und hellblaue, gescheite Augen, die meist kritisch die Geschehnisse beobachten und betrachten.
Emmerich Sailer stammt aus der Gegend von Klagenfurt. Dort hat seine Mutter ein kleines Häuschen und lebt von einer Pension, die ihr der durch einen Werksunfall ums Leben gekommene Mann hinterlassen hat. Davon hat Frau Sailer ihren Sohn in Wien Chemie studieren lassen. Er ist mit dem Studium nicht fertig geworden, weil er 1943 zum Militär einberufen wurde, ist aber fest entschlossen, es nach Kriegsende fortzusetzen.
Emmes ist Willi, was Bildung anbelangt, turmhoch überlegen, aber das stört die guten Beziehungen zueinander nicht im Geringsten. Sie haben sich vor einem Jahr in Teisendorf bei Klagenfurt in einem Ersatz-Bataillon kennen gelernt und sind seither immer beisammengeblieben.
„Erst ’ne Zigarette“, sagt Emmes und hält Willi die zerdrückte Juno-Schachtel hin.
„Mensch, ich bin froh, dass ich wieder da bin“, brummt Willi, als er von Emmes Feuer gereicht bekommt. „Und was ist hier los?“
„Hörst es ja, Spezl“, lächelt Emmes. „Krieg hab’n ma schon die ganze Zeit.“
„Das hab ich auch schon bemerkt“, grinst Willi. „Ob beim Pionierzug noch alles beisammen ist, wollte ich wissen.“
„Noch allweil alles da“, sagt Emmes, und Willi lauscht entzückt dem steiermärkischen Dialekt, den er so lange entbehrt hat und der ihm jetzt ein Gefühl heimatlicher Geborgenheit verursacht.
„Der Sepp Lechner ist noch immer unser Zugführer“, setzt Emmes lächelnd fort, „und der Lehmann, der Müller … der ganze Haufen is noch beisammen. Mit dir san wir jetzt wieder komplett, Willi. Übrigens – der Lehmann hat mir gesagt, dass du deinen Wäschebeutel verloren hast, du Depp, du damischer! Wie kann man Schnaps und Zigaretten verlieren?“
„Das hat der Lehmann mich auch schon gefragt. Aber es ist nicht mehr zu ändern, Emmes.“
„Macht nix, Spezl. Die Wiedersehensfeier wird trotzdem abgehalten. Meine Mutter hat mir vor ein paar Tagen ein zünftiges Packerl g’schickt, und da war, unter anderm, auch ein Flascherl Sliwowitz drin.“
Willi drischt dem Freund auf die Schulter. „Mensch, da ist ja alles dran!“
Emmes wird ernst. „Bist grad in den Schlamassel reingekommen, gell?“
„Nicht ganz. Kurz vor Rawa haben wir bemerkt, was los ist. Ich bin mit einem Lkw gekommen. Zwei oder drei Kilometer vor Rawa haben wir den Bombenangriff miterlebt. Scheußlich, sag ich dir. In der Stadt schaut es schlimm aus … ich möchte jetzt nicht mehr dran denken, Emmes. Reden wir lieber von was anderm.“
„Unkraut vergeht nicht“, sagt Emmes, und dann gehen sie langsam davon, zwei unterschiedliche Gestalten, aber doch ein Herz und eine Seele.
Der Kanonendonner östlich Rawa nimmt an Stärke zu und scheint näher zu kommen.
2
Die Front ist in Bewegung geraten. Auf den Straßen und Nebenwegen fluten ununterbrochen deutsche Kampfgruppen zurück. Es heißt, der Russe sei nicht mehr aufzuhalten und rücke mit Panzern und motorisierten Schützenbrigaden heran.
Die Rauchwolke über Rawa ist abgezogen. Eine Nacht lang herrscht bedrückende Ruhe. Die polnische Bevölkerung, die unter der Kriegsfurie am meisten leidet, hat aus den Häusern noch gerettet, was zu retten war. Obdachlos gewordene Familien fliehen auf Panjeschlitten oder mit einem Handkarren zu Bekannten oder Freunden irgendwo westlich der gemarterten Stadt, andere ziehen es vor, daheim zu bleiben und den Russen zu erwarten.
Der zeigt sich seit dem Bombenangriff immer häufiger. Kaum dass die Rauchwolke über Rawa verschwunden ist, tauchen die gefürchteten IL 2-Schlachtflieger auf und jagen im Tiefflug heran, alles unter Beschuss nehmend, was sich im freien Feld, in der Stadt, auf den Straßen zeigt.
Der Kanonendonner rückt immer näher. Auf den Straßen herrschen wirre Zustände. Kopfloses Durcheinander, wohin man schaut. Es scheint, als ob es keine Führung mehr gäbe, und jeder tut das, was ihm das Richtige zu sein dünkt. Niemand ist da, der die zurückgehenden Infanterie- und sonstigen Kampfeinheiten aufhält und neu ordnet.
Mit den zurückflutenden Soldaten kommen auch Nachrichten.
„Da ist kein Halten mehr“, sagen sie. „Da gibt’s nur eins: zurück, sonst wirste in die Pfanne gehauen. Alles ist hin.“
Die sowjetischen Marschälle sind mit ihren Armeen in einem unaufhaltbaren Vormarsch. Sie haben die Offensive gut vorbereitet und mit einer nur sieben- bis achtstündigen Kanonade aller Kaliber den Feind aus seinen Stellungen vertrieben und zum unweigerlichen Rückzug gebracht.
Bunkerlinien, an denen Jahre lang gebaut wurde, werden im Handumdrehen genommen, Stellungen, die man für uneinnehmbar hielt, nach kurzem Trommelfeuer verlassen.
Millionen Zentner Baustoffe sind umsonst vertan worden und werden von den Sowjets bestaunt und freudig begrüßt. Der deutsche Widerstand scheint so gut wie endgültig gebrochen zu sein. Das Drama erfüllt sich. Stärkste Sowjetverbände, ausgerüstet mit den neuesten, von den USA gelieferten Waffen, ausgeruht und siegesgewiss, umschließen den Raum von Warschau und schlagen unbarmherzig jeden Widerstand nieder. Der Sowjetmarschall Schaposchnikow hat die große Zange gut durchdacht, mit der er die Deutschen fassen will.
Auf den Hügeln vor Rawa liegt das 662. SMG-Bataillon und erwartet die erste Feindberührung.
Pak ist in Stellung gegangen, frierend stehen die Soldaten in den knochenhart gefrorenen Gräben und beobachten das vor ihnen liegende Gelände.
Noch zeigt der Feind sich nicht, aber dass er näher und näher kommt, hört man aus dem Geschützlärm hinter den verschneiten Hügeln und Wäldern. Über die schmalen Wege keuchen Panjefahrzeuge, auf denen zurückgehende Infanteristen ihre Waffen und Munition gepackt haben. In Einzelgruppen tauchen die Fliehenden auf und verschmelzen auf den Straßen mit dem kunterbunten Wirrwarr einer auseinander fallenden Armee.
Der Pionierzug der 5. Kompanie liegt in zwei Bunkern auf dem Hügel.
Willi Röttger und Emmerich Sailer haben den Umtrunk mit den Kameraden abgehalten und harren der Ereignisse, die da kommen sollen.
„’s wird schon schief gehen, Willi“, seufzt Emmes, als er mit dem Freund auf dem Hügel steht und durch das Glas den Rauch am östlichen Horizont beobachtet.
„Das wird auch nirgendwo mehr halten“, brummt Willi. „Die ganze Bunkerbauerei ist Blödsinn gewesen.“
Emmes lässt das Glas sinken und schaut den Freund an.
„Irgendwie ist der Wurm drin, Willi. Schon lange. In der obersten Führung stimmt’s nimmer so wie früher. Wir schaun da noch net dahinter, aber wir werden’s bald wissen.“
„Du meinst also, dass der Krieg verloren ist?“
„Glaubst du noch an den Sieg, Willi? Sei ehrlich!“ Willi schüttelt den Kopf so heftig, dass der Stahlhelm hin und her rutscht.
„Wir müssen jetzt nur sehen“, sagt Emmes halblaut und wie zu sich selbst, „dass wir heil rauskommen. Mein Mutterl hat niemanden mehr als mich. Wenn ich ihr auch noch verloren geh, dann …“ Er bricht ab.
„Wir haben bisher immer Glück gehabt, Emmes“, sagt Willi leise, „wir werden es auch diesmal haben. Ich hab das so im Gefühl, weißt du.“
Der Steiermärker schaut den Freund lächelnd an. „Gefühle, Willi – im Krieg nützen dir die Gefühle nix … Aufs Glück kommt’s an, merk dir das.“
„Sag mir, Emmes, wozu das alles noch gut sein soll?“
„Willst es wirklich hören, Willi?“
„Na?“
„Ganz drunt liegen müssen wir erst am Boden, Willi“, sagt Emmes ruhig, wie es seine Art ist. „Das, was uns jetzt regiert, muss restlos ausgemerzt werden. Erst dann werden wir wieder hochkommen, erst dann wird Deutschland ein neues Gesicht bekommen.“
„Vielleicht