Manfred Fankhauser

Cannabis in der Medizin


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könne (v. KOBYLANSKI 1852: 30). Im Jahr 1856 publizierte der deutsche Arzt Georg Martius seine umfassende Doktorarbeit (Pharmakognostisch-chemische Studien über den Hanf), welche große Beachtung fand. Er schreibt einleitend:

      «Nachfolgende kleine Abhandlung ging zunächst aus dem Wunsche hervor, meinem Vater [einem bedeutenden Professor für Pharmakognosie und Pharmazie an der Universität Erlangen] eine Arbeit vorzulegen, deren Gegenstand den Bereich seiner Fachwissenschaft einschließt. Ich dachte hiebei an den Hanf, dessen Naturgeschichte noch manches Dunkle und Irrthümliche darbot, und der in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der ärztlichen Welt in immer steigenderem Grade auf sich zog. In der Ausführung meines Vorhabens wurde ich bestärkt durch reichliches Material, welches sich mir ganz unverhofft darbot: eine wertvolle Sendung frischen Haschisch’s von Herrn Hofapotheker Steele in Bukarest» (MARTIUS 1855).

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      Abb. 5: Titelblatt der Dissertation von Basilius Béron, 1852.

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      Abb. 6: Titelblatt der Dissertation von Georg Martius, 1856.

      In der allgemeinen Euphorie gab es auch kritische Stimmen, so vom Wiener Medizinprofessor Carl Damian Ritter von Schroff, der die Cannabispräparate nicht für unbedenklich hielt. In seinem Lehrbuch der Pharmakologie (1856) stellt er fest:

      «…dass der indische Hanf und alle aus ihm bereiteten Präparate in Bezug auf den Grad und die Art der Wirkung nach Verschiedenheit der Individualität sowohl im gesunden als im krankhaften Zustande die größte Mannigfaltigkeit darbieten, dass sie daher zu den unsicheren Mitteln gehören und den Arzt jedenfalls mit großer Vorsicht sich derselben bedienen soll» (V. SCHROFF 1858: 112).

      Seine Vorbehalte gegenüber Cannabis kamen daher, dass ein konkreter Vergiftungsfall mit dem Indisch-Hanf-Präparat «Birmingi» aufgetreten war. Von Schroff wies darauf hin, dass Cannabispräparate auf einen bestimmten Wirkstoffgehalt eingestellt und damit standardisiert werden müssten, um so derartige Überdosierungen vermeiden zu können.

      Praktisch gleichzeitig veröffentlichte der deutsche Naturforscher und Schriftsteller Ernst Freiherr von Bibra sein Standardwerk Die narkotischen Genussmittel und der Mensch, in dem er dem Haschisch eine 30-seitige Abhandlung widmete: Nebst den Erfahrungen anderer beschreibt er ausführlich seinen Selbstversuch mit Haschisch, das er von Georg Martius aus Erlangen (vgl. oben) erhalten hatte. Sein abschließendes Urteil:

      «Die neueren Versuche und Erfahrungen, welche man über die medicinische Wirkung der Hanfpflanze und ihrer Präparate gemacht hat, sind sehr zu ihrem Vortheile ausgefallen» (v. BIBRA 1855: 290).

      In den folgenden Jahren erschienen viele Arbeiten über die medizinische Verwendung von Cannabis indica. Von Europa aus fand das vielversprechende Heilmittel seinen Weg in die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie in Europa waren es auch in den USA zuerst Künstlerkreise, die dem Haschisch zu großer Popularität verhalfen.

      Bekannt wurde der Schriftsteller Bayard Taylor, der bereits in den 1850er Jahren Artikel über eigene Haschischexperimente veröffentlichte. Davon beeindruckt, wagte es der junge Literat Fitz Hugh Ludlow, selbst Haschisch zu versuchen, und veröffentlichte 1857, vorerst anonym, sein autobiographisches Werk The Hasheesh Eater (BELL 1857: 33–55).

      Angespornt von den Literaten wagte nun auch der in New Hampshire ansässige Arzt John Bell einen wissenschaftlichen Selbstversuch mit einer hohen Dosis «Tilden’s»-Cannabisextrakt. Obschon sich Bell einen veritablen Cannabisrausch einfing, war er beeindruckt von der Kraft dieses Mittels und überzeugt, dass dieses, richtig dosiert, therapeutisch wertvoll sei (BELL 1857). «Tilden’s Extract» war damals in den USA das populärste Cannabismedikament: so erstaunt es nicht, dass Ludlow in seinem Selbstversuch dieses Mittel verwendete, obschon es anscheinend noch potentere Präparate gab, zum Beispiel «Herring’s Alcohol Extract» (MC MEENS 1860: 123).

      Im Jahr 1860 verfasste das Medizinische Komitee des Staates Ohio einen detaillierten Bericht über die Verwendung von Cannabispräparaten in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dieser zeigte, dass Indischer Hanf auch in Amerika rege genutzt wurde. Die Indikationen übernahm man aus Europa: daneben wurde Haschisch auch bei Patienten mit Asthma und Bronchitis eingesetzt (MC MEENS 1860: 117–140).

       Der Aufschwung hält an

      Dass Amerika und die meisten europäischen Länder den Indischen Hanf in die offiziellen Arzneibücher (Pharmakopöen) aufgenommen hatten, verdeutlicht den Stellenwert, den man diesem Heilmittel mittlerweile einräumte.

      Bereits in den ersten amtlichen Arzneibüchern des 16. und 17. Jahrhunderts waren Hanfmonographien zu finden. Da man wie erwähnt bis Mitte des 19. Jahrhunderts praktisch nur die Samen und das daraus gewonnene Öl verwendete, wurden nur diese in die Pharmakopöe aufgenommen. Durch das Aufkommen anderer pharmazeutischer Hanfzubereitungen wie Tinkturen und Extrakte gelangten diese, zusammen mit dem indischen Hanfkraut selbst, nach und nach ins Arzneibuch, während die Monographien «Fructus Cannabis» und «Oleum Cannabis» immer mehr verdrängt wurden. In den Jahren 1870 bis 1930 war Indischer Hanf in fast allen europäischen Arzneibüchern vertreten, meist in Form von zwei bis drei Monographien. Mit dem Verschwinden der Cannabispräparate um die Mitte des 20. Jahrhunderts (siehe weiter unten) wurden auch die entsprechenden Pharmakopöe-Präparate allmählich gestrichen.

      Es waren weiterhin vor allem Franzosen, welche sich um die Erforschung von Cannabis verdient machten. In regelmäßigen Abständen verfassten Ärzte und Apotheker ihre Doktorarbeiten zum Thema Hanf. Aber auch in Deutschland wurde die Erforschung des Indischen Hanfs vorangetrieben. Eine umfangreiche, vielzitierte Arbeit aus dieser Zeit ist die des Arztes Bernhard Fronmüller aus Fürth. Dieser hatte sich schon seit längerer Zeit mit den Eigenschaften der Hanfpflanze beschäftigt. Die Cannabisversuche für seine Publikation Klinische Studien über die schlafmachende Wirkung der narkotischen Arzneimittel führte er mit exakt 1000 Probanden (552 Männern und 448 Frauen) durch. Die Versuchspatienten litten, bedingt durch unterschiedliche Krankheiten, an schweren Schlafstörungen. All diesen Patienten verabreichte er verschiedene Haschischpräparate (zum Beispiel das Extractum Cannabis ind. spirit. der Firma Merck) in verschiedenen Applikationsformen (Pulver, Pillen, Mixturen, Kuchen, Räucherungen, selten sogar Klistiere). Bei 53 Prozent der Fälle trat der Schlaf vollkommen ein, bei 21,5 Prozent teilweise und bei 25,5 Prozent war nur ein geringer oder gar kein Erfolg zu verzeichnen. Die Schlussfolgerung seiner Arbeit lautete:

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      Abb. 7: Titelseite der Studie von Bernhard Fronmüller

      «Der indische Hanf ist unter den bekannten betäubenden Mitteln dasjenige, welches eine den natürlichen Schlaf am vollkommensten ersetzende Narkose erzeugt, ohne besondere Hemmung der Ausscheidungen [bezogen auf die verstopfende Wirkung des Opiums], ohne Hinterlassung schlimmer Nachwirkung, ohne folgende Paralysen [Lähmung, Erstarrung]» (FRONMÜLLER 1869: 69)

      In der Folge befassten sich namhafte Arzneimittelfachleute und Pharmakognosten (Pflanzenheilkundler) mit dem Indischen Hanf. In einigen dieser Untersuchungen wurde die Unzuverlässigkeit der Haschischpräparate bemängelt. Diese Problematik der Standardisierung sollte die Cannabispräparate bis zu deren Verschwinden begleiten. Im Großen und Ganzen waren sich die Experten jedoch einig: Der Indische Hanf ist eine Bereicherung des Arzneimittelschatzes. Einer der wenigen, die auf die mögliche Gefahr bei einem Langzeitkonsum hinwiesen, war der Pharmakologe Rudolf Kobert. Er schrieb: «Der habituelle Genuss aller wirksamen Hanfpräparate depraviert [verdirbt] den Menschen und führt ihn ins Irrenhaus» (KOBERT 1897: 465).

       1880 bis 1900: Der