sich der Gebrauch von Haschischpräparaten mittlerweile etabliert. Nach wie vor waren es Wissenschaftler aus England, Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten, welche die Cannabisforschung konsequent vorantrieben: die auf dem Markt erhältlichen konfektionierten Präparate (die sogenannten Spezialitäten) stammten überwiegend aus diesen Ländern.
Es ist insbesondere das Verdienst der Firma E. Merck in Darmstadt, dass Cannabispräparate in Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt verwendet wurden. Aber auch die Firma Burroughs, Wellcome & Co. in England stellte Cannabispräparate her. In den USA übernahmen die Firmen Squibb in New York, Parke-Davis & Co. in Detroit und später Eli Lilly & Co. in Indianapolis diese Aufgabe. Dank diesen (und einigen anderen) Unternehmen standen qualitativ hochwertige Rohstoffe und mehrere Fertigpräparate zur Verfügung.
Frankreich setzte seine fünfzigjährige Tradition fort: Weiterhin erhielten Ärzte und Apotheker ihre Doktorwürde aufgrund ihrer Arbeiten über Haschisch. Eine davon war die 1896 erschienene Dissertation Le chanvre indien des Arztes Hastings Burroughs, der seine Erkenntnisse wie folgt zusammenfasst: «In therapeutischen Dosen ist der indische Hanf ungefährlich und hätte es verdient, vermehrt benützt zu werden» (BURROUGHS 1896: 52).
In Deutschland schrieben zuerst die Doktoranden H.Zeitler (Über Cannabis indica, 1885) und M. Stark (Über die Anwendungsweise der neueren Cannabispräparate, 1887) ihre Promotionsarbeiten: im Jahr 1894 veröffentlichte der Apotheker Leib Lapin unter der Leitung der bekannten Pharmakologen Johann Georg Dragendorff und Rudolf Kobert (der dem Cannabis durchaus kritisch gegenüberstand) seine Dissertation Ein Beitrag zur Kenntnis der Cannabis indica. Im ersten Teil seiner Arbeit liefert er eine Übersicht über die dahin gebräuchlichen «Volks-, Fabrik- und officinellen Hanf-Präparate». Im zweiten Teil geht er auf die Pharmakologie des von ihm erstmals beschriebenen Cannabisderivats «Cannabindon» ein. Die Bemerkung im Vorwort seiner Untersuchung zeigt, mit welcher Unsicherheit man dem Indischen Hanf bezüglich Arzneimittelsicherheit nach wie vor begegnete:
«Wäre es so leicht die Haschischfrage zu lösen, so würde sie sicher schon einer der vielen früheren Untersucher gelöst haben: ich glaube, zur definitiven Lösung derselben einen Beitrag geliefert zu haben und dieser Glaube giebt mir den Muth, das Nachfolgende als Dissertation der Öffentlichkeit zu übergeben» (LAPIN 1894: 7).
Abb. 8: Handelsübliche Aufbewahrungsgefäße für Cannabispräparate um 1900.
Einen außerordentlich wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Cannabisforschung im 19. Jahrhundert lieferte der Indian Hemp Report von 1894. In dieser Erhebung, die England in seiner Kolonie Indien durchführte (insgesamt wurden 1193 Personen mündlich oder schriftlich eingehend zum Thema Cannabis befragt), ging es hauptsächlich darum, die Gewinnung von Drogen aus Cannabis, den Handel damit und dessen Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung zu untersuchen. Zudem sollte abgeklärt werden, ob ein Verbot dieser Präparate sich rechtfertigen ließe. Zu diesem Zweck wurde eine Expertenkommission gegründet, deren Bericht eindrücklich den Stellenwert des Genuss- und Heilmittels Cannabis in Indien gegen Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Die Kommission kommt darin zum Schluss:
«Aufgrund der Auswirkungen der Hanfdrogen scheint es der Kommission nicht erforderlich, den Anbau von Hanf, die Herstellung von Hanfdrogen und deren Vertrieb zu verbieten» (LEONHARDT 1970: 186).
Kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich der Indische Hanf einen wichtigen Platz in der Materia medica der westlichen Medizin erobert. Die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Cannabispräparate war bis dahin praktisch inexistent. Der Würzburger Professor A.J. Kunkel hielt in seinem Handbuch der Toxikologie 1899 fest:
«Der chronische Missbrauch von Cannabis-Präparaten – Cannabismus – soll in Asien und Afrika sehr verbreitet sein. Er ist in Europa nicht beobachtet. Von indischen Ärzten werden dagegen häufig Fälle dieser Erkrankung berichtet» (KUNKEL 1899: 839)
Abb. 9: Cannabishaltiges Hustenpulver für Kaiserin Sis(s)i.
Zusammengefasst: Die Mehrheit begrüßte den Einsatz von Cannabis als Medikament. Einige wenige hielten es für wertlos oder sogar gefährlich. In Bezug auf die unsichere – manchmal zu starke, manchmal zu schwache – Wirkung der Hanfpräparate war man sich hingegen einig. Dieses Problem wurde erst viel später durch das Standardisieren der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe (insbesondere von THC) gelöst.
Eine prominente Patientin, die ein cannabishaltiges Präparat erhielt, war die Kaiserin von Österreich, Elisabeth (berühmt als Sisi oder Sissi). Es ist bekannt, dass sie, vermutlich aufgrund der Belastung durch ihre Rolle, oft krank war und an verschiedensten Beschwerden litt, so auch unter starkem Husten. Die königliche Hofapotheke stellte eigens für sie – und später auch für ihre Tochter Marie Valerie – ein cannabishaltiges Hustenpulver her, das durch den bekannten Arzt Prof. Carl Braun verordnet wurde. Außergewöhnlich ist, dass Cannabis gegen Husten verschrieben wurde. Dies könnte damit zusammenhängen, dass eher die appetitstimulierende Wirkung des Hanfs gefragt war, denn die Kaiserin war für diese Zeit ausgesprochen schlank, und es wurde gemunkelt, dass sie unter Essstörungen leide: jedenfalls unterzog sich die Kaiserin in den letzten Lebensjahren immer wieder verschiedensten Diäten. Eine Hypothese lautet, dass ihr der Arzt, wie damals durchaus üblich, Cannabis, gegen Gonorrhoe (Tripper) verschrieb: allerdings war nie bekannt, dass auch ihr Ehemann unter dieser Geschlechtskrankheit litt. Das führte zu Spekulationen, da «Sissi« gerade in dieser Zeit Bekanntschaften zu anderen Männern pflegte (FELLNER, UNTERREINER 2208: 113-115).
Cannabis als Arzneimittel im 20. Jahrhundert
1900–1950
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen vermehrt chemisch orientierte Arbeiten über Cannabis. Man war bestrebt, das Geheimnis des «aktiven Prinzips» dieser Pflanze zu lüften. Weiter war die erwähnte Standardisierungsproblematik der Haschischpräparate Gegenstand vieler Publikationen. Ein ebenfalls nicht neues, aber immer wieder aufgenommenes Thema war die Untersuchung der Wirksamkeit von einheimischem Hanf. Überhaupt begann man nach dem ersten Weltkrieg Faserhanf wieder vermehrt zu untersuchen, weil Indischer Hanf in Europa praktisch nicht mehr erhältlich war.
Es hatte zwar immer Hinweise gegeben, die auf Vergiftungsfälle mit Haschisch aufmerksam machten. Die Gefahr von Abusus sah man jedoch nach wie vor als inexistent oder zumindest als gering an. In den ersten internationalen Vereinbarungen über die Betäubungsmittel, die kurz nach der Jahrhundertwende getroffen worden waren, war Cannabis noch kein Thema (vgl. Kapitel 7). Erst im Laufe der Zeit gab es vereinzelt Stimmen, die sich zur Frage eines eventuellen Missbrauchs äußerten. Noch 1937 hielt die American Medical Association fest:
«Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Missbrauch von Cannabis als medizinische Substanz häufig stattfindet oder dass sein medizinischer Gebrauch zu der Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit führen könnte. Cannabis wird gegenwärtig nur noch in geringem Ausmaß für medizinische Zwecke verwendet, es wäre aber von Wert, seinen Status als therapeutisch beizubehalten. Es besteht die Möglichkeit, dass durch eine Wiederaufnahme der Untersuchungen über die Wirkung von Cannabis möglicherweise andere Vorteile der Substanz entdeckt werden, als bei ihrem gegenwärtigen medizinischen Gebrauch zu sehen sind« (MIKURIYA 1982: 93).
Einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Abhängigkeit und Gefährlichkeit lieferte der US-amerikanische LaGuardia Report (Originaltitel: Mayor LaGuardias’s Comitee on Marihuana, New York: The Marihuana Problem in the City of New York. Sociological, medical, psychological and