Serge Abad-Gallardo

Mein Weg als Freimaurer


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überzeugen: »Die Bosheit Satans richtet sich mit derselben Erbitterung gegen das Buch wie gegen die Wahrheit, die darin niedergeschrieben ist.«29

      Die angebliche Unbegrenztheit des »Bereichs der menschlichen Erkenntnisse« ist letztlich nichts anderes als die Leugnung der einen Wahrheit und damit indirekt auch der Offenbarung. Ein heimtückischer Leugnungsversuch, der obendrein in die Ausweglosigkeit führt!

      Der Relativismus ist eine ebenso schwerwiegende wie essenzielle theologische Sackgasse. Allein schon das Bekenntnis zum Relativismus – das heißt zu der Überzeugung, dass es keine absolute Wahrheit gibt – ist theologischer Unsinn und geradezu sophistisch. Indem sie die Wahrheit so klar als relativ bezeichnet, verkündet die Freimaurerei selbst zumindest eine Wahrheit, die sie als absolut postuliert! Niemand kann kategorisch erklären, die Wahrheit sei nur relativ. Wie also sollte man den Relativismus absolut setzen? Was für ein unauflösliches Paradox!

      Ich höre schon, wie gewisse freimaurerische Angehörige der Großlogen einwenden, dass die Freimaurerei das Absolute ja nicht leugne, sondern lediglich erkläre, dass es außerhalb der Reichweite des Menschen liege. Doch wenn die absolute Wahrheit außerhalb der Reichweite des Menschen läge, wie kann dann die Freimaurerei, die durch die Relativität und die Unzugänglichkeit der Wahrheit selbst unbestreitbar menschlich begrenzt ist, den Anspruch erheben, dass ihre Aussage von der Unzugänglichkeit der Wahrheit absolut wahr ist? Hätte sie demnach paradoxerweise Zugang zu einer Wahrheit, die doch unzugänglich, weil ihrer Lehre zufolge außerhalb der Reichweite des Menschen ist? Das wäre ein Widerspruch in sich!

      Ich bezeuge schlicht und einfach, dass es keine freimaurerische Wahrheit, sondern lediglich einen dualistischen Okkultismus gibt. Der christliche Glaube dagegen führt mich dazu, das Gute zu wählen – und nur das Gute! Gott wird niemals von uns verlangen, dass wir uns abwechselnd im Licht und in der Finsternis verorten. Oder einem roten Faden folgen, der angeblich zwischen beiden verläuft.

      Wenn der geheimnisvolle Ratschluss Gottes uns in der Gegenwart von Gut und Böse, von Licht und Finsternis belässt, dann zeigt und offenbart er uns damit, dass wir die Wahl haben, uns für das Gute und für sein Licht zu entscheiden: »Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den HERRN, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest« (Dtn 30,19–20). Mein Glaube gebietet mir, nicht in dieser Zweideutigkeit zu verharren: »Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde – durch mich, Silvanus und Timotheus –, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht« (2 Kor 1,18–19). Seit mein Herz meinem Erlöser Jesus Christus gehört, ist für mich zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen den schwarzen und den weißen Fliesen des Musivischen Pflasters kein Kompromiss mehr möglich, und wäre er auch nur so dünn wie eine Rasierklinge. Damit, dass er am Kreuz gestorben ist, um uns von unseren Sünden zu erlösen, hat Jesus Satan endgültig besiegt. Und der Teufel rast vor Wut, weil Maria weder die Liebe Gottes noch den gepriesenen Triumph ihres Sohnes jemals in Zweifel gezogen hat: »Wir wollten sogar seine Mutter in Versuchung führen. Ihr Herz war zerrissen, aber auch von großem Frieden erfüllt, und sie hat alles vergeben. Sie liebte und litt: Ihre Vergebung war vollkommen; ihre Liebe war vollkommen; ihr Opfer war vollkommen. Das hat uns besiegt!«30

      Hinter der relativistischen Lehre der Freimaurerei mit ihrer vermeintlichen Harmonie und Ausgewogenheit verbirgt sich, im Musivischen Pflaster implizit ausgedrückt, ein Teufelswerk. Denn ihre Botschaft steht im Widerspruch zu der Lehre Jesu. Im Übrigen hat Christus selbst uns vor den Gefahren des Relativismus gewarnt: »Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen« (Mt 5,37).

       Aus Sicht der Freimaurerei befindet sich die Kirche im Irrtum

      Diese duale Vorstellung vom Universum, die auf den ersten Blick so verlockend erscheint, brachte mich und viele andere Freimaurer auf den Gedanken, dass die Freimaurerei die Schlüssel der Wahrheit in Händen halte, während die Kirche im Irrtum sei; dass die Freimaurerei die weiße Fliese des strahlenden Lichts, die Kirche dagegen die schwarze Fliese der Dunkelheit oder sogar Verdunklung sei.

      In diesem Zusammenhang hatte ich 2006 in meiner Loge in Narbonne eine Diskussion mit einem Freimaurer der höchsten Grade, der sich in der Loge oder beim Brudermahl gern abfällig über die Kirche äußerte. Dieser Eingeweihte bekleidete ein verantwortungsvolles nationales Amt innerhalb der Großloge »Le Droit Humain«. Unsere Diskussion fand während des Brudermahls nach einer Erhebung zum Meistergrad im Rahmen einer Festarbeit statt.31

      Das Fazit dieser Unterhaltung war, dass die echten Meister diejenigen seien, die der Menschheit das Glück brachten – im Gegensatz zu jenen, die sie mit ihrem »Aberglauben«32 in die Irre führten. Denn wie ich im Verlauf meines Initiationsweges lernen musste, ist die Freimaurerei wirklich davon überzeugt, dass sie ihren Eingeweihten okkulte Geheimnisse zugänglich macht. Insbesondere die katholische Kirche ist in ihren Augen eine Perversion der ursprünglichen Überlieferung: »Dann verkehrte sich die esoterische Weisheit in Religion: ›Die Religionen stimmen nicht nur nicht mit der esoterischen Lehre überein, sondern entstellen sie oder lehnen sie ab.‹«33 Die Freimaurer betrachten sich als die Erben der ursprünglichen Weisheit, in der angeblich alle Religionen der Menschen ihre Wurzeln haben: »Die Freimaurerei lehrt die Grundsätze des uranfänglichen Glaubens und hat diese Gefäße, auf die sich jede Religion stützt, in ihrer Reinheit bewahrt.«34 Vor diesem Hintergrund betrachten die Freimaurer – besonders die Hochgrade des Areopags, die der schwarzen Freimaurerei angehören – die Bischöfe, die Kardinäle und speziell den Papst (vor allem Benedikt XVI., den die Freimaurer nicht ausstehen können) als Hochstapler und Betrüger.

      Es entspricht somit vollkommen der Logik der Freimaurer, die Mitglieder der Kirche mit den Mördern Hirams gleichzusetzen oder zumindest zu Mittätern zu erklären. Hiram ist der Großmeister aller Freimaurer und Wahrer der letzten Geheimnisse. Er wurde von drei ehrgeizigen und neidischen Gesellen ermordet, die diese Geheimnisse in ihren Besitz bringen wollten, ohne die Voraussetzungen für ihre Initiation erfüllt zu haben. Dem altgedienten Hochgradfreimaurer fiel es übrigens nicht weiter schwer, mir zu beweisen, dass die Kirche bildungs- und fortschrittsfeindlich sei. In die Argumentation meines Bruders aus den Hochgraden, deren Subjektivität ich damals noch nicht durchschaut hatte, reihte sich ein antiklerikaler Gemeinplatz an den anderen: die Inquisition, die Borgia-Päpste und ihre Intrigen, der Prozess gegen Galileo, die Leugnung der Jungfräulichkeit Mariens und sogar der Gottheit und der Auferstehung Christi.

      In den Augen der Freimaurerei will die Kirche nur eines: den Meisterfreimaurer Hiram töten, der in allen Eingeweihten wiedergeboren wird.

      Die katholische Kirche, die die Freimaurerei seit deren Entstehung im 18. Jahrhundert bekämpfe, stemme sich der Emanzipation der Menschheit entgegen, erklärte mir mein Bruder. Sie lasse sich, genau wie die drei mörderischen Gesellen, von Dogmatismus, Fanatismus und Ehrgeiz leiten. Damals – das muss ich heute mit Bedauern und nicht ohne Scham zugeben – erschien mir diese freimaurerische Theorie hinreichend plausibel. Auch wenn ich weiß, dass der Herr mir diese Verirrung vergeben hat, weil ich sie »unter Einflussnahme« begangen und vor allem weil ich sie nach meiner Bekehrung aufrichtig bereut habe, muss ich bekennen, dass ich in meiner Verzweiflung Tränen vergossen habe, als ich meine Verblendung mehrere Jahre später beichtete. Ich war wie Petrus, der Christus verleugnet hatte: »Und er ging hinaus und weinte bitterlich« (Mt 26,75).

       Von Grund auf eine Doppelmoral

      In den Augen der Freimauerei, die lehrt, dass der Mikrokosmos identisch mit dem Makrokosmos ist, ist das Universum dual. Folglich ist auch im Menschen alles dual angelegt.

      Als Freimaurer hatte ich kein anderes Bezugssystem als das, welches die institutionelle Freimaurerei vertrat: Nichts ist ganz und gar böse, nichts ist vollkommen gut, jeder entscheidet