Massimo Carlotto

Die Frau am Dienstag


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Was sollte er mit seiner Einsamkeit anfangen? Während Paare und Familien Ausflüge machten, Parks und Restaurants bevölkerten, konnte er es kaum erwarten, bis die langweiligen Stunden vorbei waren. Bis der Montag und endlich, endlich der Dienstag kam.

      Als er ins Frühstückszimmer kam, bemerkte er als Erstes den Kuchen.

      „Für dich nicht mehr als ein halbes Stück“, warnte ihn Signor Alfredo, „in dieser Köstlichkeit ist einiges an Zucker und Butter.“

      Als er für einen Moment den Raum verließ, zwinkerte Bassi ihm zu und reichte ihm ein weiteres Stück. „Beeil dich, sonst schimpft er mit mir.“

      In Windeseile verschlang Bonamente den Kuchen und überlegte gerade, was er heute unternehmen sollte, um den beiden nicht lästig zu fallen, als der Professor zu seiner Überraschung den Wunsch äußerte, in ein Restaurant zu gehen, wo er früher Stammgast gewesen war, und ihn ebenfalls dazu einlud. Seine Ausrede ließ er nicht gelten.

      „Ich erlaube mir, darauf zu bestehen. Es würde mich wirklich glücklich machen. Es ist zu lange her, dass ich mit Freunden auswärts gegessen habe. Jeden Sonntag nehme ich mit meinen Söhnen, meinen Schwiegertöchtern und den Enkeln das Mittagessen ein, die mich wie einen uralten Großvater behandeln. Dementsprechend benehme ich mich leider auch. Es ist eine echte Tragödie, wenn man zur Banalität gezwungen wird.“

      „Vielleicht kannst du deine Verabredung ja verschieben“, schlug Signor Alfredo vor, der sehr wohl verstanden hatte, dass sein junger Freund abgelehnt hatte, um nicht aufdringlich zu wirken.

      Nachdem alles einvernehmlich geregelt war, fuhren sie gemeinsam zu einem Restaurant am Stadtrand, von wo aus man in die Ebene und auf die Sojafelder blickte, die den Anbau traditioneller Getreidesorten verdrängt hatten.

      Bei dem Fahrzeug, in dem sie saßen, handelte es sich um ein neues Elektroauto, das Alfredo Guastini gekauft hatte, als er von den Gefahren des Feinstaubs gehört hatte. Den Mercedes mit dem Dieselmotor hatte er verkauft und sich stattdessen für ein teures japanisches Modell mit allen Schikanen entschieden, dessen Hersteller zusätzlich damit werben durfte, dass der Wagen die Luft nicht verschmutze und dem Klima und der Gesundheit diene.

      Bonamente saß still auf dem Rücksitz und beobachtete die vorbeiziehenden Häuser. Ein offenes Fenster, ein zugezogener Vorhang, aufgehängte Wäsche. Wie damals als Kind stellte er sich immer noch gerne vor, wer die Bewohner hinter den Fenstern wohl sein mochten.

      Dann erreichten sie das Restaurant.

      Bassi lächelte zufrieden, als er feststellte, dass es genau so war, wie er es in Erinnerung hatte, selbst die Karte schien sich nicht geändert zu haben.

      Während sie ein hervorragendes Paprikahühnchen aßen und dazu einen Rotwein aus den Abruzzen tranken, fragte Signor Alfredo den Professor, wie er gerade auf dieses Restaurant so weit außerhalb gekommen sei.

      „Weil hier keine Kollegen aus der Uni herkamen“, erklärte er lächelnd. „Ich kam immer mit einem Kollegen hierher, er hat mir übrigens die Pension empfohlen, wofür ich ihm auf ewig dankbar bin.“

      Guastini seufzte und legte seine Hand auf die von Bassi.

      „Ich habe geheiratet, weil ich meine Frau wirklich geliebt habe“, stellte der Professor klar. „Sie war eine schöne, starke und intelligente Frau, und ich leide sehr unter ihrem Verlust. Trotzdem habe ich sie immer mit Männern betrogen, aber ich hätte sie nie verlassen. Nicht wegen der Kinder, sondern weil ich sie vergötterte. Ich weiß nicht, ob sie wusste, dass ich nicht ausschließlich auf Frauen stand, das kann ich sie erst in unserem nächsten Leben fragen. In diesem jedenfalls haben wir darüber nicht gesprochen. Mit meinem ältesten Sohn Luigi wollte ich eigentlich darüber reden, doch er war schockiert und bat mich, das Thema nicht mehr zu erwähnen. Deshalb erzähle ich es Ihnen, Sie haben ja keinerlei Vorbehalte, sonst hätten Sie es nie so lange in der Pension Lisbona ausgehalten.“

      Einmal mehr fühlte sich Bonamente in seiner Überzeugung bestätigt, dass Familienbande eine teuflische Falle waren. Sie verboten es den Menschen, sich frei auszuleben, zwangen sie sogar zur Lüge, zu Ausflüchten und Betrug. So wie der Professor sein Leben verbracht hatte, wollte er seines nicht verbringen.

      Bassi riss ihn aus seinen Gedanken, indem er ihm auf den Arm tippte, damit er ihm weiter zuhörte.

      „Mein ganzes Leben lang haben meine Freunde und die Experten, die ich dafür bezahlte, Ordnung in mein Sexualleben zu bringen versucht, mir gesagt, ich sei verwirrt wegen meiner Bisexualität. Vielleicht hatten sie damit nicht unrecht, nur bin ich inzwischen davon überzeugt, dass man das Recht hat, in sexueller Hinsicht verwirrt zu sein. Niemand sollte etwas dagegen sagen oder es ändern wollen. Meinen Sie nicht?“

      Bonamente zuckte mit den Schultern. Er hatte zu diesem Thema keine feste Meinung. Zwar gab er dem Professor instinktiv recht, fürchtete allerdings, dass er in komplizierte Diskussionen verwickelt würde, darum stand er auf und ging unter dem Protest Bassis zur Kassa und beglich die Rechnung.

      Am Montagmorgen erschien der Professor elegant gekleidet zum Frühstück und begrüßte Bonamente flüchtig, der gerade Getreideflocken in eine Tasse Mandelmilch schüttete.

      Signor Alfredo strich ihm über die Schulter: „Alles gut, Frederico?“

      „Ich muss mit dir reden“, sagte Bassi und starrte betreten zu Boden, während Alfredo ahnungsvoll zusammenzuckte, als hätte ihm jemand in die Rippen geboxt.

      Auch der Mieter begriff, dass Ungemach bevorstand, und erhob sich schnell, um in der nächsten Bar ein angenehmeres Frühstück zu sich zu nehmen.

      „Ich werde nicht mehr kommen“, flüsterte der Professor mit brüchiger Stimme, nachdem sie allein waren.

      „Wegen der Kinder?“

      Bassi nickte. „Wenn sie klein sind, sind sie von dir abhängig, sobald sie dann erwachsen sind, übernehmen sie die Kontrolle über dein Leben. Und wenn du alt geworden bist, liegt dein Schicksal ganz in ihrer Hand. Sie lassen dich für alles bezahlen, was du in der Jugend bei ihnen falsch gemacht hast, und im Namen der Gesundheit und des angeblichen Wohlbefindens nehmen sie dir noch die letzten Freuden. Auf diese Weise lebst du länger, bist dafür unglücklicher.“

      „Du hättest dich deinem Sohn vielleicht nicht anvertrauen sollen.“

      „Ich habe gehofft, dass er mich versteht und mich dabei unterstützt, hierher zu dir zu ziehen. Jetzt hat er nichts als Angst, dass ich mich und damit ihn lächerlich mache.“

      Als sein langjähriger Liebhaber in sein Zimmer zurückgekehrt war, um zu packen, ließ Signor Alfredo seinen Tränen freien Lauf und folgte Federico nach einer Weile. Lange hielten sie sich im Arm, küssten sich und flüsterten letzte Worte der Liebe.

      „Ich muss gehen, meine Königin“, verabschiedete sich der Professor, während Alfredo in sein Zimmer zurückkehrte, sich einschloss und es Erminia überließ, Bassi zur Tür zu begleiten. Es war nicht der erste Abschied, den sie in der Pension Lisbona erlebte, sie war sich indes ziemlich sicher, dass es der letzte sein würde.

      Als Bonamente zurückkehrte, lag eine drückende Stille über der Pension. Als wäre jemand gestorben. Fluchtartig verließ er den traurigen Ort, streifte unschlüssig durch die Straßen und landete schließlich in der Bingohalle, in die er öfter ging. Selbst am Morgen war sie bereits gut gefüllt. Wie immer setzte er sich an den Tisch mit den Chinesen, die seiner Meinung nach Glück brachten.

      Er nahm sich vor, besonders auf die Spieler zu achten, die „Bingo“ riefen, ihre Freude rührte ihn. Einmal hatte ihn ihr Erfolg so sehr bewegt, dass er eine halbe Stunde weinend auf der Toilette gesessen hatte, bevor er sich wieder beruhigt hatte.

      Signor Alfredo hatte sich in seinem Zimmer verbarrikadiert. Er blieb dort, bis es Nacht wurde und sein einziger Gast schlief. Er wollte nicht in seiner Verzweiflung gesehen werden. Im Nachthemd begab er sich schließlich in die Küche, machte sich etwas Milch warm und aß den restlichen Kuchen, den er für seinen König gebacken hatte.

      In den vergangenen Jahren hatte er so sehr darauf gehofft, dass sein König eines Tages zu ihm