Schwesterlein hat viel geschrien, und da hat der böse Vater es geschlagen. Deshalb ist die Mutti zornig geworden.«
»Unterhaltet ihr euch über so was?« fragte Sandra staunend.
»Na freilich«, erwiderte Nico. »Jetzt kriegen sie aber einen lieben Papa. Der bringt ihnen immer was mit.«
Und so ist es, dachte Sandra, wenn Kinder schöne Geschenke bekommen, werden sie zutraulich. Leicht war es ihr nicht ums Herz.
»Geschenke machen es nicht, Nico. Man muß Kinder richtig lieben.«
»Ich liebe dich, mein Ömchen und Holger«, sagte Nico. »Und ich wünsche mir zu Weihnachten keine Geschenke, bloß, daß Holger mein Papi wird, damit sie mich in der Schule nicht fragen, wer mein Vater ist und wie er heißt. Ich finde es nämlich dumm, daß du Diehl heißt und ich Harrer. Warum ist das so?«
»Siehst du, Sandra, das war auch ein Fehler, daß du deinen Mädchennamen angenommen hast, sagte sie im stillen zu sich selbst. Aber das war nun nicht mehr zu ändern. »Du heißt Harrer-Diehl«, sagte sie. Und dann flüchtete sie sich in eine Notlüge. »Und ich nenne mich Diehl, weil mein Vater die Kanzlei gegründet hat. Da wissen die Leute gleich, mit wem sie es zu tun haben.«
Damit gab sich Nico tatsächlich zufrieden, aber bald folgte die nächste Frage: »Und wohin fahren wir jetzt, Mami?«
»Zuerst nach Wien. Da besuchen wir Tante Winnie, und dann fahren wir nach Kärnten.«
»Ich will aber nicht dauernd wen besuchen«, sagte Nico unwillig.
»In Kärnten machen wir Urlaub.«
»Ist es da schön?«
»Ja, sehr schön.«
»Ist da das Meer?«
»Nein, nur Seen.«
»Das Meer ist mir auch zu groß. Ich mag lieber Berge.«
Das wiederum hatte er mit Bettina gemeinsam, die überglücklich war, als sie von ihrem völlig überraschten Opa empfangen wurden. Allerdings bereiteten sie ihm eine frohe Überraschung. Nur schien er wirklich sehr erstaunt zu sein, daß sie ohne Heiner kamen.
»Nichts fragen, Paps«, raunte ihm Annette ins Ohr, »alles später.«
Bettina beschäftigte sich schon mit Terry, der Hundedame, die schwerfällig herumtrabte.
»Warum ist sie so dick geworden, Opi?« fragte Bettina.
»Sie wird bald Junge bekommen, Mäuschen«, erwiderte er.
»Kleine Hundchen?« staunte Bettina. »Kann ich sie angucken?«
»Jetzt trägt Terry sie doch noch in ihrem Bauch spazieren«, erwiderte Albert Breiter lachend. Ja, hier wurde gelacht, und Annettes Gesicht entspannte sich.
»Na, was ist denn los?« fragte ihr Vater, als Bettina sogleich den Obstgarten inspizierte.
»Allerhand, Paps. Ich habe meine Schwiegermutter nicht mehr ertragen. Es kommt noch soweit, daß ich mich von Heiner trenne.«
»Immer langsam mit den jungen Pferden«, meinte ihr Vater nachsichtig. »Laß erst mal Dampf ab, Annette. Das kannst du hier.«
Er legte seinen Arm um sie. »Ich ergreife keine Partei, abgesehen davon, daß ich Helma nicht riechen kann.«
»Sie unterjocht Heiner immer noch, mehr denn je, Paps.«
»Sie hat ihren Mann zu früh verloren. Wir müssen ihr einen andern suchen«, meinte er schmunzelnd.
»Der würde mir sehr leid tun«, seufzte Annette.
»Nur kein falsches Mitleid. Dann seid ihr sie wenigstens los. Ich kenne solche Frauen. Sie werden mit dem Witwendasein nicht fertig. Sie haben zuviel Zeit. Frauen, die einen Beruf haben, sind da ganz anders. Aber lassen wir mal alles an uns herankommen. Es ist gut, daß du gekommen bist. Wir werden ja sehen, wie Heiner reagiert.«
*
Sandra und Nico waren in Wien angekommen, und sie wurden von Winnie Schwalbe bereits sehnlichst erwartet. Ein kurzer Anruf von Sandra bei der Schulfreundin hatte genügt, um diese in stürmische Wiedersehensfreude zu versetzen.
Sandra wurde abgebusselt und Nico bekam zu hören, wie groß er geworden sei.
»Ich komme ja auch bald zur Schule«, erklärte er stolz.
Winnie, die ebenso emanzipierte, wie tüchtige und charmante Innenarchitektin, hatte sich eine reizende Atelierwohnung eingerichtet, die auch ihren Hang zur Romantik verriet. Sie war eine aparte Blondine, die nach einigen trüben Erfahrungen entschlossen war, Junggesellin zu bleiben. Dazu beigetragen hatte auch Sandras Schiffbruch im Eheleben.
Davon wurde aber nicht geredet. »Ich bin ganz happy, daß ihr mich besucht«, freute sich Winnie.
»Stell dir vor, München ist von Wien genauso weit entfernt, wie Wien von München«, scherzte Sandra. »Du könntest auch mal kommen.«
»Ich habe so irrsinnig viel zu tun«, erklärte Winnie, »aber es hat sich so ergeben, daß ich in Kärnten ein Haus für so einen reichen Knilch einrichten soll, und das habe ich vorgezogen, um euch öfter sehen zu können«, fügte sie verschmitzt hinzu.
»Das ist aber ein toller Zufall«, sagte Sandra erfreut.
»Ich hatte eigentlich erst für nächsten Monat zugesagt, aber ein paar Anrufe haben genügt, um die Termine umzustellen. Ein paar Tage habe ich hier allerdings noch zu tun.«
»Wir fahren gleich weiter«, sagte Sandra.
»Kommt nicht in Frage. Bis morgen bleibt ihr. Es ist ein ganz schöner Schlauch bis Villach. Nico hat schon ganz müde Äuglein.«
»Hunger hab’ ich«, erklärte der Junge. »Richtige Wiener Schnitzel möcht’ ich essen.«
»Sofort«, erwiderte Winnie lachend. »Alles ist schon vorbereitet.«
»Hast du gewußt, daß ich Schnitzel essen möchte?« fragte Nico.
Winnie zwinkerte ihm zu. »Bist doch mein Patenkind, und ich esse Schnitzel auch am liebsten.«
Nico wurde zufriedengestellt und fand sich auch bereit, früh zu Bett zu gehen. Die Freundinnen setzten sich noch mit einer Karaffe Wein auf die Dachterrasse.
»Du hast dich rasch entschlossen zu diesem Urlaub, Sandra«, sagte Winnie nachdenklich, »das hat doch einen triftigen Grund.«
»Ulrich ist wieder in München, und er hat mir telefonisch angekündigt, daß er Nico sehen will.«
»Das fällt ihm jetzt ein«, murmelte Winnie unwillig. »Aber es wird sich wohl nicht vermeiden lassen.«
»Ich werde Nico so einiges sagen, bevor er unter Ulrichs Einfluß gerät. Kinder sind bestechlich.«
Winnie runzelte die Stirn. »Ich möchte nur wissen, was er bezweckt«, sagte sie nachdenklich. »Es ist doch nicht plötzlich erwachte Vaterliebe. Vielleicht will er sich jetzt mit der prominenten Anwältin schmücken.«
Sandra machte eine abwehrende Bewegung. »So prominent bin ich nicht, und außerdem käme eine Versöhnung überhaupt nicht in Frage für mich.«
»Er hat sich immer unwiderstehlich gefunden«, sagte Winnie. »Inzwischen mag er eingesehen haben, was er sich verscherzt hat. Oder er ist geschäftlich baden gegangen.«
Sandras Augen weiteten sich. »Daran habe ich noch nicht gedacht.«
»Es war auch nur so eine Idee«, sagte Winnie. »Nun, jedenfalls gehört Nico dir und selbst wenn er darauf besteht, ihn einmal im Monat zu sehen, brauchst du nicht gleich das Flattern zu bekommen. Nico ist ein ganz schlaues Bürschchen.«
»Zugegeben, aber ich weiß nur zu gut, welchen Konflikten Kinder aus geschiedenen Ehen ausgesetzt sein können.«
»Du hättest wieder heiraten sollen, Sandra. Anscheinend verstehst du dich doch sehr gut