Julia Fritz

Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht


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Im Zweifel bedeutet eine schlechte Note am Ende der Klasse 10 bzw. 11 im Fach Französisch oder Spanisch also auch das Ende für das Erlernen dieser Fremdsprachen – unabhängig davon, ob das fachliche Interesse möglicherweise höher ist als an den alternativ zur Wahl stehenden Naturwissenschaften oder einer neuen Fremdsprache. Auch Überlegungen im Zuge der Diskussion um die Rückkehr von G8 zu G9, dass „in der gymnasialen Oberstufe ggf. nicht mehr zwei Fremdsprachen von den Schülerinnen und Schülern belegt werden müssen, sofern die Pflichtzeit bereits im Sekundarbereich I erfüllt worden ist“ (Bär 2017:91), schwächen die Position der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch und erschweren deren Weiterlernen zusätzlich.

      Obwohl die Regelung, zwei moderne Fremdsprachen bis zum Abitur zu belegen, längst sprachenpolitische Realität an deutschen Schulen sein könnte, besteht in vielen Bundesländern nach wie vor die Möglichkeit fort, auch ohne zweite Fremdsprache in der Oberstufe das Abitur abzulegen. Mit der Begründung, die Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe senken zu wollen, schaffte zuletzt das Bundesland Sachsen die verpflichtende zweite Fremdsprache ab (vgl. SMK 2018). Und wenngleich von offizieller Seite gerne die breite Öffentlichkeit oder der Eltern- bzw. Schülerwille für derlei Entscheidungen angeführt werden (vgl. Christ 1991:104; Meißner 1997:14), können die politischen Entscheidungsträger hier nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Dennoch darf die Suche nach einem Ausweg aus den rückläufigen Lernerzahlen nicht bei der Begründung durch ausschließlich externe Faktoren aufhören.

      Vor diesem Hintergrund scheint es umso wichtiger, neben den vorgegebenen Fächerkombinationen auch die unterrichtlichen Bedingungszusammenhänge als Ursache für das hohe Abwahlverhalten in den Blick zu nehmen. Auch wenn für das Fach Spanisch bislang keine empirischen Studien vorliegen, sei an dieser Stelle u.a. auf die Untersuchung von Bittner (2003) verwiesen: Im Rahmen der quantitativen Fragebogenstudie gaben die befragten OberstufenschülerInnen schlechte Zensuren, den Schwierigkeitsgrad des Faches sowie Kritik an der Unterrichtsgestaltung als häufigste Gründe für die Abwahl des Französischen an. Diese Faktoren können als unterrichtsimmanent eingeordnet werden und sind insofern veränderbar. Als Desiderat seiner Untersuchung leitet Bittner den Bedarf und die Notwendigkeit ab, durch Anschlussstudien „weitere Zusammenhänge zwischen der Unterrichtsgestaltung und dem Wahl- bzw. Abwahlverhalten“ (ebd.: 352) in den Blick zu nehmen. Nur so sind letztlich entsprechende Ansätze abzuleiten, die einer Fortführung der romanischen (zweiten) Fremdsprachen den Weg bereiten. Denn „[a]nders als Fächer aus dem Bereich der Obligatorik wie Mathematik oder Englisch müssen der Französisch- wie auch der Spanischunterricht in besonderer Weise immer wieder ihre Lerner gewinnen“ (Meißner 2011:62).

      Eng verbunden mit den Erklärungsversuchen für das Abwahlverhalten ist die Frage, was SchülerInnen über das Lernen der Fremdsprachen Französisch und Spanisch denken. So verfolgt das nachstehende Kapitel das Ziel, einen Überblick über vorliegende Studien zu geben, die die Perspektive der SchülerInnen auf (Fremdsprachen‑)Unterricht und Fremdsprachenlernen untersuchen.

      3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick

      Das Interesse an der Fragestellung, wie SchülerInnen fremde Sprachen lernen, ist keineswegs neu. Eingeleitet durch die kognitive Wende und eine zunehmende Lernerzentrierung in den 1980er Jahren (vgl. Bausch et al. 1982) richtet sich der Blick von nun an stärker auf das Individuum und die in ihm ablaufenden Prozesse beim (Sprachen‑)Lernen. Subjektorientierte Forschungsansätze werden intensiviert (vgl. u.a. House 1998; Vollmer 1998). Dennoch wissen wir verhältnismäßig wenig darüber, was SchülerInnen über ihren Fremdsprachenunterricht denken. Während in der allgemeinen Pädagogik in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Publikationen zum Thema „Schule und Unterricht aus Schülersicht“ entstanden1, bleibt das Potenzial entsprechender Fragestellungen in der Fremdsprachendidaktik noch weitgehend ungenutzt, sodass Trautmann (2014:78) pointiert: „Trotz vielfacher Berufung auf die Tradition der Lernerorientierung gibt es bisher nur wenige Untersuchungen zur Binnensicht von Lernenden.“

      Arbeiten, deren Erkenntnisinteresse sich auf die Erforschung der Schülersicht richtet, liegen – sowohl in der pädagogischen als auch fremdsprachendidaktischen Forschung – zum Teil sehr unterschiedliche Konzeptionen zugrunde. Je nach Fachdisziplin und Forschungstradition variiert dabei stark, auf welchen theoretischen Annahmen und empirischen Zugriffen die gewonnenen Erkenntnisse jeweils beruhen. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, stärker zu differenzieren, worauf Aussagen über die Schülersicht im Einzelnen beruhen, sowie transparent zu machen, zu welchem Zweck diese erhoben wird.

      Kaum eine Studie thematisiert, was im Einzelnen unter der „Sicht“ oder „Perspektive“ der Lernenden verstanden wird. Diese Termini werden – sicher nicht zuletzt aufgrund ihrer weiten Verbreitung im Alltag – als selbstverständlich angenommen und als bekannt vorausgesetzt, sodass die dahinterliegenden theoretischen Annahmen nicht hinterfragt werden und man vergeblich nach entsprechenden Definitionen oder Konzeptualisierungen sucht. Auch Walter und Walter machen diese begriffliche Vagheit zum Gegenstand der Diskussion, wenn sie fragen, was genau wir durch die Ergebnisse entsprechender Forschungsarbeiten über die Schülersicht eigentlich erfahren:

      Ist es Schülerwissen über Lehrpersonen und Unterricht, das auf Beobachtungen beruht? Sind es (affektiv bestimmte) Einstellungen oder Vorurteile? Sind die entsprechenden Aussagen der Schülerinnen und Schüler von nur teilweise bewussten Motiven gesteuert? Oder artikulieren sich in ihnen rational begründete Urteile oder sorgfältig abgewogene Intentionen? (Walter & Walter 2014:70)

      Eine wichtige Grundlage auf dem Weg zu einer begrifflichen Annäherung bietet Fromm, der unter der subjektiven Sicht von Lernenden „die Gesamtheit der Beziehungen, die Schüler zwischen ihren Erfahrungen (oder Wahrnehmungen) herstellen“ (1987:3) fasst. Durch den Terminus „Wahrnehmung“ wird vor allem der individuelle und subjektive Charakter hervorgehoben, der dem Begriff „Sicht“ – oder auch „Perspektive“ – inhärent ist. Demnach geht es weniger um die Frage, ob die Schüleräußerungen auf Beobachtungen beruhen, rational begründet sind oder ob es sich um (affektiv bestimmte) Einstellungen oder Vorurteile handelt (s.o.). Zentral für das Verständnis der Sichtweisen von SchülerInnen sind ihre Erfahrungen bzw. die Wahrnehmung aller in Bezug auf Schule und Unterricht für sie relevanten Merkmale.

      3.1 Zum Stellenwert der Schülersicht in der empirischen Forschung

      Die Erhebung der Schülerperspektive spielt vor allem dort eine zentrale Rolle, wo es um die Qualität, Qualitätsentwicklung und ‑sicherung von Schule und Unterricht geht (vgl. u.a. Dreesmann 1982; Fromm 1987; Petillon 1987; Czerwenka et al. 1990; Fichten 1993; Clausen 2002; Ditton 2002; Bocka 2003; Klieme & Rakoczy 2003; Grewe et al. 2007; Piskol 2008; Berger et al. 2013; Hüls & Schneider 2015). Sie gilt als wichtiger Indikator und Ansatzpunkt für die Verbesserung der Unterrichtsqualität, obwohl die empirische Erforschung der Wirksamkeit von Unterricht jahrzehntelang einzig über die Messung der objektiven Schülerleistung erfolgte. „Die Berücksichtigung von Schülerurteilen [war] nicht vorgesehen, weder bei der Behandlung der Frage, welches Ziele von pädagogischen Bemühungen sein können, noch bei der Reflexion über wünschenswerte Maßnahmen und Verhaltensweisen des Lehrers.“ (Hofer 1981:49) Bis heute sind die Aussagekraft und der Mehrwert der Lernersicht in der Forschungsdiskussion nicht unumstritten. Dabei wird deren Gültigkeit ebenso kritisch hinterfragt wie ihr Stellenwert gegenüber anderen, vermeintlich objektiveren, wissenschaftlichen Perspektiven.1 So wird Kindern und Jugendlichen u.a. die Fähigkeit abgesprochen, „sich geeignet zu Unterricht äußern zu können“ (Holl 2007:27). Sie, so die Kritik, würden über ein anderes, eigenes altersspezifisches Begriffssystem verfügen, das sich von dem Erwachsener deutlich unterscheide. Eine Verständigung über Unterricht sei „jedoch erst auf der Grundlage eines gemeinsamen Sprachgebrauchs möglich“ (Bocka 2003:46). Dementsprechend müsse sehr sorgfältig rekonstruiert werden, was genau einzelne Begrifflichkeiten für die SchülerInnen bedeuten. Die Validität der rekonstruierten Aussagen sei anschließend anhand vieler Beispiele und Gegenbeispiele zu überprüfen (vgl. ebd.).

      Ferner bestehen Zweifel an der Genauigkeit und Gültigkeit von Schüleraussagen, die vor allem durch Beobachtungsfehler und Phänomene wie soziale Erwünschtheit (vgl. Czerwenka et al. 1990:31f.) oder den ‚Dr. Fox’-Effekt begründet