einen flackernden Blick.

      »Nicki?«, wiederholte sie beinahe ängstlich. »Was …, was wollte sie?«

      Seit sie die Ehemalige ihres Mannes am See gesehen hatte, da hatte sie eigentlich keine ruhige Minute mehr. Sie wusste, wie heftig die beiden sich geliebt hatten, und Nikola Beck war eine sehr attraktive Frau.

      Er zuckte die Achseln.

      »Ich habe keine Ahnung, und vermutlich weiß sie es selbst nicht, warum sie hier heraufgekommen ist. Sie …«, er blickte sie an, dann entschloss er sich, Susanne alles zu erzählen. »Nicki ist in den Sonnenwinkel gekommen, um wieder mit mir zusammen zu sein. Nun, da sie weiß, dass ich mit dir verheiratet bin, hat sie wohl aufgegeben und wollte sich den ›Seeblick‹ aus der Ferne noch einmal ansehen.«

      »Will sie …, hat sie …«

      Roberto nahm sie in die Arme.

      »Susanne, es ist nichts passiert. Natürlich habe ich ihr gesagt, dass ich noch Gefühle für sie habe. Alles andere wäre gelogen, aber ich habe ihr auch gesagt, dass ich dich liebe und dass ich sehr glücklich mit dir bin.«

      Ein vollkommen verunsicherter Blick traf ihn.

      Er verstärkte den Druck seiner Arme.

      »Susanne, wir sind beide nicht mehr ganz jung, wir hatten beide ein Vorleben, ehe wir uns begegnet sind, und ich habe die Beziehung zu Nicki niemals verschwiegen und auch nicht die Gefühle, die es da gab und auch noch gibt. Gefühle lassen sich nicht einfach abstellen. Aber bitte glaube mir, ich würde dich nicht betrügen. Sollte es so weit kommen, dann haben wir mit unserer Beziehung Schiffbruch erlitten, denn in eine gute Beziehung passt kein Dritter. Susanne, vertraue mir bitte. Ich liebe dich, ich bin glücklich mit dir, und ich freue mich auf unser Kind.«

      »Ja, aber, Nicki …«

      »Das war das Leben vor dir, Susanne.«

      Sie glaubte ihm noch immer nicht.

      »Susanne, wenn ich mich zwischen Nicki und dir entscheiden müsste …, ich würde mich für dich entscheiden. Das Leben von zwei Menschen, das Miteinander, findet nun mal auf Erden statt. Und hier auf der Erde bin ich mit dir sehr, sehr glücklich.«

      Sie lehnte sich enger an ihn.

      Ja, sie musste ihm vertrauen. Wenn diese Nicki bloß nicht eine so attraktive Frau wäre.

      »Susanne, vergiss Nicki, die Schatten der Vergangenheit werden uns niemals einholen. Und weißt du, warum? Weil wir zwei eine so großartige Gegenwart haben. Und wenn die stimmt, da muss man sich auch um die