…«
»Ich hab gelernt. Die ganze Zeit. Ich bin halt nur zu dumm.«
»Du bist zu faul. Setz dich auf deinen Hosenboden und tu etwas. Deine Mutter und ich haben das doch auch geschafft.«
Ja, weil ihr auch verdammte Genies seid, wollte Marek sagen. Wie der verdammte Rest der Familie, außer mir. Aber er schwieg. Die Diskussion hatten sie schon zu oft gehabt. Jeden Sonntag, wenn sie gemeinsam essen gingen. Dass sie sich diesmal montags trafen, lag daran, dass er gestern hatte arbeiten müssen.
Früher waren sie zu fünft gewesen. Aber Mareks große Schwester studierte nun im Ausland und sein kleiner Bruder machte ein Praktikum in München, am Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Eigentlich vergaben die keine Schülerpraktika. Aber Patrik hatte sie überzeugt. Natürlich. Bei all den Preisen, die er schon in der Schulzeit abgesahnt hatte, und all den Klassen, die er übersprungen hatte …
Marek hatte oft befürchtet, dass Patrik ihn einholen würde. Dass sie plötzlich in der gleichen Klasse sitzen würden und alle ihn fragen würden, warum sein kleiner Bruder so viel klüger als er war. Und das, obwohl Marek selbst so ein moppeliger Streber war, der ständig lernte.
Nie hatte er irgendetwas richtig machen können. Nicht in der Schule, wo die coolen Kids aus der Raucherecke über ihn gelacht hatten, weil er ein Streber war und nicht zuhause, wo seine Eltern den Kopf geschüttelt hatten, weil er so dumm war.
»Ich gehe davon aus, dass du wenigstens die besten Noten im Semester hast«, sagte seine Mutter und schlug eine weitere Wunde in sein Selbstbewusstsein.
»Ja, schon.« Marek sah auf die leeren Austernschalen auf seinem verschmierten Teller.
»Aber?« Die Stimme seines Vaters war unerbittlich.
»Aber es gibt jemanden, der genauso gut ist.« Und der lernte nicht, davon war Marek überzeugt. Genau wie seine Geschwister, nein, noch viel übler. Die hatten ständig an irgendetwas gebastelt, hatten im Garten gelegen und Bücher gelesen. Während er in seinem Zimmer gehockt und gebüffelt hatte, irgendwie versucht hatte, den Inhalt des Physikbuchs in seinen dummen Schädel zu bekommen …
Ben war noch viel schlimmer. Eine Kombination all seiner Alpträume: der Rauchereckenleute und seiner Genie-Geschwister. Marek fühlte Übelkeit in sich aufsteigen und schluckte sie herunter.
Es gab immer jemanden, der besser war. Egal, wie sehr er sich abstrampelte. Er hatte sich so angestrengt, um klüger zu werden. Um stärker zu werden.
Seine Eltern waren dagegen gewesen, dass er mit Ju-Jutsu anfing. Er sollte lernen, statt sich zu kloppen. Und von Schlägen gegen den Kopf würde er bestimmt auch nicht schlauer werden, meinten sie. Aber nachdem seine Mitschüler diesen Kopf so lange in eine dreckige Kloschüssel gehalten hatten, bis er ohnmächtig geworden war, hatte er etwas unternehmen müssen. Alleine.
Seine Eltern hatten behauptet, das wäre nun einmal das Schicksal intelligenter Menschen. Dass sie alle eine harte Schulzeit gehabt hatten. Aneta war gequält worden und Patrik auch. Aber Marek wollte nicht mehr so leben, also war er zu dem Ju-Jutsu-Kurs gegangen. Den Flyer hatte er gesehen, als er auf dem Heimweg an einer Ampel gehalten hatte. Daran hatte er gehangen, ein verblasstes Stück Papier mit Fransen, das sein Leben verändert hatte.
Und es hatte ja geklappt. Immerhin etwas.
Jetzt war er breit, kräftig und konnte sich wehren. Jetzt hatte er Freunde. Das zählte nichts bei seinen Eltern, aber in der Uni. Immerhin. Manuela hatte ihm schon zweimal geschrieben, wie sehr sie sich auf die Semesterabschlussparty freute.
»Und wer ist es, der so gut abgeschnitten hat wie du?« Seine Mutter legte den Kopf schief.
»Er heißt Ben. Ben Ohlers.«
»Der Name kommt mir nicht bekannt vor.« Sie sah ihren Mann an. »Kennen wir seine Eltern?«
»Ich glaube nicht.«
»Das würde mich wundern«, sagte Marek. »Der kommt aus irgendeinem Kuhkaff im Rheinland.«
»Und dann hat er es bis hier geschafft?« Seine Mutter hob anerkennend eine Augenbraue. »Ohne Förderung? Ich meine, es ist nicht die beste Uni, aber immerhin. Wenn man bedenkt, dass er gleichauf mit dir ist, und du alle Möglichkeiten hattest …«
Marek seufzte leise.
7. Party!
»Oh yeah, that's so good …«
Der perfekte Arsch auf Bens Bildschirmen glänzte vor Schweiß. Der riesige, geäderte Schwanz, der in ihn eindrang, ebenfalls.
Ben atmete tief ein und aus. Er hatte immer ein wenig Angst, dass er die Tür nicht richtig abgeschlossen hatte. Dass Nora einfach so hereinplatzen würde, um ihn zu irgendeinem Mädchenkram zu überreden. Dass seine Mitbewohner, obwohl er Kopfhörer trug, etwas hören konnten. Dass sie ihn hören konnten, weil er wegen der Kopfhörer nicht merkte, dass er zu laut war, dass …
Das Kribbeln zwischen seinen Beinen wurde stärker und seine Gedanken stoppten. Etwas kippte in ihm und kurz darauf ergoss er sich in ein Papiertaschentuch. Mit klopfendem Herzen warf er es in den Mülleimer. Schaute auf den Bildschirm.
Die beiden glänzenden Typen vergnügten sich immer noch in dem geräumigen amerikanischen Wohnzimmer. Von wann war das Ding? Späte Neunziger, vermutete Ben. Wie die beiden wohl heute aussahen? Immer noch muskelbepackt und fast haarlos?
Er wischte sich Schweiß von der Stirn und zündete die nächste Kippe an. Das war schon der sechste Film heute. Langsam wurde es anstrengend. Langsam wurde er wund. Aber er konnte nicht aufhören. Wenigstens hier klappte es …
Sein Handy brummte. Die Chemie-Erstis-Gruppe. Nein, diesmal hatte Evi ihn sogar persönlich angeschrieben.
Du musst heute Abend mitkommen, las Ben.
Komisch, dass die seit den Klausuren alle so freundlich waren. Als ob gute Noten ihn irgendwie sympathischer machen würden.
Noch ein Brummen. Diesmal die Gruppe. Marek schrieb Bin dabei und Bens Herz setzte einen Schlag aus. Sofort schickten Leila und Manuela fröhliche Smileys. Die waren beide hinter Marek her, soviel hatte selbst Ben mitbekommen.
Nun wusste er, dass er auf gar keinen Fall hingehen würde. Er wollte Marek nicht vor Beginn des nächsten Semesters wiedersehen. Und dann am besten auch nicht. Das war so ein beschissen peinlicher Abend gewesen. Er war nicht mehr sicher, was er Marek genau erzählt hatte, aber er wusste, dass es irgendetwas von einem »Problem« gewesen war und … und dass er Marek vollgekotzt hatte. Super. Ach, und dass Marek aus irgendeinem Grund mit ihm geknutscht hatte.
Keine Ahnung, warum. Ob der heimlich schwul war? Na ja, aber das war nicht Bens Problem, oder? Und er konnte auf keinen Fall etwas mit Marek anfangen. Nicht, wenn er … Wenn Marek herausbekam, wie schlecht Ben im Bett war, würde er das Weite suchen. Genau wie die anderen Kerle.
Ben hatte so große Hoffnungen gehabt. Endlich Großstadt, ein neues Leben, echte Männer. Nicht nur die Pornos, die er, seit er vierzehn war, ständig schaute. Endlich das echte, wahre …
»Benniii?« Noras Stimme gellte durch die Tür. »Ich hab einen neuen Fi-hiiilm!«
»Bin nicht da«, rief Ben. Er hörte ihr schrilles Lachen.
»Du Scherzkeks. Wie sieht's aus? Ich, mein schwuler bester Freund und … Ein Rodeo-Clown zum Verlieben?«
Ben wollte gar nicht wissen, worum es da ging.
»Ja, sorry, ich geh gleich weg«, brüllte er. »Semesterabschlussparty«
Er wollte da nicht hin. Obwohl … Ob er mit Marek reden konnte? Klar, um den schwirrten immer irgendwelche Mädels rum, aber … Auf der Arbeit würden sie sich früher oder später auch begegnen, nur …
Er wusste nicht mal, was er genau mit Marek besprechen wollte. Entschuldigen würde er sich bestimmt nicht. Obwohl er das vielleicht sollte, immerhin hatte er ihn vollgereihert … Oder sollte Marek sich entschuldigen,