Un-su Kim

Heißes Blut


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es ihnen in Guam gelungen, dies zu verhindern. Was allerdings vor allem daran lag, dass es ein uninteressanter Stadtteil war, in dem es schlicht und einfach nichts zu holen gab …

      Den Krieg gegen Ami hatte der für seine Brutalität bekannte Cheon Dalho geführt. Er stand an der Spitze des Dalho-Clans, eines der mächtigsten Zweige der von Doyen Nam geführten Yeongdo-Organisation. Ami war von den meist ängstlichen, duckmäuserischen Männern aus Guam der Erste, der sich einer so großen Organisation entgegenstemmte. Als er Vater Son gebeten hatte, ihn in diesem Krieg gegen den Dalho-Clan zu unterstützen, hatte der nur den Kopf geschüttelt. Nicht einen seiner Männer hatte er Ami geschickt und ihm keinen Cent gegeben, sondern im Gegenteil angekündigt, dass er die Verbindung zu ihm kappen werde, sollte er diesen Krieg wirklich anfangen. Doch Ami hörte nicht auf ihn. Mit sieben Kumpanen, alle mit nichts als Spielzeug-Baseballschlägern bewaffnet, hatte er sich Yeongdo tapfer in den Weg gestellt. Einer von ihnen starb. Zwei andere waren seitdem Invaliden. Die übrigen fünf retteten sich vor den Dalho-Männern in die Provinz oder ins Ausland. Vom Dalho-Clan und der Polizei verfolgt, musste auch Ami fliehen und sich fast ein Jahr lang verstecken. Irgendwann schalteten sich Vater Son und Doyen Nam als Vermittler ein. Die Einzelheiten des Agreements, das eher einer einseitigen Kapitulation als einem Waffenstillstand gleichkam, wurden also von Vater Son, Doyen Nam und Cheon Dalho festgelegt; Ami war nicht beteiligt. So wurde beschlossen, dass er Dalho seine gesamten Geschäfte übergeben und ihm sämtliche Krankenhauskosten sowie eine Entschädigung zahlen müsse. Es war eine verdammt hohe Summe, die das Leben eines Menschen verändern konnte, und Vater Son hatte sie aus eigener Tasche beglichen. Mit dem Erfolg, dass sich die Leute von da an das Maul über seinen krankhaften Geiz zerrissen. Da er ja anscheinend genug Geld hatte, um Cheon Dalho zu entschädigen, hätte er Ami auch von Anfang an helfen und ihn anständig ausrüsten können. Wie dumm, so viel Geld zu verlieren nach allem, was schon passiert war … Doch Vater Sons Meinung war unerschütterlich geblieben, denn für ihn kam es nicht infrage, gegen eine so mächtige Organisation wie Yeongdo auch nur eine Sekunde lang Krieg zu führen.

      Als das Agreement mit Dalho beschlossene Sache war, brach Huisu auf, um Ami zurückzuholen. Er fand ihn irgendwo in weiter Ferne in den Bergen, auf einem Schweinehof versteckt, wo es sein Job war, dafür zu sorgen, dass sich die Schweine miteinander paarten. Er war ausgemergelt und verängstigt. Das Leben auf der Flucht, ohne Geld und ohne Bleibe, war sehr hart. Das wusste Huisu, er hatte es selbst schon drei Mal durchgemacht: ein endloser Kreislauf aus Einsamkeit, Sorge und Verzweiflung. Auf Huisus Rat hin ging Ami widerstandslos zur nächsten Polizeistation. Der Richter schickte ihn und seinen großen, starken Körper für vier Jahre hinter Gitter.

      MOJAWON

      Sie hatten Ami im Morgengrauen entlassen. Schon in der Nacht waren einige Hotelangestellte und eine Gruppe von Gangstern aus Guam in einem Van zum Gefängnis gefahren. Huisu konnte sich die Szene bestens vorstellen, ohne dabei gewesen zu sein, das laute Hupen und Johlen der Anhänger, die sicher etliche Flaschen gegen die Wand des Gefängnisgebäudes geschleudert hatten. Er selbst war seit Jahren nicht mehr zu einer Entlassung gegangen, nicht einmal zu der von Vater Son. Er hasste dieses Spektakel.

      In Busan wurden die Leute immer im Morgengrauen entlassen. Manche kamen sogar schon kurz nach Mitternacht raus. Sobald die Strafe verbüßt war, wollten sie nicht eine Stunde länger eingesperrt sein. Deshalb warteten die Gangster von Busan meistens schon die ganze Nacht vor dem Gefängnistor darauf, ihre Kumpel in Empfang zu nehmen. In der feuchten Luft der Dämmerung rauchten sie, um die Zeit totzuschlagen, eine Zigarette nach der anderen, mit müden Gesichtern und Alkoholfahne. Endlich kam mal wieder jemand aus dem Knast. Entsprechend seiner Position in der Clan-Hierarchie musste dessen Schicksal würdig gefeiert werden! Aber wie, wenn man pleite war und gerade im Begriff, ein lukratives Geschäft, eine Bar, einen Karaoke-Laden oder einen Massagesalon zu verlieren und seine Jungs sowieso kaum noch versorgen konnte? Jetzt also wieder einer mehr? Den Gürtel noch enger schnallen? Mann, warum wurde der Kerl eigentlich so schnell wieder entlassen? Sollte er doch im Knast vermodern! Alle waren genervt. Aber die Zeiger der Gefängnisuhr krochen unaufhaltsam voran, und irgendwann öffnete sich die Tür. Da stand er nun: einer, der tapfer seine Strafe verbüßt hatte. Schon jubelten die Gangster, umarmten ihn, zerschlugen Schnapsflaschen, hupten und demonstrierten ihre ganze Zuneigung. Natürlich war diese Freude, die niemanden einen Cent kostete, eine himmelschreiende, von den Älteren schlau inszenierte Komödie. Und die jungen, endlich wieder auf freien Fuß gesetzten Gangster ließen sich oft genug täuschen. Manche weinten vor Rührung. Und vergaßen darüber, warum sie eigentlich monatelang im Gefängnis gehockt hatten: einfach nur deshalb, weil sie den Kürzeren gezogen hatten. Huisu fand das alles grotesk. Denn gerade diejenigen, die sich zu Tränen rühren ließen oder stolz die Lobhudeleien über ihren Schneid oder ihre Brüderlichkeit in sich aufsogen, liefen Gefahr, beim nächsten Mal wieder den Kürzeren zu ziehen. Auch Huisu war in seiner Jugend, berauscht von dieser emotionalen Stimmung, vier Mal ins Gefängnis gegangen.

      Inzwischen hasste er diese lächerlichen Inszenierungen vor dem Gefängnistor, den ganzen Krawall, den Zigarettenrauch, die Alkoholfahnen. Er verabscheute das lauwarme Stück Tofu, das die frisch Entlassenen in einer schwarzen Plastiktüte überreicht bekamen. Das alles erinnerte ihn nur an seine vier Aufenthalte im Knast, die kräftezehrend gewesen waren. Als wollte das schlechte Karma gar nicht mehr von ihm lassen, hatte ein perverser Gefängnisaufseher ihn die ganze Zeit drangsaliert, und Huisu hatte sich lange geschworen, dass er ihn umbringen werde, sobald er draußen wäre. Wieder in Freiheit, hatte er jedes Mal, wenn er an seine Haft dachte, Kopfschmerzen bekommen. Deshalb hatte er auf Rache verzichtet, eine für seinen Peiniger unerhört glückliche Fügung.

      Für Ami allerdings hätte er sich fast doch wieder vor dieses beschissene Gefängnisportal gestellt. Dabei gab es – außer dem Bedürfnis, ihn wiederzusehen – eigentlich keinen Grund dafür. Aber Ami war ohne Vater aufgewachsen, und Huisu hatte seit seiner Geburt immer ein Auge auf ihn gehabt. Amis Mutter Insuk war wie er ein Kind aus Mojawon. Huisu war ihr gegenüber nie dieses schlechte Gewissen losgeworden, als hätte er nicht alles in seiner Macht Stehende getan, um sie vor ihrem traurigen Schicksal zu bewahren. Eine Schwäche, die Insuk durchaus für sich nutzte und ihn, wenn sie einen väterlichen Einfluss auf Ami brauchte, zu Hilfe rief. Bewirkten ihre Erpressungsversuche und verdeckten Drohungen nichts, machte sie ihm eine tränenreiche Szene. So kam es, dass er Ami regelmäßig am ersten Schultag nach den Ferien begleitete und auch an der Veranstaltung zum Schuljahresende teilnahm. Auch an dem Tag, an dem der Klassenlehrer der Mittelschule ein Gespräch mit Amis Vater verlangt hatte, war Huisu erschienen. Als Insuk ihn darum bat, hatte er sich zunächst heftig geweigert; alles, was auch nur im Entferntesten mit Schule zu tun hatte, war ihm ein Gräuel. Doch dann kam sie ins Hotel Mallijang und flehte ihn wimmernd und schluchzend so lange an, bis er sich bereit erklärte, Amis Lehrer zu treffen.

      Ami hatte sich geprügelt. Was nicht weiter verwunderlich war, denn er liebte Schlägereien. Dieses Mal waren allerdings sieben Kinder im Krankenhaus gelandet, darunter zwei mit gebrochenem Unterkiefer, was hohe Kosten nach sich ziehen würde. Dass Ami Schüler der neunten Klasse angegriffen hatte, die zwei Jahre älter waren als er, wurde als widernatürlich und somit als ernstes Problem betrachtet, weil es dem guten Ruf der Schule schadete. Zudem fiel mit den betroffenen Jungen das gesamte Judoteam aus, das der Schule Jahr für Jahr Pokale und Ehre brachte und nun an den nationalen Wettbewerben nicht in gewohnter Form teilnehmen konnte. Mitglieder des Tischtennisteams würden einspringen müssen. Allerdings gab es da ein noch viel größeres Problem, im Vergleich zu dem alle anderen lächerlich erschienen: Einer der sieben jungen Judokas war Enkel des Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Schule – nicht dass man Ami unterstellt hätte, wissentlich zugeschlagen zu haben, denn dem Enkel stand sein Name ja nicht auf die Stirn geschrieben. Trotzdem sprach alles gegen Ami, es schien unmöglich, dass er sich da wieder rauswinden würde. Insuk hatte eilends ein Bündel Geld aufgetrieben und es Huisu in die Hand gedrückt, ihm gesagt, dass sie zur Not noch mehr beschaffen könne, und ihn angefleht, dafür zu sorgen, dass Ami die Mittelschule nicht verlassen müsse. Was erzählst du das mir, hatte Huisu gesagt. Getrieben von der Sorge und Traurigkeit in ihren großen Augen, hatte er sich am Ende doch mit dem in Zeitungspapier gewickelten Geldbündel in Begleitung von Ami auf den Weg zu der verfluchten Schule gemacht.

      Der Lehrer, dünn wie