Marcus X. Schmid

Lago Maggiore Reiseführer Michael Müller Verlag


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vor wenigen Jahren noch nis­te­ten Fahl­segler im alten Gemäuer von Sant’An­to­nio Abate, rare Vögel, mit den Mau­erseglern verwandt und Flug­ak­ro­ba­ten wie die­se. Doch heute sind die Nistlöcher vergittert, mit den Tau­ben hat man auch die Fahl­segler ver­trieben.

      Casa Rusca: Das alte Patrizierhaus an der Piazza vor der Kirche ist heute Sitz der städ­t­ischen Kunstsammlung. Allein mit dem Nachlass des Dadaisten Hans (Jean) Arp - neben eigenen Werken auch seine Privatsammlung, zu der u. a. Cha­gall, Pi­cas­so, Braque und Calder ge­hörten - könn­te sich die Pinakothek se­hen las­sen. Doch will sie dies nicht und beschränkt sich auf wech­selnde Son­derausstellun­gen.

      Als ganz Europa nach Locarno blickte

      Großer Bahnhof in Locarno! Im Oktober 1925 kommen in der Stadt am See die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Bel­giens, Groß­britanniens, Ita­liens, Polens und der Tschechos­lo­wa­kei zum Gipfel­treffen zusammen. Zwölf Tage lang brüten die Spit­zen­poli­tiker über einem Vertragswerk, das Eu­ropa sicherer ma­chen sollte. Wich­tigstes Resultat: Deutschland, als Ver­lie­rer des Ersten Welt­kriegs international isoliert, anerkennt die im Ver­sail­ler Ver­trag fest­gelegte Westgrenze und stimmt der Ent­mi­li­tarisierung des Rhein­lands zu. Im folgenden Jahr wird Deutsch­land in den Völker­bund auf­ge­nommen, und die beiden Haupt­archi­tekten des „Locar­no­pakts“, die Au­ßen­minister Gus­tav Strese­mann (Deutschland) und Aristide Briand (Frank­reich), erhal­ten den Friedens­nobel­preis.

      Gerade noch rechtzeitig zur Verabschiedung des Pakts tauchte Mussolini, da­mals gerade frischgebackener Diktator, in Locarno auf. Ein Schnell­boot führ­te ihn bis Brissago, wo er in einen Alfa Romeo umstieg. Die Schwei­zer Re­gierung, die ihn vier Jahre zuvor mit einem Einreiseverbot be­legt hatte, hieß ihn ausdrücklich will­kommen.

      Chiesa San Francesco: Die dreischiffige Fran­ziskanerkirche, Zen­trum der deutsch­spra­chigen Katholiken des Locar­nese, wurde im Wesentlichen von Mit­glie­dern der lo­ka­len Künstler­familie Orelli ausges­tattet.

      Chiesa Nuova (Santa Maria Assunta): Das schöne Kirchlein steht versteckt an der Via Citadella und wird leicht über­se­hen. Die schmucke Fassade wird von ei­ner gro­ßen Christophorus-Skulptur be­wacht, in den Nischen stehen die Hei­li­gen Rochus und Sebastian (unten), Vik­tor und Michael (oben). Im Kir­chen­in­ne­ren überrascht vor allem die prächtige Stuckdecke. Links führt eine Tür (oft verschlossen) zum Innen­hof der Ca­sa dei Canonici (Dom­her­ren­haus) mit doppelter Loggia und ei­nem ver­träum­ten Garten - ein idealer Ort, um die Fischgerichte des Restaurants „Ci­ta­del­la“, das hier einige Tische hin­ge­stellt hat, auszuprobieren. Ganz hin­ten im Gar­ten schaut Ihnen dabei eine un­schein­bare, verwitterte Chris­to­pho­rus-Fi­gur zu.

      Leonardo in Locarno

      Wer vom Parkplatz her zur Burg der Mailänder Herzöge spaziert, kommt an ei­nem Stück alten Bollwerks vorbei, auf dem ein klei­nes Schild prangt: „Leo­nar­do da Vinci 1452-1519“. Keine weitere Erklärung, der Spaziergänger stutzt, schüt­telt verständnislos den Kopf und geht weiter. Wir sind der Sa­che nach­ge­gangen.

      Vor ein paar Jahren kam ein Geschichtsprofessor der Universität Mailand zu dem Schluss, dass es sich hier um den Rest eines Boll­werks handelt, das vom be­rühmten Leonardo für die Locarner Burg der Visconti entworfen wurde. Zahl­reiche Leonardo-Experten ga­ben dem Professore recht, die Tatsache scheint heute wissen­schaft­lich gesichert. Schließlich wurden auch die Behör­den von Locarno hellhörig: Man könnte das Stück Mauerwerk zur touristi­schen Attraktion aufwerten. Einziges Problem: Das Leonardo zu­ge­schrie­be­ne Mauerstück, eingezwängt zwischen Häusern, ist in Privatbesitz. Kauf­ver­hand­lungen führten zu nichts, die Stadt zeigte sich knauserig, die Be­sitzer hat­ten wohl den Wert erkannt und trieben den Preis in die Höhe, schon war von Zwangs­ent­eig­nung die Rede. Eine unheilige Allianz zwischen der rechts­po­pu­listischen Lega dei Ticinesi und den Grünen sprach sich ge­gen den Kauf durch die Stadt aus. Schließlich kam es gut schweizerisch zu ei­ner Volk­s­ab­stim­mung, die sich gegen die städtische Übernahme aus­sprach. Ge­blie­ben ist das kleine Schild.

      Im Innenhof der Wallfahrtskirche Madonna del Sasso

      Madonna del Sasso: Die berühmte gel­be Wallfahrtskirche (tägl. 6.30-18.30 Uhr) ist das Wahr­zei­chen Lo­carnos und be­fin­det sich auf dem Ge­mein­degebiet von Orse­lina. Auf ei­nem Fel­sen über der Stadt gelegen, bie­tet sie sich als Post­kartenmo­tiv ge­ra­de­zu an, und ist man oben, freut man sich über das wun­der­bare Panorama.

      Einer Legende und der Giebel­in­schrift an der Kirche zufolge hatte im Jahr 1480 ein Franziskanermönch aus Ivrea hier oben eine Muttergottes-Er­schei­nung und veran­lasste darauf den Bau der ersten Kapel­len. Bald setzten Wall­fahrten ein, und bereits im 16. Jahr­hundert war ein ganzer Klos­ter­kom­plex entstanden, der im 17. Jahr­hun­dert noch einmal erweitert wurde.

      Der Besucher betritt den „heiligen Berg“ durch einen Innenhof mit mehre­ren Ka­pel­len, in denen lebens­große Skulpturengruppen zu sehen sind, eine dramatische „Beweinung Christi“ (16. Jh.), das letzte Abendmahl, Chris­tus erscheint den Jün­gern, eine Pietà ... Sie sind alle sehr ausdrucksvoll, man wünschte sich je­doch et­was mehr Informationen.

      An der Klosterkirche ist die einmali­ge Lage aufregender als das ba­ro­cke Innere und die unzähligen Votivtafeln.

      Zugang Zu Fuß: Was ein rechter Pil­ger ist, der geht natürlich auf Schusters Rap­pen. Der Auf­stieg führt von der Via Cappu­ccini aus die Via al Sas­so hoch, dann rechts über die Ra­mogna­brü­cke und ab hier auf der stei­len, von Kreuz­weg­kapellen ge­säum­ten Via Crucis hoch zur Ma­don­na. Das letzte Stück ist schweiß­trei­bend. Von der Via Cappuc­cini aus dauert der Pil­ger­weg ungefähr 45 Min.

      Auto: Im oberen Teil der Stadt der Beschil­de­rung „Orselina“ folgen, die Straße führt im Zickzack hoch. Sobald man den Ra­mognabach überquert hat: Parkplatz su­chen. Die Madonna del Sasso befindet sich knapp unterhalb der Straße.

      Standseilbahn: Die Talstation befindet sich auf halbem Weg zwischen Largo Zorzi und Bahn­hof, die Bergstation knapp oberhalb der Madonna del Sasso. Das Bähnchen fährt im 15-Min.-Takt hoch. Einfache Fahrt 4,80 CHF, Kind 2,20 CHF, hin/zurück 7,20 CHF, Kind 3,60 CHF.

      Chiesa San Vittore: Wer gleich oberhalb des Bahnhofs rechts abzweigt, steht bald vor einer der schönsten romani­schen Kirchen nicht nur des Tessins, sondern der gan­zen Schweiz. Datiert wird die Chiesa San Vittore ins 11. Jahr­hundert, später kam der Ba­rock­stuck über dem Chor und den Sei­ten­kapellen hinzu. Ein kleines Ju­wel ist die Kryp­ta, bei deren Restaurierung die alten Fres­ken freigelegt wurden. Auch die schmu­cken Kapitelle sind noch gut erhalten.

      Die Vorhalle rechts des Eingangs wur­de erst im 18. Jahrundert angebaut, sie diente als Bein­haus.

      Giardini Jean Arp: Eine unscheinbare, kleine Grünanlage an der Ufer­pro­me­nade mit Skulpturen des Dada-Künst­lers Hans (Jean) Arp, der seine letzten Lebensjahre in Paris und Locarno ver­brachte, viele Sitzbänke - ideal fürs Picknick.

      ♦ März-Sept. tägl. 9-18 Uhr, Okt.-Febr. tägl. 9-16.45 Uhr (darauf verlassen sollte man sich aber nicht). Eintritt frei.