Un-su Kim

Heißes Blut


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überschwemmte die Aprilsonne die schmutzige Meeresoberfläche mit ihrem Licht. Einige Netze, die in der Nähe darauf warteten, ausgebessert zu werden, stanken nach Fisch, ein Geruch, der sich mit der schweren, diesigen Frühlingsluft vermischte. Am liebsten wäre Huisu in sein Hotelzimmer gegangen und hätte zwei Tage lang durchgeschlafen. Aber Yangdong hatte ihn zu sich gerufen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als hinzufahren. Er stieg in den Wagen. Danka ließ den Motor an und fuhr los.

      Yangdong wurde häufig der »ewige Stellvertreter« genannt, und das ärgerte ihn. Wenn bei einer Feier jemand in alkoholisiertem Zustand damit anfing, wurde kurz darauf garantiert ein Tisch umgeworfen. Doch in den Augen der Gangster von Guam würde Yangdong immer der ewige Stellvertreter bleiben. Vor seinem Einstieg ins Alkoholgeschäft vor zehn Jahren war er tatsächlich fünfundzwanzig Jahre lang Vater Sons rechte Hand gewesen. Erst als Chauffeur, dann als Sekretär und schließlich als Manager des Hotels Mallijang. Yangdong war breitschultrig wie ein Soldat und ein hellwacher, temperamentvoller Kerl. Als Huisu den Managerposten im Hotel übernahm, hatte Yangdong die Übergabe gemacht, und man konnte sagen, dass der Stil, in dem das ganze Hotel samt Restaurant, Bar und Karaoke-Bar geführt wurde, immer noch seine Handschrift trug.

      Yangdong und Vater Son hätten charakterlich nicht unterschiedlicher sein können, und man fragte sich in Guam, wie es überhaupt sein konnte, dass diese beiden Männer fünfundzwanzig Jahre lang Hand in Hand gearbeitet hatten. Vater Son arbeitete wenig, Yangdong zu viel. Vater Son war geizig, Yangdong großzügig. Und während sich Vater Son immer friedlich und beschwichtigend zeigte, trat Yangdong Konventionen gern mit Füßen, wobei er wohl oft zu weit ging. Vater Son stach erst nach reiflicher Überlegung mit dem Messer zu, Yangdong stach erst zu und machte sich dann vielleicht seine Gedanken. Und so zog der für seine Feigheit bekannte Vater Son Verhandlungen dem Krieg vor, während Yangdong Probleme gern mit dem Sashimimesser in der Hand regelte.

      Als Huisu mit achtzehn in diesem brutalen Milieu gelandet war, hatte ihm außer Yangdong niemand die Hand gereicht. Yangdong war der Einzige, der den einsamen, jungen Gangstern aus Mojawon Arbeit gab, und auch der Einzige, der die Gewinne gerecht mit ihnen teilte. Warum sich Yangdong um die Jungs aus Mojawon kümmerte, war eigentlich nicht zu verstehen, schließlich hatte er schon Mühe, seine eigenen Männer zu versorgen. Doch es war so. Er ließ die jungen Leute weder für einen Hungerlohn arbeiten, noch knöpfte er ihnen mit fadenscheinigen Verweisen auf irgendwelche »Gebühren« oder »Aufwandsentschädigungen« Geld ab, wie es unter den mittleren Kadern von Guam üblich war. Nicht aus Gerechtigkeitsliebe, sondern weil er es einfach mies fand, die Grünschnäbel aus Mojawon übers Ohr zu hauen. Ehrgefühl war in seinen Augen für einen Gangster das Wichtigste, und er wiederholte ständig, dass ein Gangster, der ihn hintergangen habe, kein Gangster mehr sei. Seine schrecklichen Wutanfälle und seine Direktheit führten dazu, dass sich viele in seiner Nähe nicht wohlfühlten, Huisu aber hatte ihn immer sehr gemocht. Er kam zwar wie ein ungehobelter Klotz daher, war aber nicht nachtragend und hatte ein gutes Herz. Ohne ihn hätte Huisu jetzt immer noch in irgendeiner Spielhalle in einer Ecke gehockt und Scheine gezählt.

      Als Huisu und Danka am Schnapsdepot eintrafen, waren Yangdongs Männer in ihren Tanktops gerade dabei, kistenweise Flaschen von einem Laster zu laden. Ein paar grüßten kurz, als sie Huisu und Danka sahen.

      »Hast du gesehen, wie lasch die uns gegrüßt haben? Tja, man merkt, dass wir hier nur irgendwer sind«, sagte Danka leise.

      Huisu gab nichts darauf. Yangdongs Leute und die Jungs aus Guam waren schließlich nicht in derselben Branche unterwegs und hatten geschäftlich nie miteinander zu tun. Diese Typen waren nicht verpflichtet, Huisu und Danka respektvoll zu grüßen. Mit ausholenden Schritten durchquerte er das Lager. An der hinteren Wand türmten sich bereits gefährlich hoch die soju- und Bierkisten, und an einer Seitenwand standen einige Kartons Wodka. Es war April, doch der Sommer schien schon ganz nah. Im Sommer fanden in Guam jedes Jahr unzählige Festbanketts statt, bei denen alle Arten von illegal eingeschleustem Alkohol flossen. Yangdong belieferte sämtliche Geschäftsleute von Guam – die Go-go-Bars, Cafés, Sashimi-Restaurants, Karaoke-Bars, soju-Kioske, Buden und billigen Strandkneipen. Erst vor Kurzem war es ihm unerklärlicherweise gelungen, große Wodkamengen zu importieren, die er in Guam, Wollong und sogar in der Gegend um das Zentrum für Meeresfrüchte absetzte, womit er seine Marktanteile vergrößern konnte. Dass er Guam mit Alkoholika belieferte, war dort für niemanden ein Problem, doch in den anderen Stadtteilen führten seine Geschäfte sehr wohl zu Konflikten. Schmarotzer konnte niemand leiden, und so hatte es schon einige Auseinandersetzungen gegeben, darunter auch ein paar wirklich ernst zu nehmende. Doch ihm schien das egal zu sein. Vor der Tür des Büros zögerte Danka.

      »Willst du nicht mit rein?«

      »Nein, ich … ähm, ich warte hier. Ich glaube, Yangdong will dir persönlich etwas sagen.«

      Huisu sah ihn forschend an. Wie immer, wenn Danka etwas vor ihm verbarg, runzelte er leise die Stirn und wich seinem Blick aus. Huisu witterte eine Absprache zwischen den beiden, aber worum ging es? »Gut, du wartest hier.«

      Danka nickte. Als Huisu das Büro betrat, stopfte Yangdong gerade seine Pfeife. Huisu verbeugte sich so tief vor ihm, dass seine Beine und sein Oberkörper einen rechten Winkel bildeten. Yangdong liebte Unterwürfigkeit. Er legte seine Pfeife aus der Hand, kam auf Huisu zugestürmt und umarmte ihn mit übertriebener Herzlichkeit.

      »Ah, da ist er ja, der liebe Huisu! Warum laufen wir uns eigentlich nie über den Weg? Ich hatte solche Lust, dich zu sehen!«

      Huisu löste sich vorsichtig aus der Umklammerung. Wenn Männer ihn umarmten, bekam er eine Gänsehaut.

      »Sie rauchen Pfeife?«

      Yangdong wirkte verlegen. »Damit habe ich angefangen, um mit dem Rauchen aufzuhören.«

      »Weil Pfeife besser ist als Zigaretten?«

      »Jedenfalls nicht schlechter, weil man den Rauch nicht inhaliert. Aber diese dumme Pfeife muss dauernd gereinigt werden, und sobald man einmal dran gezogen hat, geht sie wieder aus, also, ich glaube, das wird mir bald auf die Nerven gehen.«

      Yangdong setzte sich aufs Sofa und winkte Huisu zu sich. »Steh doch da nicht so rum, komm, setz dich.«

      »Als ich gerade durchs Lager gegangen bin, habe ich gesehen, wie groß Ihre Alkoholbestände schon sind. Die dürften ja wohl für den Sommer reichen.«

      »Bier und soju kannst du tonnenweise verkaufen, es rentiert sich trotzdem nicht. Nein, wenn du wirklich Geld verdienen willst, müssen es westliche Alkoholika sein.«

      »Ich habe gesehen, dass wir in unserem Lager am Hafen zwanzig Kisten Chivas Regal haben. Ist zwar nicht sehr viel, aber wenn Sie wollen, kann ich sie Ihnen schicken.«

      »Wer trinkt denn heute noch so was?!«

      Als hätte ihm jemand mit einer Chivas-Flasche eins über den Schädel gezogen, kochte Yangdong plötzlich vor Wut.

      »Ach, ja? Die Leute mögen Chivas nicht mehr?«, fragte Huisu.

      »Chivas verkauft sich so schlecht, dass ich wirklich überlege, aus unseren Vorräten Schlangenschnaps zu machen.«

      Huisu lächelte.

      »Wodka ist das, was im Moment läuft. Interessanter Preis, ehrlicher Geschmack, ähnelt unserem soju und macht keinen Kater. Und die Chinesen und Südostasiaten mögen ihn auch. Ballantine’s und Chivas sind out. Die Läden bestellen nur noch Wodka, und weil wir nicht genug vorrätig haben, geht alles drunter und drüber.«

      »Ist das so?« Huisus Überraschung war gespielt, sein Interesse gering.

      Yangdong zog an seiner Pfeife, sog den Rauch tief ein und atmete ihn langsam wieder aus. »Apropos, könntest du mir nicht mal ein bisschen Wodka besorgen, Huisu? Du scheinst doch Kontakte zu den Russen zu haben.«

      »Kontakte, na ja, wir grüßen uns mit einem kurzen Blick, wenn wir uns begegnen.«

      »Wenn Gangster sich grüßen, ganz egal wie, sind sie doch schon fast so was wie Brüder, oder?«

      »Wie viel brauchen Sie denn?«

      »Fünf