Ich möchte mich auch bei Sabine Stallard und Katrin Käufer bedanken, die die deutsche Übersetzung dieses Buches angefertigt haben.
Mein Dank gilt auch Sherry Immediato, Nina Kruschwitz und Arthur Klebanoff, die die Veröffentlichung der Originalausgabe durch SoL8 und Berrett-Koehler geleitet haben.
Mein abschließender Dank gilt meiner Kollegin Janice Spadafore, die alle meine Projekte koordiniert und deren Organisationstalent der unsichtbare Faktor ist, der die Fertigstellung dieses Buches ermöglicht hat.
Vielen Dank an alle Genannten!
C. Otto Scharmer Cambridge, Massachusetts, März 2007 und Sils-Baselgia, August 2008
8The Society for Organizational Learning, Inc., Cambridge, USA.
Einleitung
Der Ruf und die Krise unserer Zeit • Der blinde Fleck • Eintreten in das Feld • Der archimedische Punkt • Das Umschmelzen und Umstülpen der Struktur unserer Aufmerksamkeit • Die U-Theorie: Führung von der entstehenden Zukunft her • Eine neue Wissenschaft • Unser gemeinsamer Feldgang: Der Denkweg dieses Buches
Wir leben in einer Zeit brodelnder Konflikte und massiven institutionellen Versagens. Einer Zeit des schmerzhaften Verfalls und des hoffnungsvollen Neubeginns. Es ist eine Zeit, die sich anfühlt, als würde sich etwas Grundsätzliches verlagern und sterben, während gleichzeitig etwas anderes geboren werden möchte. Keiner hat diese Doppelbewegung besser auf den Punkt gebracht als der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel (Übers.: C. O. S.):
»Ich denke, es gibt gute Gründe für die Annahme, dass das moderne Zeitalter zu Ende geht. Es gibt heutzutage viele Hinweise darauf, dass wir uns in einem Übergangsstadium befinden, wo etwas auf dem Weg hinaus ist und etwas anderes unter Schmerzen geboren wird. Es ist so, als ob etwas taumelt, schwankt, schwindet und sich selbst erschöpft – während etwas anderes, noch Unbestimmtes, langsam beginnt, sich aus den Trümmern zu erheben.«9
Der Ruf und die Krise unserer Zeit
Die Krise unserer Zeit ist nicht einfach die Krise einer einzelnen Führungskraft, eines Landes oder einer Weltregion. Die Krise manifestiert sich in allen Ländern in Form einer dreifachen Kluft: der ökologischen Kluft, also der Trennung zwischen Selbst und Natur; der sozialen Kluft, also der Trennung zwischen Selbst und anderen; und der spirituellen Kluft, also der Trennung zwischen Selbst und Selbst. Die Krise offenbart das Sterben einer alten zugrunde liegenden sozialen Struktur und einer bestimmten Art des Denkens, einer überkommenen Art der Institutionalisierung und des gemeinsamen Hervorbringens von sozialen Formen.
Wir alle kennen die grundlegenden Fakten und Zahlen, die diesen Punkt belegen:
•Die zehn wärmsten Jahre seit Beginn der Messungen, mit Ausnahme von 1998, liegen in diesem Jahrtausend (Horgan 2015). Die Jahre seit 2000 gehören fast sämtlich zu den wärmsten seit 1880. Das Jahr 2015 ist – zum Zeitpunkt dieser Niederschrift – das wahrscheinlich heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (Bromwich 2015). Obwohl überwältigende wissenschaftliche und empirische Nachweise dafür vorliegen, dass unsere ökonomischen Aktivitäten den Klimawandel beschleunigen, machen wir, als Mitglieder eines globalen Systems, bis dato weiter wie bisher, als ob sich praktisch nichts verändert hätte.
•Wir haben eine florierende globale Wirtschaft geschaffen, in der gleichzeitig immer noch 850 Millionen Menschen hungern und fast 1 Milliarde Menschen in Armut leben (mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag).10
•Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich wird in einer Oxfam-Studie belegt, die zeigt, dass die 62 reichsten Milliardäre genauso viel Vermögen besitzen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Wie die Studie außerdem berichtet, besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen (2016).11
•Im Jahr 2013 war selbstschädigendes Verhalten in allen Industrieländern zur häufigsten Todesursache bei Menschen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren geworden, noch vor allen Krebsarten und Herzerkrankungen.12
•Wir setzen beträchtliche Ressourcen für unsere Landwirtschaft und unsere Nahrungssysteme ein für eine nicht nachhaltige Massenproduktion von qualitativ schlechtem Essen (Junkfood), das unseren Körper und unsere Umwelt vergiftet. Eine schlechte Ernährung trägt maßgeblich zu den Krankheiten und gesundheitlichen Problemen in unserer Gesellschaft bei.13
•Fast die Hälfte der Todesfälle (45 Prozent) bei Kindern unter 5 Jahren – 3,6 Millionen Kinder pro Jahr – hat vermeidbare Ursachen.14
•Seit 1900 sind ca. 75 Prozent der Kultur- und Nutzpflanzenvielfalt in der Landwirtschaft verloren gegangen.15
Quer durch alle Lebensbereiche produzieren wir gemeinsam Ergebnisse, die niemand will. Und dennoch sehen sich die zentralen Entscheidungsträger nicht in der Lage, den Verlauf der Dinge in eine sinnvollere Richtung zu lenken. Sie fühlen sich ebenso gefangen in dem, was zuweilen aussieht wie ein Wettrennen gegen die Wand, wie wir selbst. Das gleiche Problem betrifft das massive institutionelle Versagen: Wir haben noch nicht gelernt, wie wir unsere jahrhundertealten kollektiven Muster des Denkens, Sprechens und der Institutionalisierung so umschmelzen und umformen können, dass sie den neuen Realitäten entsprechen und angemessen sind.
Die sozialen Strukturen, die wir derzeit aufbrechen und einstürzen sehen – lokal, regional und global –, entstammen zwei Quellen: den vormodernen traditionellen und den modernen industriellen Strukturen oder Formen des Denkens und Funktionierens. Beide waren in der Vergangenheit angemessen und sinnvoll. Aber in unserer jetzigen Zeit lösen sich diese beiden Grundlagen auf und zerfallen.
Das Aufkommen fundamentalistischer Bewegungen sowohl in westlichen als auch nicht westlichen Ländern ist ein Symptom dafür, dass es eines tiefer liegenden Transformationsprozesses bedarf. Fundamentalisten sagen: »Seht her, der moderne westliche Materialismus funktioniert einfach nicht. Er beraubt uns unserer Würde, unserer Lebendigkeit und unserer Seele. Lasst uns zur alten Ordnung zurückkehren!«
Diese Reaktion ist insofern verständlich, als sie sich auf zwei Wesensmerkmale des heutigen sozialen Niedergangs bezieht, die der Friedensforscher Johan Galtung Anomie nennt, den Verlust von Normen und Werten, und Atomie, den Zusammenbruch sozialer Strukturen.16 Der hieraus resultierende Verlust an Kultur und Struktur führt zu Ausbrüchen von Gewalt, Hass, Terrorismus und Bürgerkrieg, in Kombination mit teilweise selbst produzierten Naturkatastrophen sowohl auf der Süd- als auch der Nordhalbkugel.
Wie können wir mit diesen Brüchen umgehen? Ich sehe, dass sich eine neue Form von Anwesendwerden und von Gegenwärtigkeit erhebt, die sich spontan durch kleine Gruppen und Netzwerke zu entwickeln beginnt. Es ist eine andere Qualität der Aufmerksamkeit und der Verbindung untereinander, eine neue Art des miteinander und mit dem, was entstehen will, Anwesend- und Präsentseins. Das nimmt vielerlei Formen an – wir sehen es an den Freiwilligen in Europa, die zusammenkommen, um den eintreffenden Flüchtlingsstrom zu unterstützen, oder an lokalen Basisbewegungen, die kulturübergreifend zusammenarbeiten, um zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen und des Pariser