F. John-Ferrer

Die Versprengten


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image Erzählt nach dem Bericht eines Teilnehmers. Die militärischen Geschehnisse entsprechen den Tatsachen. Die Namen sind erfunden; eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig und unbeabsichtigt.

      Worum geht es im Buch?

      F. John-Ferrer

       Die Versprengten Ostfront im Winter 1945

      Als im Januar 1945 die deutschen Truppen im Raum Warschau dem Druck der Roten Armee nicht mehr standhalten können und zurückweichen, verlieren die beiden Obergefreiten Röttger und Sailer den Anschluss an ihre Einheit. Durch das russisch besetzte Hinterland ziehen sie westwärts, um die deutsche Front einzuholen. Ihr Weg inmitten einer feindlichen Welt und eines sibirisch kalten Winters führt sie von Rawa über Litzmannstedt in Richtung Breslau. Das Schicksal der beiden zeigt symbolhaft den Wahnsinn dieses Krieges, aber auch, wie viel Kameradschaft in solchen Situationen bedeutet. F. John-Ferrer schrieb dieses Buch nach dem Bericht eines Soldaten.

      1

      1945.

      Über dem polnischen Land liegt die starre Melancholie eines sibirisch kalten Januartages. Die Luft steht still, die Kälte hängt wie eine unsichtbare Glocke über dem Raum. Wohl scheint die Sonne, doch sie ist ohne wärmende Kraft und wandert, einer abgegriffenen Silbermünze gleichend, im farblosen Dunst des Winterhimmels.

      Auf der schneeglatten Straße von Warschau nach Rawa summt ein planenüberspannter Wehrmachtsdiesel. Die Schneeketten klirren gegen die vereisten Kotflügel und wirbeln Schneestaub auf, der das ganze Hinterteil des Fahrzeuges überpudert hat. Im Fahrerhaus sitzen drei in dicke Wintermäntel eingepackte Soldaten. Der Fahrer schielt manchmal zur Seite, wo die Kameraden sitzen und schlafen. Der eine schnarcht mit offenem Mund. Der andere hat den Kopf auf die Schulter des Kameraden gelegt.

      Jetzt fährt der Lkw in eine Kurve und gerät leicht ins Rutschen.

      „Verdammter Mist!“, schimpft der Fahrer und weckt damit die beiden Mitfahrer auf.

      „Was’n los?“, fragte der eine.

      „Glatt ist’s! Miststraße, elende.“

      Jetzt ist auch der andere Soldaten wach geworden und gähnt; dann wischt er an der gefrorenen Türscheibe und murmelt:

      „Schätze, dass es mindestens dreißig Grad unter Null sind.“

      Sie schweigen wieder.

      Der Lkw summt eine Steigung hinan und rollt dann auf wieder ebener Strecke weiter.

      „Los, ’ne Zigarette brauch ich“, brummt der Fahrer.

      Der ganz rechts sitzende Mitfahrer wühlt in den Manteltaschen nach den Zigaretten, gibt dem Nebenmann eine und brennt sich zwei Stück an. Eine davon für den Fahrer.

      „Merci“, grunzt der und steckt sich die Zigarette in den Mund.

      Der enge Raum nebelt sich mit blauem Dunst ein.

      „Wo kommst du her?“, fragt der in der Mitte sitzende Soldat seinen rechten Nebenmann.

      „Nowe Miasto. Ich habe dort an einem Lehrgang der Armee-Pionierschule teilgenommen.“

      Der Fahrer, mit der Zigarette im Mundwinkel, grinst:

      „Wozu soll dat denn gut sein?“, fragt er.

      Das Gespräch kommt in Gang und verscheucht Fahrmüdigkeit und Langeweile.

      Willi Röttger heißt der Obergefreite, der mit Wäschebeutel, Karabiner und blaugefrorener Nase auf der Straße stand und dem aus Warschau kommenden Wagen zuwinkte, um ein Stück mitgenommen zu werden. Nach Rawa.

      Dort liegt das 662. SMG-Bataillon, dessen Offiziere zum größten Teil schon den Ersten Weltkrieg mitgemacht haben. Willi gehört zum Pionierzug der fünften Kompanie. Seit einigen Monaten baut man Bunker und Panzergräben, die das Städtchen Rawa in weitem Halbkreis nach Osten hin abschirmen und der sowjetischen Dampfwalze ein energisches Halt entgegensetzen sollen.

      Willi Röttger, 23 Jahre alt, von Beruf Schlosser, aus dem Sauerland stammend, gehört zu jener Sorte Soldaten, die sich auf fast allen Kriegsschauplätzen herumgetrieben haben und das Rückgrat der Armee bilden. Er gilt als stur und hat sich während seiner fünfjährigen Dienstzeit mit der sprichwörtlichen Ruhe seiner Heimat gewappnet, mit der er militärischen Schikanen und Unsinnigkeiten zu widerstehen vermag. Seine Meinung über den Krieg ist grundsätzlich negativ, aber er hütet sich, sie laut werden zu lassen.

      Der dreiwöchige Lehrgang auf der Armee-Pionierschule in Nowe Miasto hat ihn mit neuen Infanteriewaffen bekannt gemacht, wobei es passierte, dass er auch zwei Mal strafexerzieren musste, weil er einem Ausbilder „pampig“ gekommen war.

      Jetzt befindet sich Obergefreiter Röttger auf dem Weg zum Bataillon und freut sich auf das Wiedersehen mit Emmerich Sailer, dem alten Weg- und Streitgenossen.

      „Was macht ihr denn in Rawa?“, fragt er die beiden Lkw-Fahrer.

      „Marketenderwaren bringen wir euch“, sagt der Nebenmann.

      „Na prima!“, freut sich Willi. „Was gibt’s diesmal?“

      „Den gleichen Kram wie immer“, erwidert der Mitfahrer. „Haarwasser, Zahnpasta, Schreibste-ihr-Papier.“ Er feixt.

      „Für so was haben wir in Rawa keine Verwendung“, lacht Willi.

      Der Fahrer beugt sich vor und fragt grinsend:

      „Wieso nich? Gibt’s keene Weiber bei euch?“

      „Schon“, sagt Willi, „aber die pfeifen uns was, die sind stur.“

      Jetzt sind die drei Soldaten beim unerschöpflichen Thema angelangt. Willi hört nur halb zu; er denkt an Emmes, den Freund. Seit einem Jahr sind sie zusammen und unzertrennlich geworden. Mit ein bisschen Glück und Drängelei konnte man bisher beisammenbleiben.

      Ein Dorf taucht auf.

      Mit klirrenden Schneeketten fährt der Lkw hindurch, und dann kommen Wehrmachtsfahrzeuge entgegen, weichen vorsichtig aus und fahren in Richtung Warschau weiter. Auch ein paar Panjeschlitten zockeln neben der Straße her im Schnee. Die kleinen, zottigen Pferde atmen Dunstfahnen aus den Nüstern, und auf den Schlitten hocken dick vermummt Zivilisten.

      „Noch acht Kilometer bis Rawa“, sagt Willi. „Ich bin wirklich froh, dass ihr mich mitgenommen habt, Kumpels.“

      „Ist doch ’n klarer Fall“, sagt der Fahrer. Dann fragt er wie beiläufig: „Wird Rawa auch zur Verteidigung ausgebaut?“

      „Feste, mein Lieber“, sagt Willi. „Bevor ich zum Lehrgang abkommandiert worden bin, haben wir ’ne Menge Bunker gebaut.“

      „Wie überall“, bemerkt jetzt der Mitfahrer. „Sogar in Warschau wird gebuddelt.“

      „Wo du hinspuckst, Militär“, lässt sich der Fahrer vernehmen. „Manchmal sind sogar die Straßen verstopft. Es sieht wirklich aus, als käme bald ’s dicke Ende von dem Mist. Es heißt ja, der Iwan greife bald an … Na, dann gute Nacht, Marie. Haste noch ’n Stäbchen für mich, Kumpel?“

      Willi brennt dem Fahrer eine neue Zigarette an.

      „Bei Baranow steht der Iwan“, sagt Willi, als er die Zigarette hinüberreicht, „Pulawy und Magaszewa sollen schon wieder von den Unsern geräumt worden sein.“

      „Das stimmt“, nickt der Fahrer. „Vor vier Tagen sollten wir Verpflegung nach Pulawy fahren. Wir sind gar nicht bis dorthin gekommen. Der Iwan war schon da. Mann, was wir auf der Rückfahrt erlebten, vergess’ ich mein Lebtag nicht. Nur so gerannt sind die Unsern … eine Affenschande!“

      „Dabei hat man doch Jahre lang Bunker gebaut und alles befestigt“, sagt der Mitfahrer ärgerlich, „und trotzdem geht’s zurück, nirgendwo wird mehr gehalten. Es ist zum Kotzen. Wenn das so weitergeht, haben wir den Iwan bald vor unserer Haustür.“

      „Das kommt noch so weit“, murmelt der Fahrer und gibt mehr Gas, da die Straße