richtig auslege25. Die bisher in Deutschland herrschenden Schichten wollten nicht einmal den Schein dulden, als ob die Sozialdemokratie auf die deutsche Kriegspolitik Einfluß übe. Auch bei den sogenannten Alldeutschen war der Kriegszielstreit in erster Linie eine innerpolitische Frage, genauso wie auf der anderen Seite bei den Arbeitern.
Bethmann-Hollweg hat das Kompromiß zwischen den Kriegszielen der aristokratischen und industriellen Oberschicht und den Zielen der sozialdemokratischen Arbeiter in denkbar unglücklichster Form gesucht. Der Einfluß der Sozialdemokraten auf ihn führte nicht dazu, daß er seine Forderungen mäßigte, sondern er packte eigentlich auf die alldeutschen Eroberungspläne auch noch die sozialdemokratischen Befreiungsprojekte im Osten auf und schuf sich so ein absurdes, völlig undurchführbares Kriegszielprogramm. Die Haltung der Regierung befriedigte niemand. Auf der rechten Seite wuchs die Opposition der Konservativen und Nationalliberalen gegen den Reichskanzler, und auf der linken Seite wurde es der sozialdemokratischen Parteiführung immer schwerer, die Politik der Regierung gegen die erbitterten Arbeiter zu verteidigen.
Einen ähnlichen Mittelweg wie in der Frage der Kriegsziele suchte Bethmann-Hollweg auf dem Gebiet der Kriegswirtschaft. Die ständigen Klagen der Sozialdemokraten über die schlechte Ernährung der Arbeiter beantwortete Bethmann-Hollweg mit immer schärferem Ausbau der Zwangswirtschaft. Deutschland war damals in der Lage einer belagerten Festung. So war ein staatliches Eingreifen in die Lebensmittelversorgung unvermeidlich. Aber die preußisch-deutsche Bürokratie, die in normalen Verhältnissen pünktlich und exakt arbeitete, war diesen neuen ungeheueren Aufgaben nicht gewachsen. Je mehr auf dem Gebiet der Ernährung »organisiert« wurde, um so mehr verschwanden die Lebensmittel vom Markt. Was im einzelnen damals in Deutschland hätte besser gemacht werden können, ließe sich selbstverständlich nur durch eine eingehende Spezialuntersuchung feststellen. Politisch hatte die Regierung mit der Zwangswirtschaft, die sich schließlich auf so gut wie alle Nahrungsmittel ausdehnte, nur Mißerfolge. Die Lebensmittelkarte mit ihrer gleichen Nahrungsmenge für arm und reich sollte als Konzession an die städtische Arbeiterschaft wirken. Aber die steigende Hungersnot machte die Stimmung des Proletariats immer schlechter, und zur selben Zeit entfremdete sich die Regierung, wie oben festgestellt wurde, alle Sympathien der Landbevölkerung.
Nach zwei Jahren Krieg und »Burgfrieden« hatte die kaiserliche Regierung gleichmäßig in allen Schichten des deutschen Volkes ihre Autorität eingebüßt. Niemand traute ihr, und niemand hoffte etwas von ihr. Der nächste Anstoß genügte, um sie über den Haufen zu rennen. Er kam durch eine neue Wendung der Kriegslage.
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