Massimo Carlotto

Die Frau am Dienstag


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liebten. Ihm fehlten die Zeit und die Energie, sich die Zukunft neu zu erfinden. Der Einzige, an den er sich klammern konnte, war Bonamente. Resigniert betrachtete er seinen alten Körper im Spiegel. Egal, um ihn würde er mit dem Schicksal kämpfen.

      Am Dienstag kam die Dienstagsfrau pünktlich um drei. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, an dem Besitzer der Pension vorbeizugehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und direkt auf Bonamentes Zimmer zuzusteuern.

      An diesem Nachmittag hingegen packte Signor Alfredo, der einen grünen Hut mit einem Schleier in gleicher Farbe trug, um seine rot geweinten Augen zu verbergen, die hochnäsige Dame am Arm.

      „Sorgen Sie dafür, dass er nicht in diesem Film mitspielt“, forderte er sie entschlossen auf.

      Sie verdrehte die Augen. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Es interessiert mich nicht und geht mich zudem nichts an.“

      „Ach nein? Dann sollten Sie sich langsam fragen, ob Sie an den Trauerfeierlichkeiten für Ihren Lieblingsgigolo teilnehmen wollen oder nicht. Es dürfte eine interessante Erfahrung werden, die Sie Ihren neugierigen Freundinnen erzählen können.“

      Die Dame war empört. Eine Stunde Vergnügen in der Woche, und selbst das nicht mal regelmäßig, wenn man die Feiertage, den Urlaub und unvorhergesehene Ereignisse abzog, und diese alte Transe vergeudete ihre kostbare Zeit. Ganz davon abgesehen, dass er ihre erotischen Fantasien störte.

      „In Ordnung, ich werde darüber nachdenken, ob ich an der Trauerfeier teilnehmen werde.“

      Alfredo verstand die Welt nicht mehr. Da richtete er das Wort an sie, weil er sich ernsthafte Sorgen machte, und dann eine solche Antwort.

      „Der arme Bonamente kann es sich nicht erlauben, irgendwelche Medikamente zu nehmen, damit er eine fürs Kino passende Erektion hat, und ich fürchte, dass er bei Ihnen auch diesen Unsinn treibt, damit er Sie als Kundin nicht verliert.“

      „Schluss, er ist ein erwachsener Mann und kann jederzeit auf mein Geld verzichten, wenn ihm danach ist“, sagte die Dienstagsfrau in noch eisigerem Ton und entfernte sich raschen Schrittes.

      Alfredo schaute ihr hinterher und überlegte, ob er es falsch angepackt hatte. Nein, diese Frau war einfach eine blöde Kuh, und mit ihrem Verhalten würde sie die Situation noch schlimmer machen.

      Der Junge hatte etwas Besseres verdient. Dem Transvestiten war seit Langem klar, dass er von Frauen überhaupt nichts verstand. Und von Männern desgleichen nicht, wenn man mal ehrlich war. Er war ein wunderbarer Mensch, dem man auf die Sprünge helfen musste, weil er sich mit den praktischen Dingen des Lebens einfach nicht auskannte oder sie nicht beherrschte. Für ihn war er wie ein eigener Sohn und er war ihm ein verlässlicher Partner, darum verstand er nicht, was diese Frau im Leben eines Gigolos bedeuten konnte.

      Obwohl Alfredo Guastini sich nicht gerne an seine portugiesische Vergangenheit erinnerte, dachte er jetzt an ein Sprichwort, das er sich immer dann vor Augen führte, wenn bestimmte Situationen geradezurücken waren, und das besagte, dass man den Feind manchmal mit seinen eigenen Waffen schlagen müsse. Seufzend öffnete er den Schrank mit seinen Männerkleidern.

      Zur selben Zeit bemerkte Bonamente, dass etwas nicht stimmte. Seine Dienstagsfrau war ins Zimmer gekommen, ohne sich auszuziehen.

      „Was ist los?“

      „Die angebliche Dame an der Rezeption hat mich aus dem Konzept gebracht“, erklärte sie vorwurfsvoll. „Was ist das für eine Geschichte mit einem Film, den du drehen und bei dem du Pillen nehmen musst, damit es mit deiner Erektion passt?“

      Welch eine Peinlichkeit, dachte er und versuchte die Sache herunterzuspielen.

      „Unwichtig, nichts jedenfalls, was dich betrifft.“

      „Theoretisch nicht. Ein Besuch im Krankenhaus heißt nicht, dass ich mich um dein Leben kümmern will. Ich sollte vielleicht erneut eines klarstellen: Du verkaufst eine Dienstleistung, und ich bezahle dafür in bar“, hielt sie ihm in einem nicht gerade freundlichen Ton vor.

      „Hast du eine deiner Flaschen mitgebracht?“, fragte Bonamente, um das Thema zu wechseln, und tat so, als hätte er sie nicht längst bemerkt.

      „Willst du am Ende unseres Rituals anfangen? Keine schlechte Idee, um den unangenehmen Anfang wiedergutzumachen“, sagte sie zufrieden und legte das Geld auf den Nachttisch. „Zieh dich aus. Du weißt, dass ich gerne nackt trinke. Heute ist es ein Rye Whisky. Er wird aus einundfünfzig Prozent Roggen destilliert“, sagte sie und hielt dabei das Glas gegen das Licht. Als sie merkte, dass sein Blick stur auf ihre Brüste gerichtet war, fügte sie hinzu: „Steck deine Nase lieber in das Glas, der Whisky ist scharf und würzig, mit Spuren von Minze und einem Abgang aus reifen Trauben, Honig und weißen, in Wein eingelegten Pfirsichen. Dazu ein Hauch Tabak und Zimt.“

      Sie schenkte sich ein zweites, dann ein drittes Glas ein und wünschte anschließend, geleckt zu werden. Bonamente war am Ziel seiner Träume.

      Als die Stunde vorbei war, zog sie sich rasch an und nahm sich, bevor sie ging, die Hälfte des Geldes wieder vom Nachttisch.

      „Ich denke, das ist recht und billig. Viel hattest du heute ja sowieso nicht zu tun.“

      Bonamente widersprach nicht. Er duschte und dachte darüber nach, welche Standpauke er Signor Alfredo halten würde. Es gab keinen Grund, seine Dienstagsfrau mit Vorwürfen zu belästigen.

      Sein Vermieter war nirgends zu sehen. Komisch, sonst saß er um diese Zeit immer im Salon und löste Kreuzworträtsel, eine seiner großen Leidenschaften, weil die angeblich halfen, im Alter nicht zu verblöden. Wo steckte er?

      Wirklich überrascht wäre Bonamente gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Signor Alfredo auf der Straße stand und auf die Dienstagsfrau wartete, um sie heimlich zu ihrer Wohnung zu verfolgen.

      Der Weg dorthin dauerte bis exakt 16.25 Uhr, als die Dame die oberste Klingel der Gegensprechanlage des Hauses Via Cadorna 127 drückte. Sie war schnell gelaufen und hatte ihren alten Verfolger ganz schön ins Schwitzen gebracht. Zum Glück war sie so abgelenkt gewesen, dass sie ihn gar nicht bemerkt hatte.

      Sobald sie im Haus verschwunden war, ging Alfredo zur Tür und merkte sich den Namen: T. FONTANA.

      Zurück in der Pension, schaltete er den Computer an und begann mit der Suche. Der Name gehörte zu einem gewissen Tommaso Fontana, laut Telefonbuch und anderen Quellen ein ebenso bekannter wie geschätzter Anwalt, der sich vor längerer Zeit zur Ruhe gesetzt hatte. In einem alten Zeitungsartikel, der über seinen Rückzug aus dem Berufsleben berichtete, hieß es, dass er dafür eigentlich noch zu jung gewesen sei und es angeblich schwerwiegende persönliche Gründe für diesen Schritt gegeben habe.

      Vermutlich war er zwanzig Jahre älter als die Dienstagsfrau, die Alfredo auf etwa vierzig schätzte. Zwei Möglichkeiten gab es: Entweder handelte es sich um ihren Vater, oder sie mochte ältere Männer und wollte lediglich einen jüngeren, wenn sie Lust auf Sex hatte.

      Er würde es bald wissen.

      Bonamente überraschte ihn vor dem Bildschirm. „Wie konnten Sie es wagen?“, schrie er außer sich vor Wut.

      „Hat die Dame sich darüber beschwert, dass ich mir erlaubt habe, das Wort an sie zu richten?“

      „O ja, und zwar mit vollem Recht. Sie sollten ihr nichts von meinen Schwierigkeiten erzählen. Darüber war sie sehr aufgebracht und hat eindeutig klargestellt, dass sie nicht mehr sei als meine Kundin.“

      „Du wirst es bald verstehen.“

      Die Augen seines Mieters füllten sich bei diesen Worten mit Tränen. „Ich habe Angst, sie zu verlieren, verdammt noch mal!“

      In diesem Moment wurde Alfredo klar, dass der Darsteller gar nicht streiten konnte. Er wäre längst schon fuchsteufelswild gewesen. Betont ruhig sagte er: „Du hast recht, die Gefahr, sie zu verlieren, besteht durchaus. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens könntest du die Dreharbeiten nicht überleben. Zweitens werde ich sie so lange um Hilfe bitten, bis du endlich auf diesen Film verzichtest.“

      „Das