Bernd Neumann

Uwe Johnson


Скачать книгу

nie direkt benannt hatte, über die Feier seines Geburtstages berichtet: Das sei nun das erste Mal seit zwei Jahrzehnten, daß er diesen wieder gefeiert habe. Zu

      diesem Zweck flog ich in einem Luftkissenboot nach Boulogne-surmer, um dort in einer Nebenstrasse in einem etwas schmutzigen Zimmer zwei Lammkoteletts zu verzehren, mit ungemein reichlicher Knoblauch-Creme.

      Dreierlei Geschenke habe ihm dieser Tag eingebracht: das Glückwunschtelegramm der Hensans; ein mitgehörtes amüsantes Familien-Gespräch am Nebentisch; und »die wiederholte Genugtuung, dass Hitlers Invasionsboote scheiterten an einer Strecke, für die ein englisches 45 Minuten braucht«.

      Der Rostocker Familie konnte er weiterhin mitteilen, wofür sonst die eigene Familie den Adressaten abgibt: daß er, ebenfalls 1981, befürchtete, an Krebs erkrankt zu sein, was aber eine ärztliche Untersuchung entkräftete. Auch von notwendigen Reparaturen am Hausdach 1980 und der Entfernung einer sich ebenfalls als ungefährlich erweisenden Zyste aus seinem Arm im November 1979, vorgenommen im »Royal Marshden Hospital« in London, finden sich Mitteilungen an die Familie Hensan. Sogar Briefwechsel mit Manfred Bierwisch – etwa im Jahr 1978 – nahmen ihren Weg über die Hensans. Vor allem aber sandte er viele fingierte Dialoge aus seinem Stammpub »Napiers« an die »Eule«. Vom 21. November 1978 stammt folgende Szene voll dramatisierter Lakonik:

      Bitte, vergegenwärtigt Euch die folgenden Verhältnisse und Vorgänge: Szene, aussen: eingeregnete Strasse, im Winde wankendes Wirtshausschild. Mann, durchnässt, betritt das Gebäude. Szene innen: Wirtsstube, Wirt, Mann eintretend. Wirt: »Rather wet out there, I presume«. Gast: »Must have something to do with the weather, I think«. Zuschauer (Bricht in Tränen aus). So viel von der hiesigen Diskretion und vom vorhandenen Wetter.

      In dieser Umgebung, das Gasthaus als Ersatz familiären Zuhauses, spielten dann auch die zahlreichen Dialoge zwischen Charles I (Johnson), Charles II (ein Kneipen-Freund) und Charles III (dessen Kanarienvogel), die Johnson für die Hensans erfand.

      Nach seiner Übersiedlung nach England hat Uwe Johnson die Hensans wohl nur noch zweimal gesehen. Gewiß hat er sie besucht, als er sich im Jahr 1978 vom 14. bis zum 17. Juni in der DDR aufhielt. Und er hat sie am 17. und 18. August ein letztes Mal besucht, als er mit einer englischen Reisegesellschaft und englischem Guide Mecklenburg und Rostock besuchte. Da freilich nicht, wie die Fama es will, als ein englischer Staatsbürger, sondern durchaus als der Bundesdeutsche mit der Paßnummer: D 8 085 509, der er lebenslang geblieben ist.

      DAS »WALDGESICHT« ALS INGRID.

       UWE JOHNSONS ERSTE LIEBE

      Uwe Johnson kannte die junge Dame, die für die Ingrid in seinem Erstling, wenn auch eher unfreiwillig, Modell gestanden hat, seit dem Spätsommer des Jahres 1952. Beide studierten sie Germanistik an der Rostocker Universität. Bereits in einem Brief vom 30. August 1952 meldete der Student seine Verliebtheit der ehemaligen Recknitzer Lehrerin Charlotte Luthe. Dort finden sich die folgenden Zeilen:

      Ich habe mir den Magen verdorben und verliebt habe ich mich auch. Wie üblich, beging ich meinen traditionellen Fehler und suchte mir so safttriefende Birnen aus, in die ich mich dann – verliebt habe. Den Magen verdarb ich mir mit (auch Tradition) einem jungen Mädchen, bei dem nicht nur der sex appeal entscheidend war. Sie ist in einer interessanten Entwicklungsperiode, nämlich im Übergangsstadium zwischen Backfisch und wirklicher Dame.

      Johnson schrieb hier vom »Waldgesicht«: einer jungen Frau, die mit Vornamen Gertrud hieß und die er selbst schon bald »Göre« oder auch »Deerie« rief. Ihr Mädchenname und jetziger Name sollen auf ihren Wunsch hin ungenannt bleiben. (Der studentische Neckname »Waldgesicht« hat übrigens nie für die direkte Anrede zwischen den beiden gegolten. Sie ihrerseits nannte den Mecklenburger bei seinem Vornamen.) Das »Waldgesicht« ist am 23. April 1934 in Crivitz bei Schwerin geboren, entstammte also der gleichen Gegend wie Uwe Johnson. Dort ging sie bis zum Abitur im Jahr 1952 zur Schule. Auch sie hatte ihren Vater verloren, bereits 1944. Sie besaß zwei Brüder. Ihre Mutter hat Johnson ebenfalls kennengelernt, sie mag zur Zeichnung der Frau Babendererde das ihre beigetragen haben.

      Aus sogenanntem bürgerlichen Hause, der Vater war Kaufmann gewesen, hat das »Waldgesicht« den Ideen des Sozialismus, von seiner Praxis ganz zu schweigen, nie etwas abgewinnen können. Nicht nur das unterschied sie damals von Uwe Johnson. Andererseits: Während des ersten Semesters in Rostock holte das »Waldgesicht« ihr Kleines Latinum nach. Daraus müssen sich, neben anderem, Berührungspunkte mit dem Einser-Lateiner Johnson ergeben haben.

      »Waldgesicht« als Johnsons erste Liebe also, so genannt ihres ebenmäßig-lieblichen, sozusagen »grünen« Antlitzes wegen. Ein Gesicht, zu dem der Name Ingrid (im Altisländischen »die Liebliche«) gewiß gepaßt hätte. (Den titelgebenden Vornamen für den Erstling jedoch hatte Uwe Johnson bereits in Güstrow von der Schulkameradin Ingrid Helms entlehnt.)

      Aus dem Fenster hielt sich ein verschlafenes aus der Massen liebliches Gesicht unter verwirrten blonden Haaren, das war lächelnd und versöhnlich noch vom Unbewusstsein des Schlafens. (Babendererde, S. 203).

      Und weiterhin ist dort zu lesen:

      Herr Wollenberg kehrte zurück mit einem schmalen kantigen Silberreifen auf seiner Hand, den legte er vor Klaus hin, stützte sich ohne Eile auf die Theke und sprach: War das so? Klaus drehte das matt schimmernde kühle Silber in seinen Fingern, hielt die Innenseite gegen das Licht, sah Herrn Wollenbergs gelassenes Zusehen, legte den Ring hin. Während Herr Wollenberg wohlwollend erzählte: Ja-u ..., neulich sei doch das Fräulein Babendererde hier gewesen und habe sich das Fach mit den Armreifen angesehen. [...] Während Klaus das Geld auf der Theke ausbreitete, erwähnte Herr Wollenberg noch: das Fräulein Babendererde sei ja wohl das schönste und netteste Mädchen am Orte, könne man wohl sagen. (Babendererde, S. 27 f.)

      Ob Uwe Johnson im Jahr 1953 nun exakt 14 Mark für das Anfertigen eines Armreifs bezahlt hat, war nicht zu ermitteln. Wohl aber, daß seine Freundin aus Rostocker Tagen noch heute jenen silbernen Armreif trägt, dessen Herstellung im obigen Zitat, es erhält dadurch den Status eines Dokuments, geschildert wurde. Das Schmuckstück trägt die Gravur: »November twelfth«. Am 12. November 1953 hatte ein politisch wie persönlich denkwürdiges Treffen stattgefunden, auf das noch näher einzugehen sein wird und das eine Vertrautheit annahm, die den Verehrer jenen besagten Armreif schmieden ließ, den er ihr mit ausgesucht symbolischen Formen erst 1954/55 im berühmten Hörsaal 40 des Professors Hans Mayer überreichte.

      Angefangen aber hatte ihre Bekanntschaft bereits im ersten Rostocker Semester, eben 1952. Ein Photo zeigt das »Waldgesicht« artig lernend, sonnenbebrillt, im Liegestuhl im Garten hinter dem Hensanschen Haus. Ein kissenwerfender Johnson bemüht sich derweil, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Und er erregte Aufmerksamkeit bei ihr:

      Uwe fiel von Anfang an auf als etwas Besonderes, er war sicher den Professoren interessanter als den meisten anderen von uns. Ich fand ihn sicher auch interessant, aber zu eigenbrötlerisch in seinem Wesen und – was bei mir sicher auch eine Rolle spielte – leider häßlich.

      Kein Zweifel, Johnson war der Begabteste seines Jahrgangs. Aber das half ihm nur wenig beim »Waldgesicht«. Der Güstrower gerierte sich als Bohemien und Außenseiter, legitimiert durch das Versprechen künftiger schriftstellerischer Leistung. Wer sich mit ihm einließ, mußte damit einverstanden sein.

      Das »Waldgesicht« dagegen war von lockerem und gewandtem Auftreten, intelligent und hübsch, allerdings eher unselbständig und eine »Schülerin« immer noch, ausdrücklich um soziale Akzeptanz bemüht. Als »die Schönste von uns« (so Käthe Walter, die Frau des späteren Güstrower Superintendenten) machte sie die berauschende Erfahrung des Umworbenseins. Das »Waldgesicht« als norddeutsche Aphrodite: Die junge Frau trug auf Rostocks sommerlichem Pflaster die gleichen – griechischen – Sandalen, von denen in der Babendererde später geschwärmt werden wird. »Die Sandalen waren nichts weiter als Ledersohlen, die von kunstreich verbundenen Riemen an den Fuss gehalten wurden.« (S. 37) Gern und ausgiebig macht sich diese Studentin »schön«, achtete auf ihre Kleidung, den Blicken der Bewunderer zu gefallen. Unter diesen befanden sich auch – so später Hans Mayer – die »seltsamen Augen« des Kommilitonen aus Güstrow. Dieser war möglicherweise, das »Waldgesicht« betrachtend,