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Methoden der Theaterwissenschaft


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auf der Welt stattfinden kann. In unserem Verständnis sind diese anderen Formate der Aufführung nicht äußerlich. Sie sind nicht in erster Linie ökonomische Zweitverwertungen, sondern dem Material bereits eingeschriebene Formen, die sich in der Aufführung allein nicht umfassend materialisieren können. Der Ansatz, der uns zu einem erweiterten Verständnis von Aufführung führen soll, ist jener des Dispositivs. Die Aufführung ist die Materialisation eines ästhetischen Dispositivs.2

      Rückt man von der Vorstellung von Theater und seiner Aufführung in diesem Sinne als einem gegebenen Gegenstand ab und versteht es unter epistemologischen Prämissen als ein historisches und konzeptionelles Phänomen, das erst in seiner Vermessung konturiert oder gar produziert wird, so ergeben sich andere Fragen, die infolge womöglich im Zentrum einer zeitgenössischen Theaterwissenschaft stehen – nicht jene nach dem ontologischen Status der Aufführung oder der Kunst, sondern jene nach ihrer epistemischen und dispositivischen Verfasstheit: Was weiß die darstellende Kunst und ihre spezifische Ordnung, und mehr noch, was lässt uns ihre Rezeption wissen? Welche Elemente finden darin Eingang, welche Beziehung haben diese zueinander, zu den Beobachtenden, zu anderen Ordnungen? Welche Dynamiken sind innerhalb dieser Beziehungen am Werk, und in welcher Konstellation materialisieren sich diese Elemente und Beziehungen? Wer oder was regiert die Ordnung der Aufführung? Welche anderen Materialisationen gibt es darüber hinaus? Und vor allem: worauf antworten das je spezifische Dispositiv Theater respektive seine Materialisation in der Aufführung oder in anderweitigen Formaten?

      Zur Definition des Dispositivs

      Sein maßgebliches Fundament findet der Begriff des Dispositivs in der Epistemologie Michel Foucaults, der seine Schriften als latentes Konzept durchzieht und der für Foucault einen allgemeinen Fall der Episteme, also einer spezifischen Anordnung, darstellt.1 Der Begriff Dispositiv, der im Französischen recht gebräuchlich ist und mit Werkzeug, Gerät, Maßnahme, Vorrichtung, Apparat oder Modell übersetzt werden kann, steht hierbei für eine offene Ordnung, die je nach Zeiten und Räumen aus unterschiedlichen Elementen besteht, die wiederum je spezifisch konstelliert sind und gerade in ihrer Offen- und Unabgeschlossenheit die wesentliche Funktionsweise eines Dispositivs bestimmen. Anders als beispielsweise ein Mechanismus oder Apparat – Termini, mit denen der Begriff Dispositiv ebenfalls immer wieder übersetzt wird und die stärker auf technische oder kausal-logische Verknüpfungen abheben – versteht sich das Dispositiv als eine abstrahierte Ordnung, die nach bestimmten, jedoch nicht immer durchschaubaren Regeln funktioniert.

      In der zweiten Hälfte der 1970er verwendet Foucault in seinen Texten den Begriff Dispositiv immer häufiger, womit auch eine maßgebliche Erweiterung seiner Epistemologie einhergeht. Auch das Dispositiv wird von ihm als ein „entschieden heterogenes Ensemble“2 gefasst, das diskursive und nicht-diskursive Phänomene, „Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes“3 beinhaltet. Es ist weniger die Rejustierung des Modells auf Nichtdiskursives, Materielles und Tätigkeiten, mithin Praxen, die das Dispositiv vom Konzept der Ordnung unterscheidet. In der Neukonzeption verschiebt sich die Aufmerksamkeit von der Heterogenität und Inkommensurabilität der Elemente auf ihre Ausrichtung und Anordnung, auf ihre Konstellation und Dynamik. Der Begriff Dispositiv soll daher primär die Verbindung zwischen diesen Elementen deutlich machen und die Ordnung als eine dynamische und energetische Konstellation fassen, die sich zu einer bestimmten Zeit ausbildet, um ein Problem in anderen, gesellschaftlichen und kulturellen, Ordnungen zu lösen. Damit werden vor allem die Kräfteverhältnisse einer Ordnung und ihre Lenkung bedeutsam. Foucault beschreibt das Dispositiv als eine „Formation, deren Hauptfunktion zu einem historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand zu antworten.“4 Es reagiert mittels seiner Dynamik auf die Dysfunktionalität einer Anordnung, manipuliert Dinge und deren Verhältnis untereinander zu einem bestimmten Zweck. Dispositiven kommt somit ein intentionaler, strategischer Charakter zu. In ihnen tritt vornehmlich das hervor, was die Ordnung der Dinge regiert.

      Dispositive sind mithin Anordnungen, dis-positio, die Wissen und Subjekte produzieren. Sie folgen als Antwort auf einen Notstand einer Machtstrategie. Folgt man diesem Modell, so ist die Aufführung als eine mögliche Antwort in der Ordnung der darstellenden Kunst zu verstehen, genauso wie die Partitur, eine allfällige Verfilmung, ein Buch oder ein Hörstück andere Formen des Antwortens darstellen. Vor dem Hintergrund der Abstraktion und Verallgemeinerung darf allerdings nicht übersehen werden, dass der Begriff Dispositiv eine stark alltägliche Konnotation zeitigt, was nicht zuletzt darauf hinweist, dass sich jedes Dispositiv konkretisieren, oder materialisieren muss, wie Louis Althusser festhält: Aus jedem Dispositiv „ergibt sich völlig natürlich das (materielle) Verhalten“ seiner Elemente.5 Letztlich wird immer etwas Bestimmtes disponiert, muss sich ein Dispositiv immer materialisieren. Andernfalls bleiben seine Kräfte und Wirkungen leere Behauptung. Trotz seiner Abstraktion zeigt sich das Dispositiv folglich in einem begrenzten und konkreten Rahmen, in einer bestimmten Materialisation – als ein bestimmtes Dispositiv.6 Dispositive sind nicht bloß abstrakt relationale Gebilde. Sie schaffen materielle Realität. Gerade diese Notwendigkeit zur Materialisation legt es nahe, Kunst als ein spezifisches ästhetisches Dispositiv zu verstehen: Da Kunst, weder als Werk noch als Aufführung, Ereignis oder performativer Akt ontologisch zu fassen ist, beruht sie zwangsläufig auf der Materialisation einer ihr vorangehenden, konzipierten Ordnung.7 Versteht man nun Theater als ein derartiges ästhetisches Dispositiv, dann ist die Aufführung eine mögliche und zugleich notwendige Materialisation dieser Ordnung, genauso wie die Partitur, eine allfällige Verfilmung, ein Buch, oder ein Hörstück andere mögliche Materialisationen darstellen.

      Definition der Aufführung als Dispositiv

      Eine offensichtlich zunächst nur heuristisch zu verstehende Analogie zwischen Foucaults Dispositivbegriff und der Aufführung liegt in der dis-positio von heterogenen Elementen. Theater ist immer eine raum-zeitliche Anordnung von materiellen – Körpern, Stimmen, Objekten, Apparaturen, – und immateriellen Elementen und Verfahren, von Techniken wie Schauspiel-, Gesangs-, und Tanztechniken oder Arbeitsweisen, von immateriellen Diskursen und Medien, und institutionellen und organisatorischen Verfasstheiten, die das ins Spiel bringen, was sich zeigt und gleichzeitig nicht zeigen kann. Welche Konzeption oder Vorstellung von Theater materialisiert sich also in welchen Anordnungen? Diese Frage verweist darauf, dass der Aufführung eine gewisse Kontingenz innewohnt, die Überschreitung mithin als Maßgabe des Theaters figuriert, durch welche sich die Aufführung auf andere Medien hin öffnet, die nunmehr weitere Materialisationen von Theater sind.

      Die Aufführung ist mithin weder primär ein Text, eine Situation oder eine Erfahrung. Die Aufführung ist die Materialisation eines Dispositivs: des Dispositivs Theater oder gar des Dispositivs der darstellenden Kunst im weiteren Sinn. Nicht jedes theatrale Dispositiv kann sich zu jeder Zeit materialisieren. Denken Sie an das Theater Kleists, Craigs, Appias, Artauds, deren Vorstellungen von Theater derart kontingent sind, das sie ihre eigene Überschreitung in sich tragen und die Materialisation in den zeitgenössisch bekannten, institutionalisierten und tradierten Formen desavouierten. Und dennoch materialisiert sich auch die Kunst genannter Autoren – in anderen Formen, Formaten, Medien, mitunter zu anderen Zeiten. Derartige Werke und Ideen sprengen den tradierten Aufführungsbegriff und machen auf Sollbruchstellen aufmerksam.

      Das fachwissenschaftliche Novum, Theater unter epistemologischen Prämissen als Anordnung, als Dispositiv zu denken, besteht folglich darin, die Materialisation in einer Aufführung und die Herausbildung weiterer spezifischer Formate (wie beispielsweise bürgerliches Illusionstheater, Regietheater, Lecture Performance, Work-in-Progress, Artistic Research-Formate) weit differenzierter als bislang im Wechselspiel historischer, gesellschaftlicher, institutioneller und ästhetischer Bedingungen beschreiben zu können. Damit soll indes keiner Verallgemeinerung Vorschub geleistet werden. Wenn Ulrike Haß schreibt, „Theater ist per se ein summarischer, abstrakter Begriff, oder anders gesagt, ein Suchbegriff“,1 und damit die generelle Defintion von „Theater als Dispositiv“ ablehnt, ist dies durchaus anzuerkennen. Sofern wir aber von einer je spezifischen und materialen Ausprägung sprechen, ohne die dieses epistemologische Modell nicht zu konzipieren ist, wie beispielsweise dem Dispositiv Regietheater, wird ein derartiges Verständnis von Theater konstruktiv und erkenntnisbringend. Das Dispositiv Regietheater wäre demnach eine institutionelle Anordnung, also primär ein bestimmtes ästhetisches und sozio-ökonomisches