Nadine Erdmann

Die Lichtstein-Saga 3: Fineas


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was Gutes.

      Noah musterte ihn noch immer. »Ich hoffe, du weißt wirklich, was du tust.«

      Ari lächelte und rempelte Noah kumpelhaft gegen den Oberarm. »Ich hab das im Griff. Aber es ist sehr süß, dass du dir Sorgen um mich machst.«

      Noah erwiderte das Lächeln schief und hoffte inständig, dass die Sorgen nicht nötig waren.

       Die Lichtstein-Saga 3: Fineas Kapiteltitelstein

      Die Sonne stieg immer höher und Liv ließ Burgedal immer weiter hinter sich zurück. Die warmen Strahlen brachten die feuchten Wiesen zum Dampfen und trockneten schnell die Pfützen auf den Wegen. Nach der Kälte in den Weißen Bergen genoss Liv die Wärme auf der Haut und den Geruch von Sommer, den die Wiesen und Felder um sie herum verströmten.

      Sie war allein. Ab und an kreuzte ein Pferdekarren ihren Weg und auf den Feldern und Beeten rechts und links gingen die Leute ihrer Arbeit nach. Hin und wieder grüßte man sich, meistens waren die Arbeiter aber zu weit entfernt und nahmen gar keine Notiz davon, was auf dem Weg geschah. Eine Zeit lang waren Liv zwei Männer gefolgt und sie hatte die beiden argwöhnisch aus den Augenwinkeln beobachtet, während sie am Wegesrand alibimäßig Kamille und Kornblumen gepflückt hatte, um ihrer Tarnung als Kräutersammlerin gerecht zu werden. Doch die Männer zeigten kein größeres Interesse an ihr und liefen anscheinend nur zufällig eine Weile lang dieselbe Strecke, bis sie schließlich in einen schmalen Feldweg Richtung Westen abbogen.

      Kurz nach Mittag erreichte Liv die dritte Hauptkreuzung und bog nach links in Richtung Osten. Die Sonne schien mittlerweile heiß vom Himmel und Liv sehnte sich nach einer Pause und ein bisschen Schatten. Da Burgedal am Fuß der Berge und das Ackerland im Talkessel lag, war es bisher bergab gegangen und Liv dachte mit wenig Freude an den Rückweg, wenn sie von der Reise erledigt sein würden und es zur Krönung dann bergauf ging.

      Links von ihr lag ein Feld mit Mais, rechts eins mit Sonnenblumen, die ihrem Namen alle Ehre machten und ihre Gesichter in Richtung Sonne ausgerichtet hatten wie ein riesiges Heer von Sonnenanbetern. Unwillkürlich musste Liv grinsen. Wer bei dem Anblick keine gute Laune bekam, war selbst schuld. Sie musterte die Blumen, während sie an ihnen vorbeilief.

      Ob man von der Pflanze mehr als nur die Kerne verwenden konnte? Die schmeckten lecker in Brot oder im Salat. Außerdem konnte man Öl daraus pressen und im Winter fanden sie sich in so gut wie jedem Vogelfutter, das Liv kannte. Aber was war mit dem Rest der Pflanze? Konnte man mit ihren Blütenblättern auch etwas anfangen? Oder mit den grünen Blättern am Stiel? Vielleicht sogar mit dem Stiel selbst? Oder mit der Wurzel?

      Liv stutzte und schmunzelte dann über sich selbst. War das diese Neugier, von der Mia gesprochen hatte? Wissen zu wollen, ob etwas für die Heilkunde nützlich war und wenn ja wie und wofür? Würde sie irgendwann mit ganz anderen Augen durch die Welt gehen und bei jeder zweiten Pflanze wissen, wozu sie gut war? Und würde sie sich dann über selten zu findende Exemplare genauso freuen, wie Mia sich über die Karnivore gefreut hatte, die Liv und Zoe auf dem Weg zu den Sylphen zufällig beim Holzsammeln entdeckt hatten?

      Vermutlich.

      Was irgendwie schräg war.

      Aber auch cool.

      Himmel, ihr neues Leben war so unfassbar anders als noch vor ein paar Wochen.

      Ein kleiner Trampelpfad zweigte vom Weg ab ins Sonnenblumenfeld und Liv beschloss, dass es Zeit für ihre Mittagspause war. Sie folgte dem Pfad ein kleines Stück und setzte sich dann in den Schatten der Blumen. Die wuchsen so hoch, dass die meisten sie um gut eine Kopflänge überragten.

      Was keine große Kunst ist – hätte Noah sie jetzt vermutlich gepiesackt.

      Liv genoss das fröhliche Kribbeln, das sie jedes Mal spürte, wenn sie an ihn dachte. Allerdings war sie definitiv keine große Romantikerin. Sie schwebte weder auf rosa Wolken noch hörte sie Engelschöre samt Geigenmusik, sobald sie ihn sah, und sie hatte auch nicht das Bedürfnis, ihrer beider Namen samt obligatorischem Herz in den nächstbesten Baum zu ritzen. Das alles war einfach nicht ihr Ding. Aber sie liebte seine Nähe, wie er sie an sich zog oder ihre Hand hielt. Das freche Funkeln in seinen leuchtend grünen Augen. Die Art, wie er sich die wuscheligen Haare aus dem Gesicht strich und sie ansah. Und wenn er sie küsste, stellte das Dinge mit ihr an, die sie so noch nie gefühlt hatte – und von denen sie hoffte, dass sie nie wieder verschwinden würden.

      Das war es doch, worauf es ankam, oder nicht?

      Wer brauchte da schon rosa Wölkchen und Geigengefiedel?

      Sie fand eine Stelle neben dem Trampelpfad, die halbwegs bequem aussah, breitete ihr Schultertuch als Picknickdecke aus und leerte als Erstes eine der Wasserflaschen, die Betty ihr mitgegeben hatte. Sie wollte sich gerade auch über Brot, Käse und Tomaten hermachen, als sie Schritte auf dem Hauptweg hörte. Seit einer gefühlten Ewigkeit war sie schon keiner Menschenseele mehr begegnet und sie spähte neugierig zwischen den Stängeln der Sonnenblumen hindurch.

      Sofort machte ihr Herz einen freudigen Sprung, als sie Zoe erkannte, obwohl die mit Kittelkleid und Kopftuch völlig ungewohnt aussah.

      »Zoe, ich bin hier!«

      Zoe fuhr heftig zusammen, fing sich aber schnell wieder. »Hey! Wie cool!« Sie bog auf den Trampelpfad und ließ sich grinsend neben Liv auf die improvisierte Picknickdecke fallen. »Hab doch gesagt, ich finde dich!«

      Liv hob eine Augenbraue. »Hab nicht eigentlich eher ich dich gefunden? Du wärst glatt an mir vorbeigelaufen.«

      Zoes Grinsen wurde noch ein bisschen breiter und sie klaute sich eine von Livs Tomaten. »Ach, wer nimmt das schon so genau?« Sie zwinkerte vergnügt, schob sich die kleine Kirschtomate in den Mund und streifte dann den Beutel ab, den sie wie einen Rucksack auf dem Rücken getragen hatte. Auch sie hatte Brot und Käse dabei, außerdem Wasser, Salami, hartgekochte Eier, etwas Obst und eine Schachtel mit Keksen. »Klara hat mir jede Menge leckere Sachen aus ihrem Laden eingepackt und ich wollte mir keine Pause gönnen, bis ich dich gefunden hab und sie mit dir teilen kann.«

      »Awww«, meinte Liv gerührt. »Das ist echt süß.«

      »Ja, so bin ich. Aber ich kann auch übel.« Wie zum Beweis klaute sie sich eine weitere von Livs Tomaten. »Hat bei dir alles wie geplant geklappt oder gab es Schwierigkeiten?«

      Liv schüttelte den Kopf. »Nope. War alles echt easy. Und bei dir?«

      »Auch.« Zoe gönnte sich einen tiefen Schluck von ihrem Wasser. Sie hatte in ähnlicher Herrgottsfrühe wie Liv Burgedal aus dem Westtor der Stadt verlassen und war in einem Bogen zur gleichen Kreuzung wie Liv gelaufen.

      »Hoffentlich lief es bei den Jungs genauso reibungslos.« Liv zog ihr Taschenmesser hervor und schnitt sich ein Stück von der Salami ab.

      »Bestimmt«, winkte Zoe gelassen ab und nahm dann Liv spitzbübisch ins Visier. »Apropos Jungs, wo wir ja jetzt so nett allein sind und endlich ein bisschen Zeit für uns haben: Ich warte auf heiße Details zu dir und Noah.«

      Liv lachte auf. »Ja, das war klar!«

      Die letzten Tage waren so vollgepackt mit Planungen und Besprechungen gewesen, dass sie nur selten Zeit für sich gehabt hatten – und wenn, dann hatte Liv ihre mit Noah verbracht.

      Zoe grinste unschuldig. »Na, dann lass mal hören.«

      Doch Liv hob bloß die Schultern. »So wahnsinnig viel zu erzählen gibt es da noch nicht. Du weißt, ich ticke da anders als du. Bei mir geht das mit dem Sex nicht so schnell. Außer Händchen halten, küssen und mächtig wohlfühlen in seiner Nähe ist da noch nichts gelaufen.« Sie verzog das Gesicht. »Und die Sache mit den Kondomen aus Tierdärmen hat mich ehrlich gesagt auch erst mal ziemlich abgetörnt, was den Sex angeht.«

      Als sie und Noah am ersten Morgen nach ihrer Rückkehr aus den Weißen Bergen Hand in Hand in der Küche erschienen waren, hatte ihre kleine Klosterfamilie