legte auf und wählte dann den Chief-Superintendenten an. Ihm ging es um die diversen Schläger, die seit Stunden im Brunnenschacht standen und mit Sicherheit längst kalte Füße bekommen hatten. Als er auflegte, glühte eine rote Signallampe auf der Schalttafel. Besuch meldete sich an, Besuch, der aus ganz bestimmten Gründen darauf verzichten wollte, sich vorn an der Haustür vorzustellen.
*
Es war ein einzelner Herr, der sich das Innere des Hauses ansehen wollte.
Auf dem Bildschirm des Monitors war er deutlich auszumachen. Parker sah einen schlanken, normal großen Mann, der gerade dabei war, über die Mauer zu steigen, die das Grundstück hinter dem altehrwürdigen Fachwerkhaus abschloß. Er hatte den Weg durch den kleinen, privaten Park genommen, der seinerseits von Mauern umschlossen war und tu einem regierungsnahen Institut gehörte. Die Mauer war für diesen Besucher kein Hindernis, ja, sie lud förmlich zum Nähertreten ein.
Dies hätte den Mann eigentlich stutzig machen müssen. Er hatte den Oberkörper über die Mauerkrone geschoben und blickte auf den schmalen Wirtschaftsweg zwischen der Rückseite des Hauses und der Mauer, mit Sicherheit auch auf den Keller-Niedergang, der zum Souterrain führte.
Parker saß entspannt in einem Ledersessel und hielt sein Fernbedienungsgerät in Händen.
Der nächtliche Besucher gab sich einen Schwung und schob die Beine auf die Mauerkrone. Er übersah dabei eindeutig den Besatz der Mauer. Möglicherweise spürte er ihn gar nicht. Es handelte sich um feine, in der Mauerkrone eingelassene Stahlborsten. Sie waren auf Wunsch unter Strom zu setzen.
Parker hatte sich diese Sicherung einfallen lassen und war durch elektrische Weidezäune dazu inspiriert worden. Er war in der Lage, die feinen Stahlborsten unter Strom zu setzen. Dann stand etwa eine Ladung von einem halben Ampere zur Verfügung. Gesundheitliche Schädigungen waren eigentlich ausgeschlossen, doch ein kurzer Stromstoß reichte völlig, um Ersteiger der Mauer nachhaltig zu schocken.
Was auch geschah...
Parker hatte mit seiner Fernbedienung den Strom aktiviert und nahm höflich zur Kenntnis, daß der nächtliche Besucher fast zehn Zentimeter senkrecht in die Luft stieg. Anschließend klatschte er in Schräglage zurück auf die Mauerkrone, rutschte haltlos ab und fiel nach unten auf den Wirtschaftsweg. Hier blieb er wie gelähmt liegen und brauchte nur noch aufgesammelt zu werden.
Der Butler begab sich ohne jede Hast in den kleinen Verbindungskorridor und öffnete die Tür zum Lichthof. Über die Außentreppe stieg Parker hinauf zum Wirtschaftsweg und kümmerte sich um den Besucher.
Der Mann blickte ihn aus vor Schreck geweiteten Augen an, war jedoch nicht in der Lage, auch nur einen Muskel zu bewegen. Hilflos mußte er die Durchsuchung seiner Taschen dulden. Parker förderte eine schallgedämpfte Automatik zutage und ein Wurfmesser, das sich in einem Lederfutteral am linken Unterarm befand.
»Sie werden sicher verstehen, daß meine Wenigkeit Ihnen kein herzliches Willkommen entbieten kann«, sagte Josuah Parker. »Auf der anderen Seite versteht man natürlich, daß Sie Ihr Kommen nicht schriftlich ankündigen wollten. Kann man davon ausgehen, daß der sogenannte Frauenjäger Sie engagierte?«
Der Besucher wollte antworten, doch seine Muskeln waren noch deutlich verspannt. Sie ließen eine Artikulation nicht zu. Der Mann produzierte einige Töne, die darauf schließen ließen, daß seine Stimmbänder sich nicht ganz schlossen.
»Sie werden sich mit letzter Sicherheit bald wesentlich besser fühlen«, meinte Parker höflich und beruhigend zugleich. »Der Sturz von der Mauer hat Ihnen hoffentlich nichts ausgemacht.«
Der Mann gurgelte ein wenig, krächzte und belastete erneut seine Stimmbänder.
»Nehmen Sie sich Zeit«, schlug Parker vor. »Die Nacht ist noch lang.«
Parker legte dem Mann sicherheitshalber Handschellen an und wartete, bis die Muskeln des Geschockten sich entspannten. Der Mann schluckte, bewegte probeweise die Finger, hustete und holte dann tief Luft.
»Verdammt, was war das?« fragte er schließlich mit heiserer Stimme.
»Dazu später mehr«, meinte der Butler. »Könnten Sie meiner Wenigkeit anvertrauen, auf wessen Wunsch Sie sich in akute Gefahr begaben?«
»Was haben Sie gesagt?« Der Mann hustete sich die Kehle frei.
»Man könnte auch sehr direkt danach fragen, in wessen Auftrag Sie ins Haus eindringen wollten.«
»Das Dreckschwein, dieses Miststück«, beschwerte sich der heimliche Besucher mit wesentlich freierer Stimme. »Der hat mir kein Wort davon gesagt, daß das hier ’ne einzige Falle ist.«
»Sprechen Sie jetzt möglicherweise von Mister Andrew Hogan?«
»Von Marty Clapstone«, lautete die Antwort.
*
»Wer ist denn das schon wieder?« entrüstete sich Lady Agatha eine Viertelstunde später. Sie befand sich in leicht gereizter Stimmung, denn der Butler hatte ihre Meditation unterbrochen. Mit anderen Worten, sie konnte sich den Video-Kriminalfilm nicht zu Ende ansehen.
»Mister Clapstone ist ein durchaus bekannter Gangster, Mylady, der in Soho eine Spielhalle betreibt.«
»Das hört sich nicht schlecht an«, sagte sie erfreut. »Als ich das letztemal eine solche Spielhalle besuchte, machte ich einen recht hübschen Gewinn.«
»Mister Clapstone hält sich zur Zeit in einem Sport-Zentrum auf, um dort seine Muskeln zu stählen, Mylady.«
»Dabei werde ich diesem Subjekt behilflich sein, Mister Parker. Er war es also, der mir diesen Lümmel ins Haus schicken wollte?«
»Daran besteht kein Zweifel, Mylady.«
»Worauf warte ich dann eigentlich noch? Wo haben Sie diesen Eindringling untergebracht?«
»In einem Einzelzimmer des internen Gästetraktes, Mylady. Er betrachtet sich als Gast des Hauses, bis man Mister Clapstone besucht hat.«
»Ich bin in wenigen Minuten unten, Mister Parker.« Sie nickte ihm wohlwollend zu und entließ ihn mit einem freudigen Lächeln. Auf sie wartete wieder mal eine Abwechslung. Das versetzte sie in durchaus gehobene Stimmung.
Die ältere Dame war in Hochform, als Parker später vor einer Tordurchfahrt hielt und diskret auf ein Querhaus deutete, das im Hinterhof ausschnittweise zu erkennen war. Eine Neonreklame versprach Fitneß, Sonnenbräune und Gesundheit.
Parker geleitete seine Herrin aus dem hochbeinigen Monstrum und führte sie durch die Tordurchfahrt in den Hinterhof. Hinter den Fenstern eines ehemaligen Betriebes, die mit weißen Gardinen gegen Einsicht gesichert waren, brannte viel Licht.
Parker läutete an der Eisentür und trat dann abwartend einen halben Schritt zurück.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Tür geöffnet wurde. Ein muskulöser Mann in weißen Hosen und weißem Unterhemd blickte mehr als erstaunt auf den Butler.
»Es ist ungemein dringend«, sagte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Ich bin der Butler Mister Clapstones.«
»Mann, ob ich den aber jetzt stören kann«, sorgte sich der Mann.
»Sie sollten es auf einen Versuch ankommen lassen«, schlug der Butler vor und ... legte dann den bleigefüllten Griff seines Universal-Regenschirmes auf die hohe Stirn des Mannes. Der verdrehte daraufhin in schier unglaublicher Art die Augen, seufzte und ließ sich anschließend auf die Knie nieder.
»Wird das auch reichen, Mister Parker?« fragte die ältere Dame, die von der anderen Türseite kam, wo sie sich aufgebaut hatte. Sie hatte ihren Pompadour längst in satte Schwingungen versetzt.
»Mylady dürfen versichert sein, daß dieser Mann vorerst nicht störend in Erscheinung treten wird«, beantwortete Parker die Frage und drückte die Tür weiter auf, damit Agatha Simpson ungehindert das Sport-Zentrum betreten konnte. Parker orientierte sich kurz und führte Mylady zielsicher zu einer Tür, deren oberes Drittel mit einem Glaseinsatz versehen war. Er blickte