genauso ratlos ist wie ich (denn bestimmt bin ich doch nicht die Erste, die so etwas erlebt) und dass sie/er mir das Phänomen erklären kann: Mein Blauregen, auf Stamm gezogen (weil er später einmal wie ein Bäumchen aussehen soll), blüht zwei Monate nach seiner normalen Blütezeit. Machen das Stämmchen manchmal in ihrer Jugend, weil der Übergang von einer Form (Ranken) zu einer anderen (Strauch, Bäumchen) so heikel und unüblich ist und sich der Versuch, diesen Prozess zu bewältigen, als so schwierig erweist, dass dabei die korrekte Blütezeit geopfert wird – wie bei einem Termin mit der Schulleiterin, um deine Haare begutachten zu lassen, zu dem du zwar pünktlich erscheinst, aber mit Haaren, die nicht so sind, wie sie sein sollten, nicht so frisiert, wie es ihr gefällt oder wie sie es versteht? Was mache ich mit dem Blauregen? Lasse ich ihn blühen, wie er will? Die neuen Knospen, die er unermüdlich produziert, sehen authentisch aus, wirken aber trotzdem nicht ganz überzeugend, wie Mutproben, mit denen der Blauregen sogar sich selbst überrascht, als sei seine Unzeitigkeit eine schüchterne, versuchsweise Frage.
Aber was tun mit diesen schlappen Hängeranken mitten im Sommer, mit diesen traurigen Farben und Formen, die auch im Frühjahr etwas Trauriges an sich haben, aber Trauer um den Tod von etwas, das lange vorbei ist (im Frühjahr ist der Winter tot, und nicht nur das, es gibt nicht die geringsten Anzeichen, dass er je wiederkommen wird). Im Sommer gibt es diesen Purpurton, der Eisenhut hat ihn, er fängt Ende Juli an zu blühen, und ich habe so viele verschiedene Sorten, dass irgendeiner bis in den Oktober hinein blüht, aber Eisenhut sieht nicht traurig aus, sondern giftig (was er auch ist) und böse oder von etwas Bösem beseelt wie alles, was sich unter einem Hut, einer Kapuze verbirgt. Ich mag den Eisenhut eigentlich vor allem deshalb, weil Freunde, die ich durch den Garten lieben gelernt habe (Dan Hinkley, Annie Woodhull) Eisenhut ziehen, bildschönen Eisenhut, und immer wieder sagen, wie wunderbar es ist, diese Farbe (tiefes Blaulila) um diese Jahreszeit (Hochsommer, Spätsommer) im Garten zu haben, und ich weiß natürlich, wie sie es meinen, aber insgeheim frage ich mich, warum es nicht eine Blume geben kann, die so schön anzusehen ist wie der Eisenhut, aber in einer meiner Lieblingsfarben blüht: gelb oder etwas im gelben Bereich. Was tun?
Der angeblich weiß blühende Blauregen hat nie geblüht. Eines Tages fand ich beim Jäten in seiner Nähe zwei lange Triebe, die aus dem Wurzelstock wuchsen, und schnitt sie so ingrimmig ab, als hätten sie etwas angestellt und müssten dafür bestraft werden. Wird er je blühen, frage ich mich, und was tue ich, wenn er es nicht tut? Werde ich mich mit seiner breiten Form zufriedengeben, seinem üppigen Laub, seiner Blütenlosigkeit, und werde ich dann etwas dazusetzen, was zu ihm passt? Was tun?
Und überhaupt: Mittsommer … Was mache ich damit? An einem einundzwanzigsten Juni, dem sogenannten Mittsommertag, war ich einmal zu Besuch in Finnland, und zusammen mit ein paar Finnen blieb ich die ganze Nacht auf, wir gingen in die Sauna und von der Sauna in den See – die Sauna stand am Ufer des Sees –, und danach zum Tanzen und trafen dort Menschen, die nicht wie meine finnischen Gastgeber aussahen und die die Finnen Zigeuner nannten. Das ist unsere Art, Mittsommer zu feiern, sagten meine Finnen, hinein in die Sauna und wieder heraus, und hinein in den See und wieder heraus und dann in einen Saal zum Tanzen in Gesellschaft von Menschen, die Zigeuner genannt werden. Der Schmetterlingsstrauch ›African Queen‹ soll (so steht es in Dan Hinkleys Katalog) zum Mittsommer blühen, aber er blühte vor dem spät (und falsch) blühenden Blauregen und gleich nach dem Tag, an dem sie in Finnland Mittsommer feiern; der Schmetterlingsstrauch ›Potter’s Purple‹ blüht jetzt, Ende Juli, gekauft aber hatte ich ihn, weil ich gedacht hatte, er würde von Ende August bis Anfang September blühen; und was tue ich jetzt, wenn der August zu Ende geht (und damit muss ich leider rechnen, denn ich mag den August, während ich den Winter ganz und gar nicht mag, weshalb ich nie so recht glauben kann, dass er tatsächlich wiederkommt), worauf soll ich mich dann freuen? Die Aster ›Little Carlow‹, fraglos die schönste Aster der Welt, hat jetzt Knospen, die aussehen, als könnten sie jederzeit aufgehen, gewöhnlich aber blüht sie Ende September bis Anfang Oktober in einem bläulichen Purpurton, bei dem einen nicht Traurigkeit erfasst, sondern ein großes Staunen: Wie kann es so eine Farbe geben, und was für eine Farbe ist das genau? Was tun? Auch der Mauerpfeffer begann Ende Juli/Anfang August zu blühen, und von dem Schmetterlingsstrauch ›Pink Delight‹, der Anfang September blühen soll und speziell deswegen gepflanzt wurde, aber Ende Juli/Anfang August in Blüte steht, will ich gar nicht erst reden. Was tun?
Diese Aufregung, wenn ich im Garten bin, und dieses Glück, dass ich mich so aufregen kann! Dieser Ärger, den ich oft im Garten empfinde, und dieses Glück, dass ich mich so ärgern kann. Was tun? Nichts läuft so, wie ich es mir gedacht, nichts sieht ganz so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte, und wenn es manchmal doch so aussieht (was gottlob selten ist), erschrecke ich über meine hausbackene Phantasie. Warum passt dieser wunderbare Hängeblauregen (jedenfalls sah er in einem Katalog so aus – wunderbar, einladend, geradezu vollkommen) nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, an die beiden Enden einer Terrasse aus einem Patchwork aus einheimischem Vermonter Stein? Bisher habe ich das Element Wasser noch nicht richtig verstanden und konnte mir eigentlich auch nicht leisten, es in meinen Garten einzubeziehen. Ein Teich war mir zu teuer, und im Gesamtplan meines Gartens konnte ich mir einen Platz für einen Teich auch nicht so recht vorstellen. Im Grunde mag ich keine Teiche. Aus dem Teil der Welt, in dem ich als Kind gelebt habe, der dem, in dem ich jetzt lebe (und in dem ich einen Garten angelegt habe), diametral entgegengesetzt ist, kannte ich Teiche als kleine, wirklich kleine Wasserflächen, die von selbst entstanden waren (ich wüsste von keiner Menschenhand, die sie in diese Form gezwungen hätte), und die schön, aber keineswegs harmlos waren: Sie waren voller Blumen; Wasserlilien, deren Früchte geröstet sehr süß waren und die zu ernten sehr gefährlich war, denn von denen, die sie so gern aßen (die Kinder), konnte so gut wie niemand schwimmen, und deshalb war die Frucht der Wasserlilie zu ernten eine gefahrvolle Angelegenheit. Ich meine mich zu erinnern, dass Menschen (Kinder) bei dem Versuch, an die Wasserlilien heranzukommen, ums Leben kamen, aber vielleicht stimmt das nicht, vielleicht fürchtete ich nur, es könnte dazu kommen, vielleicht dachte ich auch, ich würde bei dem Versuch, die Frucht der Wasserlilie zu ernten, ums Leben kommen. Ich habe die Frucht der Wasserlilie gegessen, sie ist köstlich, aber wie sie schmeckte, weiß ich nicht mehr, nur eben köstlich, über alle Maßen köstlich, und auch wenn ich mich an den Geschmack nicht mehr genau erinnern kann – ihre Köstlichkeit ist mir unvergessen.
In meinen Garten müsste es eigentlich einen Teich geben. In jeden Garten mit ernsthaften Absichten (was immer das auch bedeuten mag) gehört auch das Element Wasser. Mein Garten hat keine ernsten Absichten, mein Garten hat nur Zweifel über Zweifel. Was mache ich mit dem Blauregen, der zur Unzeit blüht (wobei Unzeit bedeutet, dass er sich nicht an die Saison hält)? Und gerade jetzt fällt mir ein, dass ich auch die weiße Spinnenlilie, die dicht neben dem (inzwischen) verwunderlichen Blauregen, praktisch zu dessen Füßen wuchs, Ende Juli habe blühen sehen; aber sie sah kränklich aus, der kahle Stängel war gebeugt und schlaff, die Blüten hatten sich halb geöffnet und waren dann zum Stillstand gekommen. Was tun? Im Frühjahr hatte die Spinnenlilie einen so gesunden Schopf grüner Blätter hervorgebracht, er sah aus wie das Ding, das der Rektor morgens in der Hand hatte, ehe er es auf eine Handfläche oder einen Po klatschen ließ (keinen nackten Po, er war durch Khaki geschützt); im Frühjahr war die Spinnenlilie so üppig, dass ich mir Sorgen machte, ob die Küchenschelle, hinter der ich so verzweifelt her gewesen war, sich gegen sie würde durchsetzen können (ich liebte ihre Blüten, ich liebte auch das, was danach kam, die Samenstände, die man vielleicht nur dann zu schätzen weiß, wenn man generell mag, was danach kommt, gewissermaßen das dicke Ende von dem, worüber man sich gerade noch gefreut hat). Und wieder die Frage: Was tun? Wen könnte ich fragen? Gibt es einen Menschen, dem ich eine solche Frage stellen könnte, und hätte dieser Mensch eine Antwort, die für mich auf rationale Weise einen Sinn ergibt (so, wie sogar ich inzwischen etwas als rational akzeptiere), und brächte dieser Mensch es fertig, mir im Rationalen das Verehrungswürdige nahezubringen und nicht nur das Zweckmäßige? Ich kenne das Zweckmäßige, es hält uns am Atmen; das Verehrungswürdige aber ist es, wofür es sich für uns (für mich) weiterzuleben lohnt.
Nur: Was tun? In dem Jahr, als der Blauregen sich nicht so benahm, wie er sollte, nicht so, wie ich es von ihm erwartet hatte, nachdem ich ihn aufgrund der glanzvollen Beschreibung in einem Katalog gekauft hatte, geschah noch anderes. Und wieder die Frage: Was tun? An einem Nachmittag, wie er sein sollte, die Sonne stand klar