C. Otto Scharmer

Theorie U - Von der Zukunft her führen


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target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_637d79d4-3c43-5d11-bc43-643a22d31c47">4https://vimeo.com/150987118 [Zugriff: 17.2.2020].

      5Das CoLab wurde im Rahmen eines auf der Theorie U basierenden Leadership-Development-Programms entwickelt und initiiert.

      6http://globalwellbeinglab.com/2015/04/11/what-is-the-global-wellbeing-lab/ [Zugriff: 14.1.2020].

      7Für nähere Informationen zu IDEAS Indonesia siehe: http://ideas.unitedindiversity.org/welcome/en [Zugriff: 17.2.2020].

       Vorwort zur Erstauflage

      Mein Mentor sagte mir einmal, dass die größte aller menschlichen Errungenschaften die des schöpferischen Prozesses ist, wie wir das Neue in die Welt bringen. Diesen schöpferischen Prozess zu verstehen ist die Grundlage dafür, in einem Bereich wirkliche Könnerschaft zu entwickeln. Dieses Wissen ist tief in der Kunst verankert, und es beschreibt die Momente, wenn »es magisch wird«, Erfahrungen, über die im Bereich Theater, Musik oder Sport selten gesprochen wird. Einen solchen mysteriösen Moment des Loslassens beschreibe Michelangelo, wenn er sage, die Figur des David habe dem Marmor schon vorher innegewohnt: »Ich habe nur alles weggenommen, was nicht David war.« Oder ein solcher Moment sei auch in Picassos Beschreibung spürbar, dass »der Verstand Wege findet, seinen Traum zu kristallisieren«. Diese Momente sind auch in der Wissenschaft wichtig. Der Ökonom W. Brian Arthur hält fest, dass »alle großen Entdeckungen aus einem inneren Weg hervorgehen«. Vor diesem Hintergrund schlägt Otto Scharmer vor, dass der Schlüssel dazu, einen Umgang mit den vielfältigen Krisen unserer Zeit zu finden, darin liegt, diese Fähigkeit des schöpferischen Tätigwerdens gemeinsam neu zu erlernen.

      Zwei Hauptstrategien charakterisieren die Reaktionen auf sich abzeichnende Zusammenbrüche in der Umwelt und im Sozialen. Diese Zusammenbrüche werden im Klimawandel sichtbar, in der Unfähigkeit der Politik zum Handeln, in der Korruption, der zunehmenden Armut und im Scheitern der traditionellen Institutionen des Gesundheitswesens, der Regierung, der Wirtschaft und der Erziehung und Bildung. Die Strategie, die das Handeln der meisten Verantwortlichen in den entwickelten Industrieländern charakterisiert, heißt, »sich irgendwie durchwurschteln«. Es ist eine Kombination aus dem Versuch, den Status quo zu erhalten, und einer Faszination für neue Technologien, die, so die Annahme, die Probleme lösen werden. Die Reaktion ist Widerstand – der Protest von Millionen Menschen in der Welt gegen den »Konsensus in Washington« bezüglich Globalisierung –, kombiniert mit einer Sehnsucht nach einer sozialen und moralischen Ordnung der Vergangenheit und dem Zorn darüber, die Kontrolle über die Zukunft verloren zu haben.

      Viele teilen diese Zweifel an den Zuständen. Dies wird in einer zunehmenden Angst vor der Zukunft, Misstrauen fast sämtlichen sozialen Organisationen gegenüber und einem Rückzug aus der öffentlichen Diskussion sowie einem Rückgang des bürgerlichen Engagements sichtbar. Die meisten Menschen nehmen die tiefen Ungleichverteilungen, die aus dem globalen Industrialisierungsprozess entstanden sind, wahr. Aber es gibt wenig Hoffnung, dass etwas dagegen getan werden kann. Wir machen irgendwie einfach weiter.

      Der Gipfel der Ironie ist die Tatsache, dass sogar die größten Technologieoptimisten der Ansicht sind, Technologie entwickle sich selber, und man könne eigentlich nicht viel dagegen tun. Auch viele von denen, die sich als (manchmal militante) Aktivisten engagieren, drücken mit ihrer Wut und Gewalt ähnliche fatalistische Gefühle aus, wenn sie das Unaufhaltsame zu stoppen versuchen. Ein Freund von mir, ein engagierter Aktivist der Umweltbewegung, fasste dies einmal so zusammen: »Ich bin überzeugt, dass manche der radikalen Umweltschützer der Auffassung sind, dass die Menschheit ein Fehler ist und dass sie es nicht verdient zu überleben.«

      Beide Strategien sind in der Vergangenheit verankert: die Vertreter des Status quo, die im Grunde nur das, was in der Vergangenheit positiv war, weiterzuführen versuchen, und die der Gegenseite, die negative Entwicklungen aus einer Position der Vergangenheit heraus bekämpfen.

      Otto Scharmer entwickelt mit diesem Buch eine dritte Sichtweise, eine, die, wie ich glaube, in der Welt immer weiter um sich greift. Diese Sicht basiert auf der Überzeugung, dass die Zukunft sich von der Vergangenheit unterscheiden wird, einfach darum, weil die dominante globale industrielle Entwicklung nicht weiterlaufen kann wie bisher. Es geht nicht, dass sich der Reichtum weiterhin in Zeiten der zunehmenden Abhängigkeiten nur in einem Teil der Welt konzentriert. Das industrielle Modell des »Nimm, nutze, wirf weg« kann nicht noch weiter ausgeweitet werden in einer Welt, in der es eigentlich gar keine Orte in der Umwelt gibt, wohin man Müll und Gifte »weg«werfen kann. Wir können nicht damit fortfahren, CO2 in die Erdatmosphäre auszustoßen, der Ausstoß liegt jetzt bereits 30 % höher, als er jemals in den vergangenen 450.000 Jahren war.

      Der andere Grund dafür, warum diese dritte Sichtweise immer wichtiger wird, ist der, dass wir diesen Entwicklungen nicht hilflos zuschauen müssen. Es gibt kein dahinter stehendes physikalisches Gesetz, sondern es sind allein die menschlichen Gewohnheiten, die diesen Problemen zugrunde liegen. Unsere Verhaltensgewohnheiten haben sich in sozialen Strukturen manifestiert, die wir reproduzieren, aber es ist möglich, alternative Strukturen hervorzubringen. Diese Veränderungen zu erreichen heißt nicht weniger, als »unsere Welt neu hervorzubringen«; die Fähigkeit dazu basiert auf der radikalen Sicht unserer kollektiven Fähigkeit, wie Martin Buber es ausdrückte, »dem aus sich Werdenden« zu lauschen, »dem Weg des Wesens in der Welt«, um es dann so in die Realisierung zu bringen »wie es verwirklicht werden will«.

      Als Freund und Partner von Otto Scharmer habe ich nun mehr als zehn Jahre auf dieses Buch gewartet, genauso wie viele meiner Kollegen. Ohne Frage ist Otto der Denker, Theoretiker und auch der führende Praktiker der »U-Methodologie«. In seiner umfassenden praktischen Erfahrung mit Veränderungsprojekten hat er sich ein einzigartiges Verständnis der Herausforderungen und Chancen erworben, die mit der Anwendung des U-Prozesses verbunden sind. Dieser Lernprozess beginnt mit der Auseinandersetzung mit diesem Buch.

      Das vorliegende Buch ist auf verschiedenen Ebenen hilfreich. Das Erste, was es verdeutlicht: Jeder soziale Kontext – von Teams über Organisationen hin zu sozialen Systemen – ist größer als das, was sich auf den ersten Blick zeigt. Viele von uns kennen die Energie eines Teams, das sich total mit seiner Arbeit verbindet, wenn Vertrauen, Offenheit und ein Gefühl des Möglichen die Zusammenarbeit bestimmen. Wir kennen auch sämtlich das Gegenteil, wenn Angst und Misstrauen dominieren und wenn jeder Kommentar mit einem polemischen Unterton durchtränkt ist. Otto Scharmer nennt solche Kontexte das »soziale Feld« und hat meiner Meinung nach einzigartige Erkenntnisse darüber, wie dieses soziale Feld entsteht und sich entwickelt, indem es von einem Zustand in einen anderen springt.

      Leider finden eine positive Entwicklung und Zustandsveränderung nur in einigen wenigen sozialen Feldern statt. Die meisten – Familien, Teams, Organisationen und Gesellschaften – bleiben zum größten Teil unverändert, da die zugrunde liegende Aufmerksamkeitsebene für uns unsichtbar bleibt. Wir nehmen die wenig sichtbaren Kräfte, die das, was passiert, bestimmen, nicht wahr, weil wir auch viel zu sehr reaktiv tätig sind. Wir nehmen Herausforderungen und Situationen in einem mentalen Modell wahr, das Otto Scharmer »Downloading« nennt, und in diesem Modell definieren wir die Probleme und unsere Reaktionen. Zum Beispiel hören wir, wenn wir zuhören, gewöhnlich nicht viel mehr als das, was wir immer schon gehört und gewusst haben. »Jetzt geht das schon wieder los!«, ruft unsere innere Stimme. Von diesem Punkt an hören wir nur selektiv das, was wir bereits kennen, wir interpretieren die Gegenwart basierend auf dem, was wir aus der Vergangenheit kennen, und ziehen Schlussfolgerungen so, wie wir sie immer schon gezogen haben. Solange diese Form des Zuhörens überwiegt, verlängert auch unser Handeln den Status quo, obwohl wir als Akteure ernsthaft die Absicht haben, eine Änderung zu initiieren. Veränderungsinitiativen, die auf dieser