werden ebenso dargestellt wie die Gründe für die Wiederentdeckung dieser einst hochgeschätzten Medizinalpflanze.
Die Kapitel zu Botanik und Chemie bilden den zurzeit gültigen Kenntnisstand zu diesen Themen ab. Die botanische korrekte Einordnung von Cannabis ist seit Jahrhunderten ein Thema und noch heute nicht abgeschlossen. Auch die Erforschung der chemischen Zusammensetzung der Hanfpflanze ist ein kontinuierlicher Prozess; noch immer werden neue Inhaltsstoffe entdeckt. Dabei spielen die hanfspezifischen Cannabinoide die wichtigste Rolle. Aber auch von anderen Inhaltsstoffen wie den Terpenen verspricht man sich therapeutisches Potenzial. Die beiden wichtigsten Cannabinoide, Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), werden kurz porträtiert.
Der Schwerpunkt in diesem Buch ist den medizinischen Anwendungen von Cannabis gewidmet. Als Einstieg werden das hochkomplexe Endocannabinoid-System (ECS) und die dazugehörenden Cannabinoid-(CB)-Rezeptoren vorgestellt. Darauf folgt ein Überblick über die Bedeutung von Cannabis in der heutigen Medizin. Die wichtigsten Anwendungsgebiete von Cannabis werden besprochen. Für Patienten und Fachpersonen wichtige Fragen zu Dosierungen, möglichen Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Abhängigkeitspotenzial usw. werden beschrieben.
Der Praxisteil des Buches basiert auf dem langjährigen Erfahrungsschatz der Autoren mit dem Einsatz von Cannabinoiden bei Patienten. Nebst den aktuell verfügbaren Cannabismedikamenten werden insbesondere cannabinoidhaltige Individualrezepturen aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich eingehend besprochen. Statistiken und grafische Darstellungen zur Verschreibungspraxis in der Schweiz geben einen Einblick, wie für mehrere tausend Patienten eine entsprechende Cannabisrezeptur verordnet wurde. Zur Veranschaulichung werden Fälle aus der Praxis von Patienten vorgestellt. Auch Cannabis verschreibende Ärzte kommen zu Wort und nehmen zu einzelnen Fallberichten Stellung.
Anders als die meisten anderen Medikamente hat Cannabis bis heute eine bewegte Rechtsgeschichte. In Kapitel 7 wird auf die aktuelle gültige Rechtslage eingegangen. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und Österreich unterstehen Hanfpräparate (mit wenigen Ausnahmen) dem Betäubungsmittelgesetz. Trotz international gültiger Grundlagen zeigen sich beträchtliche nationale Unterschiede. Schließlich werden die divergenten Ansätze zur Erstattungsfähigkeit von Cannabispräparaten erörtert.
Im Schlusskapitel kommen international bekannte und ausgewiesene Cannabisexperten sowie erfahrene Pioniere des Medizinalcannabis zu Wort und schildern die Fragen und Herausforderungen in der Cannabisforschung und der praktischen Arbeit mit Cannabinoiden.
Das Interesse für Cannabis und dessen Etablierung in der Medizin ist nichts anderes als die schon längst überfällige Wiederentdeckung eines altbekannten Arzneimittels, das sich erneut bewährt.
«Von vorherein war das Interesse, welches die ärztliche Welt dem Mittel [gemeint ist ein Cannabismedikament] entgegentrug, ein bedeutendes und die über dasselbe vorliegende Literatur ist ziemlich umfangreich.»
(E. MERCK, 1883)
Abb. 1: Die erste bekannte Abbildung von Cannabis.
Aus dem Codex vindobonensis (512 n.Chr.) des Dioskurides.
1. MEDIZINGESCHICHTE
Anfänge
Die Geschichte von Hanf ist noch nicht geschrieben. Ein Konglomerat aus Beweisen, Vermutungen und Interpretationen liefert ein Bild, das zurzeit für richtig gehalten wird, ein fragmentarisches Mosaik, bei dem Teile fehlen oder neue dazukommen. Der Nebel lichtet sich, doch verschwinden wird er nicht.
Es wird vermutet, dass Hanf eine der ältesten Kulturpflanzen überhaupt ist (RUSSO 2007: 1614-1648). Als relativ sicher gilt, dass die Heimat des Hanfes in Zentralasien zu suchen ist (SCHULTES, HOFMANN 1987: 93, 95). Die ältesten archäologischen Funde (Hanffasern, Schnüre) stammen aus China und zeugen davon, dass Hanffasern wohl bereits vor mehr als 8500 Jahren verwendet wurden: der Anbau von Hanf in China ist seit dem Neolithikum nahtlos belegt (RUSSO 2007: 1614-1648). In Europa wurden im deutschen Thüringen Hanfsamen gefunden, deren Alter man auf 7500 Jahre schätzt (RÄTSCH 1992: 27).
Cannabis in der Antike
Die Bedeutung von Cannabis bei den Griechen und den Römern ist unsicher. Der Gebrauch der Hanffaser wurde mehrfach belegt (HEHN 1887: 158: STEFANIS, BALLAS, MADIANOU 1975: 305). Gesicherte Hinweise, dass die Pflanze als Rauschmittel Verwendung fand, fehlen vollständig. Erste zögerliche Hinweise auf Hanf als Heilmittel stammen noch aus der Zeit vor Christi Geburt, fehlen aber beispielsweise im Corpus hippocraticum, also in der Schriftensammlung, die dem größten aller Ärzte, Hippokrates (460–370 v. Chr.), und seinen Schülern zugeschrieben wird (STEFANIS, BALLAS, MADIANOU 1975: 305).
In der vom griechischen Arzt Dioskurides (um 50 n. Chr.) verfassten Arzneimittellehre De materia medica libri quinque wird Hanf zum ersten Mal in einer abendländischen medizinischen Schrift erwähnt. Er schreibt:
«Gebauter Hanf. Der Hanf – einige nennen ihn Kannabion, andere Schoinostrophon, Asterion – ist eine Pflanze, welche im Leben sehr viel Verwendung findet zum Flechten der kräftigsten Stricke. Er hat denen der Esche ähnliche übelriechende Blätter, lange einfache Stengel und eine runde Frucht, welche, reichlich genossen, die Zeugung vernichtet. Grün zu Saft verarbeitet und eingeträufelt, ist sie ein gutes Mittel gegen Ohrenleiden» (DIOSKURIDES 1902: 359, DIOSKURIDES 1539: 210).
Neben Hippokrates gilt wohl Galen als der bedeutendste Arzt der Antike. Im 2. Jahrhundert nach Christus beschreibt er verschiedene medizinische Anwendungen von Cannabissamen. Interessant ist, dass Galen bereits die psychotrope Wirkung von Cannabis erwähnt. Er schreibt, dass Gästen zum Nachtisch kleine (Haschisch-)Kuchen angeboten wurden, welche die Lust am Trinken erhöhten, aber im Übermaß genossen auch betäubend wirken würden (LEWIN 1980: 150). Einige andere antike Autoren beschreiben verschiedene medizinische Wirkungen von Cannabis, allerdings werden oft die bekannten Indikationen übernommen. Obschon vereinzelt Hinweise auf die psychotrope Wirkung von Hanf zu finden sind, ist dessen Bedeutung als Rauschmittel marginal, im Gegensatz zu Opium.
Zusammengefasst: In der Antike wird Hanf als Faserlieferant sehr geschätzt. Die Samen werden, wenn auch eher selten, als Heilmittel verwendet. Das Cannabiskraut hingegen wird in der Medizin kaum verwendet, als Halluzinogen finden sich spärliche Hinweise.
Byzanz und Orient
Mit der Aufteilung des Römischen Weltreichs in West- und Ostrom im 4. Jahrhundert nach Christus und der Schließung der von Platon gegründeten Philosophenschule in Athen wurde das Ende der Antike definitiv eingeläutet.
Im oströmischen Reich konnte sich Byzanz (das spätere Konstantinopel und heutige Istanbul) als Zentrum behaupten: im Jahr 1453 wurde Konstantinopel von den Türken erobert und in Istanbul umbenannt. Damit ging die mehr als tausend Jahre währende Epoche des Byzantinischen Reichs zu Ende.
Der wohl bedeutendste byzantinische Arzt war Oribasius. Auch er erwähnt Hanf und empfiehlt die Samen gegen Blähungen, weist jedoch auch auf eine kopfschädigende Wirkung (Kopfschmerzen?) hin (ABEL 1980: 34). Grundsätzlich brachten Vertreter der byzantinischen Medizin wenig Neues: in Bezug auf Cannabis wurde vor allem auf das Wissen von Dioskurides und Galen zurückgegriffen.
In der arabischen Welt war die Bedeutung von Cannabis dagegen sehr groß. Anders als in der abendländischen Kultur wurde im Orient das Haschisch dem Opium vorgezogen («Haschisch» – ursprünglich war damit «dürres Kraut» gemeint – löste um 1000 n.Chr. Qanab, die arabische Bezeichnung für Cannabis, ab [STRINGARIS 1972: 1]; heute ist mit Haschisch das Drüsenharz der weiblichen Hanfpflanze