Almut-Barbara Renger

Buddhismus. 100 Seiten


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Anfang nahm alles, so wird erzählt, vor etwa 2500 Jahren im nordostindischen Uruvela (heute Bodhgaya). Es geschah unter einer Pappelfeige, mit botanischem Namen Ficus religiosa: Siddhartha Gautama, der ›Prinz‹ aus dem Clan der Shakya, damals 35 Jahre alt, erlangte das große »Erwachen« (bodhi) und damit seine Befreiung aus dem leidhaften Dasein im »Kreislauf der Wiedergeburten« (saṃsāra). Er wurde zum Buddha, zum »Erwachten« – und war fortan im Besitz vollkommener Erkenntnis des Weltgesetzes oder Dharma (dharma; p. dhamma), in dessen Zentrum die Möglichkeit des Übergangs von Samsara zu Nirwana steht. Bald darauf hielt er in einem Gazellenhain in Sarnath bei Benares seine erste Lehrrede, mit der er »das Rad der Lehre« (dharmacakra; p. dhammacakka) in Gang setzte, und legte mit der Gründung des Sangha den Grundstein für die Geschichte des Buddhismus.

      Buddha-Statue aus der Kunstschule von Sarnath, Sandstein, 155 × 87 × 27 cm, Gupta-Zeit (ca. 500 n. Chr.). Sarnath Museum, Sarnath (Indien). Der Buddha setzt das »Rad der Lehre« in Gang. Darauf verweisen die beidhändige Geste (mudrā; p. muddā) und das Rad in zentraler Position unterhalb des Thronsitzes, das von den ersten fünf Schülern, einer Frau mit Kind und, als Hinweis auf den Ort, zwei Gazellen flankiert wird.

      Es ist dieses Stiftungs- und Gründungsnarrativ, das die Wurzel des Buddhismus bildet. Buddhistinnen und Buddhisten aus aller Welt – Mönche, Nonnen und Nicht-Ordensmitglieder des Sangha, für die auch der Begriff »Laien« üblich ist – beziehen sich darauf, wenn sie »Dreifache Zuflucht« (triśaraṇa; p. tisaraṇa) nehmen zu den »Drei Juwelen« (triratna; p. tiratana). Damit gemeint ist, Bekenntnis davon abzulegen, dass sie sich auf Buddha, Dharma und Sangha verlassen, um zu Befreiung aus dem leidhaften Dasein zu gelangen. Dieses Narrativ ist über zweieinhalbtausend Jahre auf viele verschiedene Weisen erzählt und mit religiösen Handlungen verbunden worden – in kulturell so unterschiedlichen Ländern und Teilen der Welt wie Indien und Thailand, Korea und Tibet, Südamerika und Südafrika.

      Der Sangha – Mönche, Nonnen und Nicht-Ordensmitglieder

      Laut Überlieferung erlangten in Sarnath die ersten fünf Hörer die vollkommene Erkenntnis, und der Buddha ›ordinierte sie als Mönche (bhikṣu; p. bhikkhu), womit der buddhistische »Orden« (saṃgha; p. saṅgha) gegründet war. In einem engeren Sinne bezeichnete der Begriff Sangha (›Versammlung, Gemeinschaft‹) zunächst nur die Mönche und später Nonnen (bhikṣuṇī; p. bhikkhunī). Im weiten Verständnis umfasst er auch die Laienanhänger (upāsaka) und Laienanhängerinnen (upāsikā), die Zuflucht zu den »Drei Juwelen« genommen und sich verpflichtet haben, ein ethisches Leben auf Basis der »Fünf Gebote« (pañcaśīla; p. pañcasīla) zu führen: nicht zu töten, nicht zu stehlen, sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden, nicht zu lügen und keine berauschenden Getränke zu sich zu nehmen. Novizen und Novizinnen befolgen zehn Regeln, Mönche je nach Tradition 227, 250 oder 253 Regeln, Nonnen 311, 348 oder 364 Regeln.

      Dabei haben sich seit jeher an Gautama (p. Gotama), der aufgrund seiner Herkunft auch als »der Weise der Shakyas« (Śākyamuni; p. Sakyamuni) bekannt ist, ungezählte Geschichten geheftet; und es entstanden Lebensgemeinschaften und »Schulen« (vāda) mit jeweils spezifischen Lehren und Kultpraktiken. An sie knüpfen sich wiederum verschiedene Buddha-Vorstellungen, Gautama ebenso wie andere Figuren betreffend. Nach buddhistischer Ansicht ist der Buddha keine singuläre Erscheinung, sondern es gibt viele Buddhas. Darunter sind Vorläufer von Shakyamuni, vorzeitliche, nicht historisch belegte Buddhas, von denen er als der historische Buddha, der letzte, der auf der Welt erschien, unterschieden wird, und solche, die ihm in Zukunft folgen, als nächster der Buddha Maitreya (p. Metteyya). Sie alle weisen den Weg aus dem Daseinskreislauf, der buddhistischem Verständnis nach deshalb leidhaft ist, da der unaufhörliche Wandel, den er beinhaltet, nicht als positiv, sondern als zutiefst unbefriedigend empfunden wird: Glück ist nie beständig, alle schönen Phasen im Leben vergehen, jeder Mensch wird alt, erkrankt und stirbt.

      Wer sich dem Buddhismus zugehörig fühlt, glaubt, dass ein Buddha den Menschen in der Überwindung dieser leidhaften Existenz Vorbild und Beispiel ist. ›Buddha‹ bedeutet ›erwacht‹ und ist, wie die Überlieferung zu Gautama veranschaulicht, sowohl eine Beschreibung als auch ein Ehrentitel. Er bezieht sich bei Gautama auf die Zeit nach dem, was mit bodhi (dem Verbalnomen zu buddha) bildhaft als ›Erwachen‹ bezeichnet wird, um zu vermitteln, dass ihm die Erkenntnis ›die Augen geöffnet hat. Buddhistischem Glauben nach ist Gautama in der Nacht unter dem Ficus, später Bodhibaum (›Baum des Erwachens‹) genannt, in drei Schritten die richtige Perspektive auf die Welt und ihre Wirklichkeit aufgegangen: Erst wurde er seiner eigenen früheren Leben gewahr. Dann durchschaute er alle Existenzen infolge des überall wirksamen Gesetzes der Tatvergeltung (Karma). Und schließlich erkannte er die Wurzeln des menschlichen Verhängnisses und verstand, wie man dem Leiden (duḥkha; p. dukkha), das im welthaften Dasein unausweichlich ist, letztlich doch – endgültig – entfliehen kann.

      Die Details dieser Erkenntnisse variieren in den Quellentexten. Mal werden sie als die vier »Edlen Wahrheiten« über das Leiden geschildert, die auch Gegenstand seiner ersten Lehrrede sind (siehe S. 37). Mal ist es das Wissen darüber, wie die unheilvollen »Einströmungen« (āśrava; p. āsava), die auf den Geist einwirken, ausgelöscht werden können. Mal wird die zwölfteilige Reihe des »Entstehens in Abhängigkeit« (siehe S. 77) angeführt. Entscheidend ist das Ergebnis: Gautama ist erlöst vom Unheilszusammenhang der drei »Geistesgifte« beziehungsweise unheilsamen »Wurzeln« (mūla) Gier, Hass und Unwissenheit, die als die hauptsächlichen »Befleckungen« (kleśa; p. kilesa) des Geistes gelten und das Rad der Wiedergeburt in Bewegung halten. Er ruht frei von jedwedem Begehren in der inneren Gewissheit, mit dem Tod endgültig zu vergehen. Eine neue Geburt wird nicht mehr stattfinden.

      In diesem Sinne steht der Buddha sowohl für die Einsicht in den Leidzusammenhang der Welt, seine Ursache und seine Auflösung als auch für den Weg, der aus dem Leiden herausführt. Das Vertrauen, das Buddhistinnen und Buddhisten in ihn setzen, speist sich daraus, dass sich sein Erkennen nicht nur auf intellektueller Ebene vollzog, sondern ihm zur Erfahrung wurde – und er hernach aus dieser Erfahrung lebte, was er lehrte. Lehrer und Lehre sind im Buddhismus eins. Gautama selbst formulierte diesen Grundsatz am Ende seines Lebens, als er erklärte, nach seinem Dahinscheiden seien seine Lehre und die Ordensregeln als Lehrer anzusehen.

      Diese Anweisung, die das Mahāparinibbāṇa Sutta des Pali-Kanon (DN 16,6,1) überliefert, ist für Buddhistinnen und Buddhisten höchst bedeutsam: Für sie lebt der Buddha in der Überlieferung weiter. Aus ihr geht klar hervor, was förderlich, ja was zu tun und was zu lassen ist, um zum grundlegenden Perspektivenwechsel eines Buddhas zu erwachen. Buddhistisches Streben gilt dem Ziel, diese klare Sicht zu erlangen und mit ihrer Hilfe jedwedes Geistesgift zu überwinden, Karma auszulöschen und die Wanderung durch die Existenzen zu beenden.

      In diesseitiger Ausrichtung beinhaltet diese Vision ein Leben in dem stillen, leuchtenden Gleichmut, den wir mit dem typischen, in sich gekehrten Gesichtsausdruck von Buddha-Darstellungen (die Augenlider halb geschlossen) verknüpfen: Während der unerlöste Mensch leidet, weil er mit Unliebem vereint ist, von Geliebtem getrennt wird und Begehrtes nicht erlangt, ist der verwirklichte »Erwachte« von alledem frei. Welchen Herausforderungen auch immer er begegnet: Er ruht in einem Zustand absoluten Friedens und absoluter Wunschlosigkeit, in dem Gier, Hass und Unwissenheit, die den Nährboden für alle unheilsamen Handlungen auf geistiger, verbaler und körperlicher Ebene bilden, überwunden sind.

      Buddhismus und Moderne

      Wenn auch Erlösungsbedürftigkeit in diesem Sinne der gemeinsame Nenner aller Traditionen ist, die sich seit dem Wirken des Buddha gebildet haben, sind doch ihre Unterschiede so groß, dass die Forschung angeregt hat, man solle von Buddhismen sprechen. In den 2500 Jahren, in denen buddhistische Vorstellungen und Glaubensinhalte in immer neue Gesellschaften und Kulturen fanden, hat sich die Überlieferung ständig verändert. Vieles davon ist wiederum selbst Tradition