Worte übermitteln. Dazu zählen nicht nur bildliche und plastische Darstellungen von Buddhas und Gottheiten, die vielen Gläubigen nicht etwa als Repräsentationen oder Abbilder gelten, sondern als die Gottheiten selbst. Es gehören auch einfache Gebrauchsgegenstände wie Gongs, Räucherstäbchen oder Reisschälchen als Opfergaben dazu, sowie Gesten und Bewegungen – etwa das Zusammenlegen der Hände, der Kniefall und die Niederwerfung vor Buddha-Statuen und Reliquienstätten sowie deren rituelle Umschreitung.
Dass in meiner Darstellung entsprechende Wahrnehmungen und Beobachtungen eine Rolle spielen, heißt nicht, dass ich meine, den Glauben derjenigen, die mir Einblicke in ihre Welten ermöglicht haben, intuitiv erfühlt oder gar das ›Wesen‹ des Buddhismus verstanden zu haben. Ebenso wenig erhebe ich Anspruch auf eine vollkommen neutrale und objektive Darbietung des gewonnenen Wissens. Menschliche Wahrnehmung ist immer standort- und perspektivengebunden; jede historische Rekonstruktion ist eine Konstruktion, die von der Sichtweise des Betrachters abhängt. So ist auch meine eigene Geschichte und Persönlichkeit Bestandteil meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Quellen und Informationen – seien es Texte oder andere Medien, seien es Beobachtungen im Feld, wie ich sie in den geschilderten Zusammenhängen in unstrukturierter Form vorgenommen und zu detaillierten Notizen ausgearbeitet habe.
Hiervon ausgehend, versuche ich auf diesen 100 Seiten nicht, dem Umstand, dass Subjektivität jedwede Forschung prägt, in einer quasi objektivierenden Sprache zu begegnen. Ich gebe ihm vielmehr absichtlich Raum – und dies sehr viel ausgiebiger, als es für ein Forschungspapier in einer wissenschaftlichen Zeitschrift denkbar wäre. Wenn die nachfolgende Darstellung in der Ich-Erzählperspektive unter Erzeugung atmosphärischer Vorstellungen aus Feldnotizen schöpft, erfolgt dies im Bewusstsein, dass es sich um einen selektiven Akt des Zur-Sprache-Bringens von Erfahrung handelt. Ich schreibe, wenn ich mich auf meine Notizen beziehe, als Beobachterin, Beteiligte an Situationen, die ich schildere, und interpretiere insbesondere Unterhaltungen und Stimmungen, wie ich sie in den dargestellten Situationen wahrgenommen habe. Die beschriebenen Szenen und in sie eingebauten Exkurse zu Entwicklungen und Inhalten des Buddhismus entstammen meiner persönlichen Wahrnehmung an den Orten, an denen ich mich befand. Indem ich Wortwechsel, Tonfall, Mimik, Gestik, Bewegungen und Positionen von Menschen im Raum, wie ich sie jeweils festgehalten habe, einfließen lasse, treten meine Innensicht, meine räumliche Perspektive auf das Geschehen, meine Beteiligung an dem Entstehen der Situationen und meine Deutung hervor. Die eigene Perspektivengebundenheit sowie das Empfinden in den Situationen werden so nicht verschleiert, sondern im Gegenteil verstärkt. Dabei sind, auch wenn es sich keinesfalls um eine systematische ethnographische Studie handelt, Personennamen pseudonymisiert (zum Beispiel Klara statt Almut) und auch weitere Namen (etwa von Organisationen) und Informationen zu Personen und Orten geändert oder vergröbert worden, um eine Identifikation der Personen zu verhindern.
Ich beginne mit einer Episode im Mandi Distrikt des indischen Bundesstaats Himachal Pradesh im Vorderen Himalaya. Dorthin kam ich im Spätsommer 2006 auf einer mehrwöchigen Reise, die mich von Mumbai über Neu-Delhi nach Shimla, in die Hauptstadt Himachal Pradeshs, und von dort auf Umwegen durch den Himalaya wieder zurück nach Neu-Delhi führte. In Shimla hielt ich mich einige Zeit am Indian Institute of Advanced Study auf. Dann reiste ich weiter über Dharamsala, den Residenzort des 14. Dalai Lama (geb. 1935) und Sitz der tibetischen Exilregierung, in Richtung Ladakh. Ich wollte mir einen Eindruck vom religiösen Leben des Gebirgszugs verschaffen, durch den die landschaftlich spektakuläre Route des Manali-Leh-Highways verläuft.
Blick auf Lake Rewalsar im Mandi Distrikt des indischen Bundesstaats Himachal Pradesh im Vorderen Himalaya; September 2006.
Länger blieb ich auf dieser Reise in Rewalsar, einem Wallfahrtsort für Buddhisten, Hindus und Sikhs in etwa 1360 Metern Höhe. Er liegt von Bergen umgeben an einem kleinen See, an dem sich, neben Stätten der dort ansässigen Glaubensgemeinschaften, einige Läden, Cafés und Unterkünfte für Reisende sowie Wohnhäuser indischer und tibetischer Familien befinden. Bald nach meiner Ankunft schloss ich mich der täglichen siebenfachen Kora (tib. skor ra, »Rundgang«) an, die Touristen und Pilger – teils in kleinen Gruppen und miteinander im Gespräch, teils allein und unter Niederwerfungen oder Murmeln von Mantras – um den See vollziehen. Der Weg führt vorbei an Hindu-Tempeln, einem Gurdwara der Sikhs und buddhistischen Klöstern sowie den Ghats, treppenförmigen Zugängen zum See, an denen viele Gläubige aus rituellen Gründen verweilen.
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