Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman


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so, dann war das mit dem Urlaub nur eine Ausrede«, meinte Andrea. »Ist es Ihnen unangenehm, Herrn Gleisner im Krankenhaus aufzusuchen? Wenn es so ist, dann muss ich Ihr Versprechen einlösen. Evi ist nämlich traurig. Sie möchte zu ihrem Vati. Man darf ein kleines Kind nicht so enttäuschen.«

      »Das will ich ja nicht«, rechtfertigte sich Betti. »Es ist mir auch nicht unangenehm, zu Herrn Gleisner ins Krankenhaus zu gehen. Ich hatte wirklich Angst, dass es Ihnen nicht recht wäre, wenn ich Sie schon wieder um Urlaub bitten würde.«

      »Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?«

      »Helmut hat gemeint …«, begann Betti unsicher.

      »Herr Koster hat Ihnen also den Floh ins Ohr gesetzt!« Andrea lächelte hintergründig. »Er scheint an ihrer Reise nach München etwas auszusetzen zu haben.«

      »Ja. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist.«

      »Wirklich nicht?«

      »Er ist so sonderbar. Er wollte von der Operation nichts hören. Es war ihm egal, ob sie gelungen ist oder nicht«, beschuldigte Betti ihren Verlobten. »Er war geradezu entsetzt, als ich ihm von meinem Plan, nach München zu fahren, erzählte. Was soll ich jetzt machen?«

      »Das Versprechen, das Sie Evi gegeben haben, halten. Herr Koster wird das gewiss überleben.«

      *

      Später fragte Hans-Joachim seine Frau: »Sag einmal, bestärkst du Betti noch darin, ihren Verlobten zu verstimmen?«

      »Wieso?«

      »Du hast ihr Urlaub gegeben, damit sie nach München fahren kann, obwohl Herr Koster gegen diese Reise ist.«

      »Hätte ich ihn vorher um Erlaubnis bitten sollen? Wenn zwischen ihm und Betti Differenzen bestehen, geht mich das nichts an. Ich finde, Betti ist ein freier Mensch und kann machen, was sie will.«

      »Sicher. Nur – ein bisschen Rücksicht auf seine Gefühle sollte sie nehmen. Er ist verärgert.«

      »Dafür kann doch Betti nichts, und ich schon gar nicht.« Andrea sah nachdenklich zu Boden. »Ich fürchte, es wird Schwierigkeiten geben«, stellte sie betrübt fest.

      »Schwierigkeiten?«

      »Ja. Betti liebt Herrn Koster nämlich nicht – zumindest nicht richtig. Wahrscheinlich weiß sie das selbst noch nicht. Es ist mir auch eben erst aufgefallen.«

      »Das bildest du dir ein. Wie kannst du wissen, was in Betti vorgeht?«

      »Herr Koster scheint es zu fühlen und ist eifersüchtig. Wenn nur … Wenn wenigstens Betti … Das Dumme ist, dass ich ihn nicht kenne, und daher keine Ahnung habe, ob er …, ob Betti …«

      »Von wem sprichst du?«

      »Von niemandem«, erwiderte Andrea und fügte erklärend hinzu: »Aber es wäre die einzig befriedigende Lösung.«

      Hans-Joachim gab es auf, den komplizierten Gedankenvorgängen seiner Frau folgen zu wollen.

      *

      Trotz der Einwendungen Helmut Kosters trat Betti in Evis Begleitung die Fahrt nach München an.

      »Bleiben wir lange bei Vati?«, erkundigte sich Evi.

      »Nein, in einem Krankenhaus ist die Besuchszeit beschränkt. Ein oder zwei Stunden, denke ich.«

      »Oh, das ist aber kurz!« Evi war enttäuscht.

      »Dafür bleiben wir drei Tage in München, und jeden Tag werden wir zu deinem Vati gehen«, tröstete Betti das Kind.

      Evi nickte, aber ihr Gesichtchen hellte sich nicht auf. Irgendeine Sorge bedrückte sie.

      Bald rückte sie damit heraus: »Wenn wir nicht im Krankenhaus bleiben dürfen, was machen wir dann in der Nacht? Wo werden wir schlafen?«

      Betti musste lachen, worauf Evi gekränkt dreinsah. »Warum lachst du mich aus?«, fragte sie beleidigt.

      »Ich lache dich nicht aus. Du brauchst nicht besorgt zu sein. Wir müssen nicht unter der Brücke schlafen.«

      »Unter der Brücke schlafen? Was soll das heißen?«

      »Ach, das ist nur so eine Redensart. Wir nehmen uns ein Hotelzimmer, in dem wir während der drei Tage wohnen werden. Frau von Lehn hat mir ein Hotel empfohlen, das nett und sauber und nicht allzu teuer ist.«

      »Nicht allzu teuer?«, wiederholte Evi nachdenklich. »Muss man in einem Hotel etwas bezahlen?«

      »Ja, selbstverständlich.«

      »Und wenn wir unter der Brücke schlafen, kostet das auch etwas?«, forschte Evi weiter.

      »Nein, das kannst du umsonst haben.«

      »Dann wollen wir sparen und unter der Brücke …«

      »Sei still, Evi«, unterbrach Betti hastig das Kind, denn soeben betraten ein paar Leute das Eisenbahnabteil, in dem sie bisher mit Evi allein gewesen war.

      *

      In München suchte Betti trotz Evis Protestes das von Andrea von Lehn genannte Hotel auf.

      Die Stadt machte auf Evi großen Eindruck. »Hier gibt es auch so hohe Häuser wie in … Wie hat die Stadt geheißen, in der ich mit Mami gewohnt habe?«

      »Hannover. Das ist übrigens nicht so wichtig, aber ich finde, deinen eigenen Namen solltest du dir allmählich merken. Du heißt Eva Gleisner. Sag das nach.«

      »Eva Gleisner«, wiederholte Evi gehorsam, um gleich darauf Einspruch zu erheben. »Das stimmt nicht, ich heiße nicht Gleisner«, behauptete sie.

      »Aber natürlich heißt du Gleisner. Wie solltest du sonst heißen?«

      »Das weiß ich nicht. Mami hat mir den Namen gesagt, aber ich habe ihn vergessen. Sie wollte ihn wieder …, wieder annehmen, und ich würde dann auch so heißen.«

      Betti war starr. Als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, sagte sie: »Du meinst wahrscheinlich, dass deine Mutter nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder annehmen wollte.«

      »Ja, das hat Mami gesagt«, erwiderte Evi, erfreut über Bettis rasche Auffassungsgabe.

      »Dann hast du also die ganze Zeit über gewusst, dass dein Zuname Gleisner lautet, aber du hast es uns nicht gesagt«, warf Betti dem Kind entrüstet vor.

      »Er lautet nicht Gleisner«, widersprach Evi dickköpfig.

      »O doch. Deine Mutter ist nicht mehr dazu gekommen, ihren Namen zu ändern. Also merke dir jetzt: Du heißt Evi Gleisner.«

      »Ja.«

      »Gut. Und jetzt wollen wir zum Krankenhaus fahren.«

      Im Krankenhaus erkundigte sich Betti nach dem Zimmer Erich Gleisners, während sich Evi bang an ihre Hand klammerte.

      »Hier ist es so still«, flüsterte das Kind.

      Die langen Korridore waren wie ausgestorben. Die Besuchszeit war bereits vorüber, aber in Anbetracht der Tatsache, dass die beiden von Maibach kamen, erlaubte man ihnen, Erich Gleisner kurz zu sehen.

      Eine junge Krankenschwester führte sie zu ihm. Evi betrat auf Zehenspitzen das Zimmer, in dem er lag, und auch Betti kämpfte nur mit Mühe die ängstliche Spannung, die sie ergriffen hatte, nieder.

      »Ich bringe Ihnen einen lieben Besuch, Herr Gleisner«, kündigte die Schwester mit munterem Tonfall an.

      »Besuch? Das kann nur …« Erich Gleisner richtete sich ein wenig auf, während ihm die Krankenschwester ein Kissen unter die Schultern stopfte.

      »Sie sind also wirklich gekommen!«, rief er erfreut aus.

      »Ja, wir sind da!« Evi vergaß, dass sie eigentlich leise hatte sein wollen, und beglückte ihren Vater mit einer stürmischen Umarmung, sodass er aufstöhnte.

      »Sei vorsichtig, Evi«, warnte Betti.